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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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24. Heft
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Thielemann, Paul: Allerlei vom Gruß: kunsthistorische Plauderei
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Praeger, Hertha: Sonnentag und Sternennacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0744

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3H

MODERNE KUNST.

lebhafte Rheinländer und behäbige Westfale fragen „Wie geht’s?" Der höfliche
Sachse kann nicht umhin, einen „schönen guten Morgen" zu wünschen Noch höflicher
meint der Böhme es, der auch noch den „gehorsanien Diener" hinzufiigt. Sein voll-
ständiger Nachtgrijß lautet daher: „Oute Nacht wünsch ich, Ihr gehorsamer Diener,
schlafen Sie wohl.“ Der Österreicher ruft: „I küss’ dieHand!" und der Pole begnügt
sich nicht mit diesen Worten, sondern führt sie in Wirklichkeit aus. In den höheren
Schichten der polnischen Bevölkerung fragt man beim Begegnen oft: „Sind Sie
glücklich?" Zu beneiden sind die gemütlichen Siiddeutschen wegen ihres herzlichen
„Grüß Gott". — In geistlichen Ständen und Beziehungen hat sich der ehrliche Gruß
noch am echtesten bewahrt, hier klingt auch der Unterton der rechten Nächstenliebe
noch her7.1ich mit, den wir andern schon lange verloren. Der gläubige Katholik ruft
seinen Mitmenschen ein „Gelobt sei Jesus Christus!" entgegen, worauf dieser antwortet:
„In Ewigkeit, Amen!" Am häufigsten begrüßt man sicli bei uns, wie auch bei den
Franzosen, Engländern und Italienern und anderen Völkern Europers wohl durch
Nennen der Tageszei't „Guten Tag", „Bon jour" usw.

Der lebhafte geschäftige Italiener fragt wohl auch: „Wie stehen Sie?“ Genua,
die große italienische Handelsstadt, verleugnet ihre kommerziellen Interessen auch nicht
in der dort viel angewendeten Formel: „Gesundheit und Gewinn". Der Spanier
drückt mit einem: „Mögest du lange Jahre leben“ dem Freund die Hand. Den eitlen
Franzosen erkennt man sofort an seinem „Wie tragen Sie sich?", wobei er vergnügt die
Bartspitzen dreht. Der Russe wünscht: „Seien Sie gut oder wohl“. — Der Schwede
erkundigt sich nach dem Stand der Kräfte: „Wie können Sie?“ oder fragt „Woran

denken Sie?“ und der Däne: „Leben Sie gut?" während der viel reisende Holländer
mit der Frage: „Wie reist ihr?" griißt. Der Engländer drückt und schüttelt unsere
Hand so kräftig, daß wir meinen, er wolle uns den Arm ausreißen. Dabei bleibt er
kalt und verzieht keine Miene. In dem wohlbekannten „How do you do?“ der
Ffngländer zeigt sich so ganz das geschäftliche Wesen dieser Nation. Der Türke legt
die Hand auf Herz und Stirn, wodurch er seine aufrichtige Achtung bezeugende
Gesinnung zu erkennen gibt. Ein Stückchen Individulilät und Volkscharakter läßt
sich auch in solchen täglich gebrauchten Wendungen entdecken, von denen diese
kleine Blütenlese genügen möge.

Unzählig sind schließlich noch die besonderen Begrüßungen unter Vereinen,
Gewerben, Sportsleuten u. a. m. Hier sei nur an das „Glück auf" der Bergleute er-
innert, an das „Gut Schlauch“ der Feuerwehrleute, an das „Gut Heil!“ der Turner,
„Gut Holz" der Kegler und das „All Heil!“ oder besser „Alles Heil?“ der Radfahrer,
das auch als Gruß der Automobilisten überaus zweckmäßig wäre. Alle diese Grüße
sind indessen leere Formeln geworden, Trinkrufe, die dem Durstigen einen Grund
zum Trinken geben. Zu leeren Phrasen sind mehr oder weniger alle Grüße herab-
gesunken, bei denen sicli weder der Grüßende noch der Begrüßte etwas zu denken
pflegt. Die Zeitalter üben auf den Gruß der Menschen untereinander großen Einfluß
aus. Die Grüße haben ihre Moden wie Kleider und Literaturen. Das „Glück auf"
des Bergmanns ist fast ein leerer Schall geworden. Ein ähnlicher Gruß ist jetzt zeit-
gemäß. Vorläufig erschallt er noch erst an den Gondeln der Luftschiffe aller Systeme
und hat einen herzlichen Klang, das „Glück ab!“.

Sonnentag und Sternennacht.

Von Hans Seefeld.

IJStrau Jöhanna Pleyden saß in ihrem stillen Arbeitszimmer. — Durch die
ifny goldfarbenen Vorhänge schien die Abendsonne, und vor dem Fenster
s®) flatterlen blaue Glycinen im Wind. Goldne Reflexe tanzten auf dem
immer noch so dunlden Haar derFrau und glühende Lichter auf all dem schlichten,
blanken Messinggerät auf dem Schreibtisch. Und in Johanna ITeydens dunlden
Augen lag ein schöner, warmer Glanz, ein Glanz, der Frauenaugen so lieb und
jung macht, auch wenn sie nicht mehr jung sind.

Das kam wohl, weil Johanna immer von der Liebe schrieb, von der tiefen,
echten, großen Frauenliebe, die kein Ziel kennt und keine Grenzen. Von der
Liebe, die da glücklich und groß macht, schon weil sie besteht, die wie eine
Blume sich freut, daß sie lebt, die nicht Erfüllung sucht, sondern über sich
selbst hinauswächst. Es ist gut, daß Frau Johanna von dieser Liebe schreibt.
Denn sonst würden die Menschen vergessen, daß es eine solche gibt. Sie suchen
doch fast alle das ihre. Aber sie. lesen äll'e Johannas Geschichten von dem
tiefen Leben gern. Die Tiefen und Feinen, weil ihr Leben darin sich wider-
spiegelt, die Oberflächlichen und Halben zum Zeitvertreib, weil sie ihnen klingen
wie wundersame, vergessene Märchen.

StilList das Zimmer, ganz still. Nur die Feder, die da ernsig über die
großen, weißen Biätter eilt, knistert manchmal leise.

Es hat etwas Zeitloses, dieses große Zimmer mit den mattblauen Tapeten
und den vielen, alten Bildern. Nur die Blumen in den schlanken Vasen wechseln
wie die Jahreszeiten.

Es war Sommerszeit, da dufteten Rosen und Reseden.

Und von Rosen und Reseden schrieb Johanna Ileyden, von goldnem Sonnen-
licht und stillem Frieden, von sanften, weichen ITänden und treuen Augen, und
die Zeit ging leiser durch das Zimmer.

Bis ein rasches Klopfen an der Tür klang, und eine Mädchengestalt herein-
schlüpfte. Hastig, aufgeregt warf sie sich auf einen Stuhl.

„Stör’ ich dicli, Tante?“

Die Frau am Schreibtisch schüttelte freundlich den Kopf. „Ich bin gleich
fertig, Elisabeth!“

Die Feder eilte weiter, und das Abendsonnenlicht ging weiter herum, bis
die ganze Wand in Gold getaucht schien.

Aber Elisabeth war es, als würde es immer dunkler um sie her und könnte
niemals wieder hell werden. Nervös zupfte sie an ihren langen ITandschuhen.
Gott! Wie unerträglich still! Aber es war ihr wohl heut nur unerträglich! Sie
war doch sonst gern hier, so weltfern, so weitab vom Strome der Zeit! Ein
Buen retiro für Ruhelose.

Wie Tante Johanna doch noch gut aussah, trotz ihrer fünfzig Jahre. Wie
ihr Profil so fein und edel stand auf der sonnenbeleuchte.ten Wand.

Es gibt doch Menschen, die nie alt werden! Ob die wohl auch nie jung
gewesen sind? Ob ihr Herz nie so heiß und trotzig und unglücklich war, wie
heut ihr Ilerz, Elisabeths?

Es sprach doch soviel heißes Kämpfen aus Johannas Geschichten vom tiefen
Leben. Aber auch soviel Frieden und stolzer Sieg. Sieg über sich selbst!
Durch Geduld und stilles Tapfersein! Geduld und Frieden! Ach, Johanna ITeyden,
das bekommen wir alle wohl endlich von selber irn Laufe der Zeit.

Aber dahn, wenn wir’s bekommen, brauchen wir’s nicht mehr!

Wiid schluchzte das Mädchen auf.

„Ich kann nicht! Nein, nein, ich kann nicht!“-

[Nachdruck verboten.]

Da stand die Dichterin vom Schreibtisch auf und trat zu ihr.

„Still, meine Elisabeth, still! Weine nur erst!' Aber dann, nicht wahr, dann
sagst du mir, was du nicht kannst.“

Tröstend streichelte sie die blassen, tränennassen Wangen, bis das Schluchzen
seltner kam und der Mund nicht mehr so bitter zuckte.

„Was kannst du denn nicht, Elisabeth?“

„Freundschaft für Liebe geben, Tante, wie er es verlangt!“ Wie eine An-
klage kam es heraus!

„Horst Bodemer,. Tdsbeth?“

„Ja, Tante! Ich habe es ja leider nicht verbergen können, daß ich ihn
liebte!“

„Das tut auch nichts, Kind! Wenn alle Menschen die Liebe so rein und
heilig hielten, wie sie im Grunde ist, darm brauchten wir sie gar nicht verbergen!
Aber willst du nicht erzähien, Elisabeth?“

„Was soll ich erzählen, Tante! Es ist aus, alles aus, was ich gewünscht:
Er hat mich wohl gern, aber er hat Gründe, nicht. zu heiraten, vielleicht nur
Gründe, mich nicht zu heiraten! Das sagt er mir und bietet mir seine Freund-
schaft an! Freundschaft, ha, Freundschaft! Was für eine armselige Gabe, wenn
man die Liebe gehofft!“

. „—: — — Wenn man die Ehe gehofft!“ verbesserte Johanna Heyden, und
ihre tiefen freundlichen Augen sahen hinaus in das Abendgold, das langsam
dunkler wurdc und seinen Glanz verlor. Sie setzte sich neben das Mädchen und
nahm seine unruhige Hand.

„Eine armselige Gabe, meinst du, Eiisabeth? Du weißt ja gar nicht, wie
still und gut die machen kann! Eine stolze, tapfere Gabe! Ein Geschenk, so groß
und schön, daß man es gar nicht anders erwidern kann als durch das gleiche!
Du hast die Ehe gehofft, Elisabeth, er hat Gründe, sie nicht zu geben und bietet
dir dafür die Freundschaft an. Warum weinst du denn? Hörst du denn nicht,
wie das Glück leise an deine Tür pocht? Es nniß doch nicht immer mit Pauken
und Trompeten kommen! Ob die Ehe immer das Schönste ist? Kind, ich weiß
nicht, was ich lieber habe, einen heißen, leuchtenden Sonnentag oder eine stille,
freundliche Sternennacht!“

„Ach, Tante Johatina!“

„Sei still, mein Kind! Wer über den Kreuzweg kam, kann dir die Straße
zeigen. Vielleicht führen beide Wege gar nicht so weit auseinander!“

Elisabeth seufzte, „Ach, was kann Freundschaft sein unter diesen Um-
ständen!“

Johanna ITeyden sah hinaus in die lichten Wolken und ihre Augen glänzten
wieder so tief und weich.

„Etwas Großes, mein Kind! Ein Besserwerden zu Zweien! Ich habe docb
aucli meinen Freund!“

„Tante Johanna, du? Meinst du Flerrn Professor Wied?“ Erstaunt trocknete
das Mädchen die nassen Augen. Im Geiste sah sie den vornehmen, grauhaarigen
Herrn, wie er jeden Mittwoch abend, pünktlich wie eine Uhr den Weg durch
deu Park zu Johanna Heydens kleinem ITause nahm.

Jetzt sah Johanna verträumt in unsichtbare Fernen.

„Ja, kleine Lisbeth, ITans Wied! Um den habe ich auch einmal gelitten wie
du heut um ITorst Bodemer. Und damals, als ich um ihn iitt, bekamen meine
Schwester und meine Freundinnen das andere, was mir damals soviel schöner und
größer schien, die Ehe! Sie liebten und durften heiraten! Sie durften es! ich nicht!
 
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