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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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von einern einheitlichen Staat, sondern von einer Koalition
selbständiger Mächte geführt wird; wenn also der poli-
tische Zweck und demgemäß auch das kriegerische Ziel
für die verschiedenen Bundesgenossen durch die Wechsel-
fälle der kriegerischen Begebenheiten eine verschieden-
artige Beeinflussung erfährt. War auch von Anfang an
eine gewisse Übereinstimmung der politischen und
kriegerischen Absichten vorhanden, so wird sich doch
stets im Laufe des Krieges eine zunehmende Differen-
zierung der Zwecke und Ziele ergeben. Der eine will
vielleicht von dem gemeinsamen Gegner gewisse Vorteile
erzwingen und sich mit diesen begnügen; der andere
unterstützt ihn hierbei bereitwillig, verfolgt aber zugleich
im eignen Interesse das Ziel gänzlicher Vernichtung
des Gegners, während der erstere ein Interesse daran hat,
ihn in einer gewissen Machtstellung erhalten zu sehen.

Das interessanteste Beispiel für den Fall, daß das
Staatsoberhaupt seine Entschlüsse im Kriege auf Grund
der Beratung seiner fachmännischen Mitarbeiter faßt,
bietet das preußische Ilauptquartier König Wilhelms in
den Kriegen 1864 und 1866. In beiden standen dem
König seine drei Paladine Bismarck, Moltke und Roon
zur Seite. Die Verschiedenheit der Auffassung über
cfen Umfang und die Abgrenzung ilirer Dienstbereiche
im Zusammenhang mit tiefgehenden Meinungsunter-
schieden hinsichtlich der politischen und strategischen
Aktion haben schon 1866, mehr noch aber 1870/71
zu Reibungen zwischen jenen drei Männern ge-
führt, die schädliche Verstimmungen verursach-
ten und ohne die ausgleichende Persönlichkeit
des Königs leicht schwerere Folgen hätten
nach sich ziehen können. Vor allem handelte
es sich um das Verhältnis der politischen
Leitung (Bismarck) und der strategischen
(Moltke) zür entscheidenden Instanz.
Über die Auffassung beider Männer
sind wir genau unterrichtet, da sie un-
abhängig voneinander ihre Gedanken
i'iber dieses auch in einem künftigen
Kriege höchst bedeutungsvolle Pro-
blem schriftlich niedergelegt, ihre
Außerungen aber bei Lebzeiten der
Öffentlichkeit nicht zugänglich ge-
macht haben.

Bismarck beanspruchte für den
Staatsmann, Moltke für den Feld-
herrn das entscheidende Wort. Unter
den modernen Schriftstellern gaben
General von Blume und von Freytag-
Loringhoven der Moltkeschen Auf-
fassung auch für die Zukunft recht;
General von Bernhardi läßt dem
staatsmännischen Gedanken Bis-
marcks weitgehende Geltung, daß
die Kriegführung immer unter der
Einwirkung der politischen Ab-
sichten zu stehen ünd abgesehen
von ihrer Aufgabe, die feindlichen
Streitkräfte zu vernichten, sich hin
sichtlich der Feststellung und Be-
grenzung ihrer Ziele den Forderungen
der Politik unterzuordnen habe.
Eines ist allerdings abzulehnen, und
hier hat Bismarck 1866 zweifellos
Übergriffe in das Gebiet des strate-
gischen Leiters begangen: Die Ein-
mischung in miiitärische Maßnahmen.
Namentlich ist sein Telegramm ah
den General Vogel von Falckenstein,
das ihn von der Operation gegen die
Hannoveraner bei Langensalza abzog
und auf Frar.kfurt dirigierte, an sich
unzulääsig und überdies beinahe die
Ursache; eines Scheiterns der Ab-
sichten Moltkes gewesen. Daß Bis-
marck nach Sedan gegen den Vor-
marsch auf Paris und später in Ver-
sailles für eine Beschießung der feindlichen Haupt-
stadt eintrat, war ebenso sein Recht als politischer
Berater des Königs, wie seine Vorschläge 1866, nach
Königgrätz statt eines Sturmes auf die Floridsdorfer
Schanzen bei Wien den Gegner tiber Preßburg zu um-
gehen, und vor allem sein Rat, mit Oesterreich unter
entgegenkommensten Bedingungen und besonders unter
Verzicht auf einen Siegeseinzug in Wiert Frieden zu
schließeo.

Auch die Kriegführung ist heute Staatskunst. Sie
läßt sich zumal in Europa gar nicht losgelöst von der
Politik betrachten und steht unter dem steten Einfluß
der letzteren nicht nur wegen der Verhältnisse im eignen
und im Feindeslande, sondern auch wegen der beider-
seitigen Beziehungen zu befreundeten und zu neutralen
Mächten. Darum ist es nötig, daß einerseits der leitende
Staatsmann über das Wesen des Krieges als Mittel der
Politik und über die Eigenart des Instruments für die
Verwendung dieses Mittels — Heer und Flotte — unter-
richtet ist; und anderseits, daß der Feldherr und seine
Gehilfen das feine Gewebe der diplomatischen Aktion
und die Bedingungen ihres Erfolges kennen. Wenn die

Das Kaiserfenster im Dom zu JVlünster.

sei durchaus nichts Selbständiges, sondern nur ein
Teil des politischen Verkehrs. Der politische Zweck
ist das ursprüngliche Motiv des Krieges und gibt dem-
entsprechend sowohl das Maß für das durch den kriege-
rischen Akt zu erreichende Ziel, wie auch jenes der
Anstrengungen, die erforderlich erscheinen, um das ins
Auge gefaßte Ziel zu erreichen. Das kriegerische Ziel
kann also gewissermaßen als Äquivalent für den poli-
tischen Zweck gedacht und bezeichnet werden. Vermöge
der Eigentümlic.hkeit seines Wesens und seiner Mitte)
wird der Krieg allerdings vielfach in Einzelfällen auf
die politischen Absichten zurückwirken; der politische
Zweck wird sich mit der Eigenart des politischen Mittels
„Krieg“ niemals in Widerspruch setzen dürfen und
demgemäß oftmals der Natur dieses MitteLs fügen müssen
— aber die Politik wird immer den ganzen kriegerischen
Akt durchziehen und einen fortwährenden Einfluß auf
ihn ausüben, so- weit es die Natur

führung und
ihr wirk-
wer-

Prof. Carl de B ouc lie: Das Kaiserfenster im Dom zu Münster.

denden Kräfte überhaupt zuläßt. Wo die politische und
militärische Staatskunst in einer einzigen Hand liegt,
bestehen für die praktische Lösung des Problems die
günstigsten Aussichten; und wenn gar der Mann, dessen
Geist die beiden Gebiete der Politik und Strategie
überschaut, und dessen Hand die hin- und herschießen-
den Fäden diplomatischer und militärischer Entschlüsse
und Handlungen harmonisch zu knüpfen versteht, eines
jener gewaltigen Genies ist, wie sie nur selten im
Strom der Zeit auftauchen — wenn ein Mann wie
Friedrich der Große und Napoleon I. Staatsmann und
Feldherr in einer Person und zugleich unbeschränkter
Herrscher über die Hilfsquellen und Mittel des Slaates
ist: dann gestaltet sich die Verbindung von Politik
und Strategie zu einem unvergleichlichen Kunstwerk.

Schwieriger liegt der Fall, wenrt das Staatsoberhaupt
nicht zugleich selbst oberster Befehlshaber im Kriege
ist, oder wenn er seine Entschlüsse nur auf Grund der
Vorträge und Ratschläge berufener Fachleute faßt, die
mit ihm im Feldlager weilen. Am schwierigsten ge-
staltet sich die Herstellung harmonischen Zusammen-
wirkens von Politik und Strategie, wenn der Krieg nicht

Aus der Kunstwerkstätte des bekannten Münchner
Meisters, Professors Carl de Bouche, der schon ver-
schiedene Werke im Auftrage des Kaisers geschaffen
hat, ist jüngst das neue große Glasgemälde hervorge-
gangen, das der Monarch dem bisherigen Bischof von
Münster, jetzigen Erzbischof von Köln, Felix von Hart-
mann, für den alten Dom zu Münster geschenkt hat. Das
Kolossalgemälde übt mit seiner wunderbaren Farben-
symphonie eine tiefe Wirkung auf den Beschauer und
ist in seiner Komposition durchaus mosaikähnlich ge-
halten, so wie es dem Charakter des Glasgemäldes am
besten entspricht. Der fürstliche Stifter wählte für den
edlen Schmuck einen historischen Vorwand, ein Ereignis
aus dem Jahre 799: Kaiser Karl der Große empfängt
im Ideerlager zu Paderborn in Gegenwart des Papstes
Leo III. den heiligen Ludgar. Zur Linken erblickt man
den Kaiser mit dem Papste, beide von geharnischten
Schild- und Panzerträgern umringt, zur Rechten steht
der heilige Ludgar — zu dessen Füßen als Syrnbol die
beiden Gänse —, neben ihm im Gewand einer Äbtissin
seine Schwester. Die ganze Gruppe ist von einer ehr-
fürchtig harrenden Volksmenge umgeben. Im Ilinter-
grunde bildet der uralte Dom zu Paderborn einen
würdigen Abschluß. Einem ausdrücklichen Wunsche
des Kaisers entsprechend ist der ganze geschicht-
liche Vorgang in das Gewand der Spätgotik ge-
kleidet; die Figuren sind deshalb historisch nicht
treu zur Darstellung gebracht, sondern passen
sich mehr der allgemeinen Vorstellung und
dem Volksverständnis an. So ist das Haupt
Karls des Großen mit einer Krone ge-
schmückt, sein Gesicht von einem Vollbart
umrahmt; derPapst trägt bereits dieTiara,
die erst viel später eingeführt wurde.

Die außerordentlich stimmungsvolle Kom-
position wird von einer weißen Archi-
tektur auf zartem, blauem Grunde ge-
tragen, während die Seitenteile in mat-
terer Färbung gehalten und mit den
Bildnissen mehrerer Diözesanheiligen
geziert sind. Am Fuße des Kolossal-
gemäldes, das bei einer Breite von
6 m eine Höhe von 8 '/a m erreicht,
lesen wir neben dem Wappen des
bisherigen Bischofs von Münster die
Widmung des edlen Stifters. Der
neue herrliche Schmuck gereicht dem
alten Dome zu Münster zum sicht-
baren Zeichen besonderer kaiserlicher
Huld. Bei der Vereidigung des
Kölner Erzbischofs, die kürzlich im
Königl. Schlosse zu Berlin erfolgte,
hat der Kaiser in seiner Ansprache
an den hohen Kirchenfürsten dieses
Gnadenbeweises gedacht und das
auf dem Gemälde zur Darstellung
gebrachte geschichtliche Ereignis
nochmals mit folgenden Worten er-
wähnt: „ . . Sie haben an jenen
denkwürdigen Vorgang erinnert, als
Karl der Große von dem Papste
Leo III. und Ihrem ersten Vorgänger
auf dem bischöflichen Stuhl von
Münster in schwerer Gefahr und Be-
drängnis um Hilfe angerufen, an der
Spitze seines Heeres den Papst herz-
lich begrüßte, ihm seinen mächtigen
Schutz zusagte und dann, wie die
Überlieferung meldet, Hand in Hand
mit ihm in den neuerbauten Pader-
borner Dom einzog, um gemeinsam
Gott den Herrn zu preisen. Dies
weltgeschichtliche Ereignis ist ein
lehrreiches Beispiel für den Segen
eines vertrauensvollen Verhältnisses
der Kirche zu dem höchsten Träger der Staatsgewalt und
enthält zugleich eine ernste Mahnung.“ So hat die an
geschichtlichen Ereignissen und Denkwürdigkeiten un-
gewöhnlich reiche Stadt — im Rathause zu Münster
wurde u. a. am 24. Oktober 1648 der westfälische Friede
abgeschlossen — einen neuen kostbaren Schatz erhalten.
Münster besitzt allein dreizehn meist sehr alte Kirchen,
unter denen der Dom, der um das 13. Jahrhundert ent-
standen ist, durch die Verschmelzung des gotischen und
romanischen Baustils ganz besonders charakteristisch
hervortritt. _ a.

Moderne Staatskunst im Kriege.

Von Dr. Fritz Roeder in Berlin-Friedenau.

Politik und Krieg stehen in nahen und untrenn-
baren Beziehungen zueinander. Clausewitz kennzeichnet
in seinem klassischen Werk „Vom Kriege“ die Politik
als den Ausgangspunkt aller kriegerischen Maßnahmen;
den Krieg als eine bloße Fortsetzung der Politik mit
andern Mitteln. Er nennt deshalb den Krieg selbst einen
politischen Akt. Ausdrücklich stellt er fest, der Krieg

XXVII. 16. B.
 
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