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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Saltzwedel, Hans von: Frau Mytala, [2]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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Springer, Hermann: Richard Wagner und das religiöse Motiv
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0572

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242

MODERNE KUNST.

die Brust seines Hemdes zwisehen den roten Aufschläge.n des geöffneten
Ueberrockes und weiß sein stilles Gesicht, dessen Züge ich in der un-
geheuren Nervenanspannung, in der ich niich befand, mit unwahrschein-
licher Deutlichkeit zu erkennen vermochte. Sie hatten den Ausdruck eines
tiefen Erbarmens, mit dem er die stolze Frauengestalt vor sich betrachtete.

Ich aber fühlte ein Beben durch meine Glieder gehen: nun wird es
geschehen! — Mir war so bange, so entsctziich bange und. so. weh um
mein Herz. — — Und dann geschah es — genau so, wie ich es sicher
vorhergesehen.

Er trat neben sie und legte seinen Arm um ihre schlanke Gestalt,
uhd sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter und blickte hingebend
zu ihm auf. — Da beugte er sein ernstes stilles Gesicht über das ihre! —

Und als ich das sah, ging ein Riß durch meine Seele, als sei in ihr
eine Saite gesprungen - jene Saite, die alle die letzten Tage hindurch
so wunderbar unruhig und doch so süß berauschend gebebt und geklungen
hatte. — Und nun war es plötzlich so still — so trostlos still in ihr —
so still und so unsagbar traurig.

Verschwunden war alle Farbenpracht —; farblos grau alles um mich
her, und der kühle Abendwind ließ mich leicht erschauern.

Wie trunken schwankte ich den engen Steg zwischen den Garten-
zäunen entlang, ohne Sinn für all das sprießende Leben hinter ihnen. —

Erst als ich auf die Fahrstraße trat, raffte ich mich unwillkürlich
wieder zu der mir altgewohnten soldatischen Haltung auf. Dann stieß
ich ein kurzes, mißtönendes Lachen aus und ging in das Kasino, wo ich
eine fröhliche Zecherschar wußte.

An dem nämlichen Tage war eine Anzahl Reserveoffiziere zur Ab-
leistung ihrer Ubung beim Regiment eingetroffen. Dieser Tag pflegte
alljährlich etwas sehr feucht gefeiert zu werden. Ein laut fröhliches
Stimmengewirr verkündete mir schon beim Betreten des Ablegeraums,
daß die Feier bereits zietnlich weit vorgeschritten war. Was da ge-
schrien und gesprochen wurde, vermochte ich zunächst nicht zu verstehen,
wohl aber kannte ich die besonders laute Stimme eines gewissen Herrn
Sobbe heraus, der mir wegen seines protzigen Auftretens als Sohn eines
reichen Emporkömmlings durchaus zuwider war. Als ich mich der
Tür zuin großen Speisesaal näherte, liörte ich ihn deutlich clie Worte
schreien:

„Ach was, Dame! Es müßte doch mit dem Deubel zugehen, wenn ich
die nicht kriegen sollte!“

Ohne in jenem Augenblick auf diese Worte weiter zu achten, setzte
ich mich zu den am oberen Ende der Tafel sitzenclen älteren Kameraden
uncl bestellte mir eine Flasche Sekt, fest entschlossen, fröhlich mitzutun.
So viele Mühe ich mir jedoch gab, mich in die rechte Stimmung zu ver-
setzen, es wollte an jenem Abend durchaus nicht gelingen, so daß ich
schließlich ärgerlich aufbrach.

Im Vorzimmer traf ich den kleinen Witte, der ebenfails schon gehen
wollte, weil er am nächsten Morgen zeitig Dienst hatte. Da er an meiner
Wohnung vorbei mußte, gingen wir zusammen.

Er war etwas angeheitert uncl sehr redselig. Auch ihm war das
prahlerische Auftreten des reichen Sobbe sehr unangenehm aufgefallen, und
er äußerte sich wenig schmeichelbaft über ihn:

„Ein unglaublicher Renommist ist ei obendrein auch no'ch. — Bebauptet
steif und fest, die Lankwitzsche würde er schon kriegen. — So ein Affe!
Bei der würde er schön anlaufen!“

Ich horchte erschrocken auf und fragte forschend:

„Die Lankwitzsche? — Was meinen Sie damit?“ Worauf er, über
meine Frage sichtlich verwundert, erwiderte:

„Natürlich doch die geheimnisvolle Dame, die Lankwitz jetzt bei sich
hat! — Eine feine Nummer, das muß man sagen; aber — —“

Nöch bevor er das, was er sagen wollte, aussprechen konnte, fiel ich
ihm schnell ins Wort: „Meinen Sie etwa die Nichte seiner Haushälterin?
Da seid ihr alle sehr im Irrtum! — Um die bekümmert er sich gar
nicht. — Er kennt sie überhaupt kaum . . Das hat er mir selbst gesagt.

Der Kleine ließ sich jedoch nicht beirren und lachte mich ganz einfach
aus: „Pah, Nichte! — Da hat er Ihnen schön etwas aufgebunden! — Daß
die nicht Frau Heckers Nichte ist, sieht man ihr doch auf den ersten
Blick an. Und von nicht kennen ist schon gar keine Rede: Ich habe clie
beiden ja beobachtet! Alle die letzten Tage kam er so um Sechse heraus
und ging die Bernstädter Chaussee lang, und eine Viertelstunde später
kam sie und ging gleich rechts den Weg über die Wilhelmshöhe. Wenn
es dunkel wird, kommen sie beide zurQck; zuerst sie und hundert Schritte
hinterher er. — Natürlich haben sie sich doch unterwegs wo getroffen.“
Ich gab ihm bei mir selbst vollkommen recht: dennoch erhob ich Ein-
spruch, inclcm ich ihm erwiderte: „IDas ist durchaus nicht nötig. Es kann
auch Zufall sein. — Und überhaupt: was geht euch eigentlich die ganze
Sache an? — Was habt ihr immer hinter ihm herzuschnüffeln? Laßt
doch den Lankwitz machen, was er will! —“ [Foitsetzung foigt.j

Richard Wagner und das religiöse Motiv.

Von Dr. Herm. Springer.

Ber dämonische Feuergeist, der in dem Mensclien und dem Künstler Ricliard
Wagner arbeitete, und die jähe Urkraft seines Genies hat den Zeilgenossen
wie den jiingsten Epigonen immer neue Rätsel aufgegeben. Heute, wo er-
klärte Gegner wieder einmal den Großen erschlagen möchten, wo angebliche Psycho-
logen die äußeren Widersprüche in seinem rastlosen Wirken nach täppischer Schul-
meistermanier als häßliche und bösartige Gebreclien hinstellen, tut es mehr als jemals
not, die großartige Einheit dieser Elementarnatur zu erkennen, das scheinbar Wider-
streitende in einem höheren Zusammenhange zu begreifen.

Eine unabsehbare und immer weiter wachsende Fülle von Zeugnissen, vor allem
das reichlich aufgeschlossene Briefmateriai, hat uns das persöniiche Bild Wagners
immer näher gebracht und immer heller beleuchtet. Alie diese biographischen Äuße-
rungen füliren an die innersten Wurzeln seines Wesens hinan. Alle zeigen sie mehr
oder minder das unruhvolle, unges.üme Temperament, das den Untergrund seiner
Natur darstellt. Reizsame Nerven, hochscliießende Sinnlichkeit führten schon friili zu
seelischen Wirrnissen, die nur eine milde, besänftigende Macht von außen heilen
konnte. Mit innerer Notwendigkeit kam es, daß mit den künstlerischcu Entlädungen
Reaktioncn religiöser Art zusammengingen. Die schwärmende Mystik, die. sich in de,n
frülien novellistischen Schriften Wagners so stark ausprägt, strömt leicht in ein reli-
giöses Empfinden ein.

Zahlreiche Beiege lassen keinen Zweifel darüber, daß Wagner iii der ersten
Hälfte seines Lebens auf dem Boden der christlichen Glaubenssätze stand. Sclton im
ersten großen musikdramatischen Werke, dem in seinetn künstlerischen Gehaite nöch
jmmer vielfach verkannten Rienzi, fühlt man die akfive Anteilnahme einer religiös
sensiblen Natur. Ein schlagendes Beispiel ist Rienzis Gebet mit seinem ganz persön-
liclien Ausdruck und seiner seltsam ergreifenden Inbrunst.

Die Sehnsuclit nacli Ruhe vor den Stiirmen des Lebens, die im Holländer Ge-
stalt gewann, führte den Tondichter zum Problem der Erlösung, das über all seinem
dichterischen Schaffen steht. Holländer und Tannhäuser, Wotan und Tristan,

[Naclidnick verboten.]

Amfortas und Kundry suchen das Heil, das von Unrast befreit und den Frieden
bringt. Errettung aus dem Wirrsal der Sinnlichkeiten durch das religiöse Erlebnis —
so lautet das Grundmotiv des Tannhäusers, den man nicht ohne Grund als das aus-
gesprochen „katholisclje" Drama hingestellt hat. Er drängt die Paralleie niit der
Divina Commedia auf. Wie Beafrice den Verirrlen zum Heil und zum Lichte führt,
so errettet Elisabeth, die Heilige, den von wiider Sinnenqual herumgeworfenen Sänger.
Man kann es begreifen, daß Begeisterte aus dem Lager der katholischen Streng-
gläubigkeit nur um des Tannliäusers willen den Dichter neben Dante, neben Calderon
utid Milton s.tellen.

Was Wagner zum Lohengrinstoffe hinführte, war weniger das Christlich-Religiöse
als der schiicht menschliche Gehalt. Er spricht ausdriicklich von der „zwielichtig
mystischen Gestalt" des mittelalterlichen Lohengringedichts, das ihn mit Mißtrauen
und mit dem gewissen Widerwillen erfüllt habe, den wir „beim Anblicke der ge-
schnitzten und bemalten Heiligen an den Hcerstraßen und an den Kirchen katlio-
lischer Länder empfinden“; und der Stoff zieht ihn als uralt menschliches Gedicht an.
Er gibt die sehnsuchtsvolle Sage von dem unbekannten Helden, der die Herzen
durch unwiderstehlichen Zauber gewinnt und über die Meereswogen wieder ver-
schwindet. Trotzdem wiid in Wagners Lohengrindrama das religiöse Motiv niächtig
und lierrschend. In weltentriickter, reinster Klarheit drtickt sich diese Symbolik in
den ätherischen Kiängen des Vorspiels aus: das Wunder der Niederbringung des
Graies durch die Engelschar wird hier iti zauberhaftem Bilde gezeichnet.

Stand der jugendliche Wagner den reiigiösen Dingen mit aktiver Giaubens-
betätigung gegeniiber, so war dem alternden Künstler, der durch die Stürme eines
atheistischen Radikalismus zur Weltanschauung Schopenhauers gekomnien war, die
Religion ein bewußtes seelisches Quietiv, eine Sublimierung der philosophischen Er
kenntnis. In dem einen wie dem andern Fall blieb die persönliche Reaktion un-
abänderlich die gleiche: ein Sichbefreien und Loskommen von Sehnsuclit und Unrast.
In die kritischen Revolutionsjahre aber, in die Epoche der jähesten Erschütterungen
 
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