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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Hohenzollern und Welfen.

Von Dr. Fritz Roeder in Berlin-Friedenau.

Am 28. Juni wird sich zum 47. Male der Tag jähren,
der das Geschick des welfischen Königshauses zu Han-
nover entschied. Tags zuvor hatten die hannöverschen
Truppen bei Langensalza mit doppeiter Uebermacht die
Preußen geschlagen. Aber ein unglückliches Verhängnis
ließ den blinden König Georg V. den rechten Augen-
blick versäumen, sich aus der drohenden Umzinglung zu
retten — sein tapferes Heer mußte die Waffen strecken.
Der unbeugsam stolze Herrscher wies jede Verständi-
gung mit Preußen zurück und zog ins Exil nach Hietzing
bei Wien, wo er zwölf Jahre später starb. Seine An-
sprüche auf Hannover, das am 20. September 1866
Preußen einverleibt wurde, gab er niemals auf. Gleich
unversöhnlich erwies sich sein ältester Sohn und Erbe
Ernst August. Infolgedessen mußte die deutsche Reichs-
regierung ihm die Einnahme des 1884 an ihn gefällenen
Throns der braunschweigischen Herzöge verweigern.
Der Streit der Hohenzollern und Welfen hat manche
Trübung des inneren Friedens im jungen Deutschen
Reiche verursacht, und sehnlich wünschte seit Jahr-
zehnten jeder Freund des Vaterlandes, es möge sich
eine Lösung finden, jenen unseligen Konflikt zu beenden.

Kaiser Wilhelm II. war von Anbeginn seiner Re-
gierung ernstlich bemüht, eine Versöhnung mit dem
welfischen Hause zu erreichen, ohne Preußens Inter-
essen zu verletzen. Nun hat sich noch kurz vor Ab-
schluß seines 25. Regierungsjahrs ein glückverheißender
Weg gezeigt. Am 10. Februar flog von Karlsruhe aus
die Botschaft durch alle Lande: des Kaisers einzige
Tochter Viktoria Luise ward dem Enkel Georgs V. von
Hannover, dem Herzog Ernst August von Braunschweig
und Lüneburg, verlobt. Der Welfensohn hat die Hohen-
zollerntochter gefreit — Myrtenzweige werden ein ver-
söhnendes Band urn die beiden alten deutschen Fürsten-
geschlechter schlingen; ihr Ilochzeitsgeläute wird auch
dem deutschen Volk ein Zeichen neuer Erstarkung im
inneren Leben der Nation bedeuten.

Der Bräutigam (dessen richtiger Titel lautet: „Kö-
niglicher Prinz von Großbritannien und Irland, Herzog
zu Braunschweig und Lüneburg“; der Titel „Herzog
von Cumberland“ gebührt nur dem Vater und vererbt
sich erst nach dessen Tod auf den ältesten Sohn, einen
„Prinzen von Cumberland“ gibt es überhaupt nicht)
steht im 26. Lebensjahre und diente seit mehreren
Jahren in der deutschen Armee, als Oberleutnant im
bayrischen Ersten Schweren Reiterregiment. Unmittel-
bar nach seiner Verlobung mit der Prinzessin Viktoria
Luise trat er in die preußische Armee über und wurde
von seinem künftigen kaiserlichen Schwiegervater dem
Zietenhusarenregiment überwiesen, dessen Chef auch
einst sein Großvater gewesen war. Durch den von ihm

geleisteten Fahneneid und den schon früher ausge-
sprochenen förmliclien Verzicht auf alle hannöverschen
Ansprüche befindet sich Herzog Ernst August gegen-
über dem Deutschen Reich in wesentlich anderer staats-
rechtlicher Stellung als sein Vater. Das für diesen
bestehende Hindernis, den Thron zu Braunschweig einzu-
nehmen, kann als für den Sohn beseitigt gelten. Dem-
zufolge wird die Kaisertochter aller Voraussicht nach

Prinzessin Viktoria Luise von Preußen
und Herzog Ernst August von Braunschweig.

Phot. Erich Benninghoven, Friedenau.

wohl in nicht zu ferner Zeit als Landesmutter in der
alten Welfenresidenz an der Ocker walten.

Reiche geschichtliche Erinnerungen werden sie dort
grüßen. An Ileinrich den Löwen erinnert Breymanns
Brunnendenkmal auf dem Hagenmarkt. Dem Gedächtnis
der beiden Braunschweiger Ilerzöge, die zu Beginn des
19. Jahrhunderts den Heldentod starben, ist ein eiserner
Obelisk auf dem Monumentsplatz geweiht. Beide be-
sitzen überdies Reiterstandbilder auf dem Schloßplatz.
In lieblich fruchtbarer Gegend liegt die künftige Iieimat

der Prinzessin-Braut. Besonderen Reiz verleihen den
älteren Teilen der Stadt die vielen Bürgerhäuser, die,
aus fernen Jahrhunderten stammend, trefflich erhalten
sind im Schmuck ihrer buntgemalten, reich geschnitzten
Holzverzierungen.

Den Eltern ilires Verlobten wird Viktoria Luise
zum erstenmal im Schloß zu Gmunden begegnen, wo
der Herzog von Cumberland seit einem Menschenalter
residiert. In Oberösterreich, am Ufer des herrlichen
Traunsees, hat sich der Ilerzog ein stattliches Schloß
im Stile des 13. Jahrhunderts gebaut. Ein mächtiger
Steintunnel bildete lange Zeit den einzigen Zugang. Erst
seit etwa einem Jahrzehnt führt eine kunstreich ange-
legte Straße zu dem stolzen Fürstensitz, in dem sich so
recht der selbstbewußte Sinn des alten Dynasten-
geschlechts spiegelt. Die Straße mündet auf der Nord-
seite in ein mächtiges Portal. Mit ehrfürchtigem Staunen
weilt der Blick des Beschauers auf der hochgewölbten
Halle, die ihn beim Eintritt in das Schloß empfängt.
Die „Welfenhalle“, wie sie genannt zu werden pflegt,
ist mit künstlerischen Fresken in maurischem Stil ge-
ziert. Ueberall grüßen von den Wänden und Pfeilern
die Figuren des welfischen Wappens: Rosen, Disteln
und Kleeblatt. Waffen und Rüstungen aus der kriege-
rischen Vergangenheit des trutzigen Geschlechts, Tro-
phäen aus zahlreichen siegreichen Feidzügen sind stumm
beredte Zeugen einer vielbewegten Geschichte. Ins-
besondere fallen dem Beschauer einige Kanonen ins
Auge: sie stammen aus den letztenTagen des einstigen
Königreichs Hannover.

Auch reiche Schätze birgt das Schloß des Herzogs
von Cumberland. Namentlich ist dort jetzt die früher
in Wien (im Österreichischen Museum) aufbewahrte
Sammlung mittelalterlicher Gegenstände verwahrt: Mon-
stranzen, Altäre, kostbare Schreine und Truhen aus dem
12. und 13. Jahrhundert, funkelnd in Edelmetall, Edel-
gestein und kunstvoller Emailarbeit. Erwähnt sei auch
der berühmte Perlenschmuck des welfischen Hauses, der
nebst vielem andern Geschmeide in den Salons des
herzoglichen Schlosses zu sehen ist.

Mit dem Blick auf das Ilöllengebirge tritt man vom
Schloß auf eine breite, wüchtig vorgelagerte Bastion.
Dort steht ebenfalls ein Wahrzeichen einstiger welfischer
Größe: der eherne Löwe, den 1116 Heinrich der Löwe
auf dem Burgplatz zu Braunschweig errichtete, um
seiner Oberhoheit in den niedersächsischen Landen ein
trutziges Sinnbild zu verleihen. An ihm vorüber mag
das in jungem Liebesglück sich sonnende fürstliche
Brautpaar in den kommenden Frühlingstagen so manches-
mal nach dem weiten Park hinabsteigen, den Blick nicht
zurückgewendet in die düstere Vergangenheit, sondern
frohen und beglückten Herzens ausblickend in eine helle
Zukunft, da Erfüllung finden wird, was so lange die
Sehnsucht aller guten Deutschen bildete: Versöhnung
der alten Dynastien Hohenzollern und Welfen.

Bongs Schön-Bücherei.

Soeben überrascht das Deutsche Verlagshaus Bong
& Co. den deutschen Büchermarkt mit einem neuen
Unternehmen, das die Aufmerksamkeit des Publikums in
reichstem Maße fesseln wird. Hier erschließt sich eine
Bibliothek der Kultur und des Geschmacks, deren ein-
zelne Bände in zwangloser Folge Stoffe von mensch-
lichem, kulturellem und geschichtlichem Reize in mo-
derner und leicht zugänglicher Fassung darbieten. In
wem also derWunsch lebt, mit Blütezeiten der Mensch-
heit, mit bedeutenden Persönlichkeiten, mit den geistigen
Strömungen der Gegenwart und der Vergangenheit
schnell und leicht Fühlung zu gewinnen, der braucht
nur nach diesen Bänden zu greifen! Er findet alles
Fesselnde und Wissenswerte von ersten Autoren in
geistvoller und anregender Form, dem modernen Emp-
finden entsprechend, leicht und graziös vorgetragen, und
wird gleichzeitig an der buchkünstlerisch originellen Aus-
stattung seine Freude haben. Der Verlag hat dafür ge-
sorgt, daß diese Bibliothek sowohl den ästhetisch an-
spruchsvollen Teil des Publikums befriedigt, wie auch
der breiten Masse der Leser durch den billigen Preis
zugänglich wird. Jeder Band kostet nur 2 M.

Dies ist das vielversprechende Programm des neuen
Unternehmens. Daß es erfüllt werden wird, dafür
bürgen die Namen des Verlegers und der Autoren. Eine
beweiskräftige Probe legt schon der soeben erschienene
erste Band dieser Bibliothek ab. In Erinnerung an uen
deutschen Befreiungskampf vor lOOJahren hat der Ver-
lag die Serie der Schön-Bücherei mit einem Denkmal
jener großen Zeit eröffnet. Unter dem Titel „Goldgab
ich für Eisen“, dem Symbol für die Gesinnung der
Kämpfer von 1813, bietet Dr. Ernst Müsebeck, Archivar
im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin, ein vorzüglicher
Kenner der Zeit, ein vortreffliches Bild jener großen
Zeit. Wohl sind die historischen Ereignisse der Be-
freiungskriege jedermann bekannt. Was dem Leser aber
fremd zu sein pflegt, ist der Geist der Zeit, es sind
die Erlebnisse der einzelnen Menschen; und gerade
diese Dinge bilden den Inhalt des vorliegenden Buches.

Aus Berichten und Briefen derjenigen, die jene gewal-
tige Epoche miterlebt und miterlitten haben, aus Tage-
büchern, Verordnungen, Zeitungsnachrichten setzt Sich
die Geschichte der Zeit von 1806 bis. 1815 zusammen.
Noch einmal wird der Schmerz der Patrioten beim
Untergang des alten Reiches und bei dem Sturz Preußens
Wirklichkeit, noch einmal aber auch die Gesinnungslosig-
keil weiter Kreise lebendig. Noch einmal durchleben wir
das Ringen um eine Wiedergeburt, Hoffnung und Ent-
täuschung während Napoleons Krieg mit Österreich; mit
der Großen Armee ziehen wir nach Rußland, machen
die Schrecken des Rückzuges mit, und noch einmal er-
faßt uns die Begeisterung, da nun dasVolk aufsteht und
den Tyrannen niederwirft. — „Gold gab ich für Eisen“,
so stand auf den eisernen Trauringen, für welche man
seine goldenen hingab, um den Kriegsschatz aufzu-
bringen: ein Zeichen der Opferfähigkeit eines ganzen
Volkes im Dienste einer Idee. Ein Denkmal dieser Ge-
sinnung soll auch das vorliegende Buch sein.

Für diesen gediegenen Inhalt hat der bekannte Buch-
schmuckkünstler Willi Belling den angemessenen Rahmen
gegeben, so daß der erste Band der Schön-Bücherei
den Wunsch erregt, recht bald weitere Bücher in
Händen zu haben. Bereits angekündigt ist „Das Bie-
dermeier im Spiegel seiner Zeit“. In ihm hat
einer der feinsten Nachempfinder jener Kulturwelle
zwischen 1815 und 1848, Georg Hermann, eine fast
unübersehliche Fülle von Dokumenten zusammen-
getragen, als Briefe, Tagebücher, Memoiren, Zeitungs-
berichte, Gassenhauer, kurz die tausend Formen, in
denen eine Zeit sich ausspricht, und aus denen ihre
Stimme nun an unser Ohr dringt. Da sehen wir den
uns so vertrauten Biedermeier in seinen vier Pfählen,
wir begleiten ihn in Konditoreien und Gartenlokale, wir
lassen uns zu Tanz und Konzert führen, besuchen den
Weihnachtsmarkt und machen den Stralauer Fisch-
zug mit. Wir lernen auch den Hof aus der Nähe kennen,
Leute vom Theater treten auf, die literarischen Kreise,
und was damit zusammenhängt, werden uns in scharfen

Porträts vorgeführt. Endlich darf auch das politische
Leben nicht fehlen, Turner und Burschenschafter ziehen
vorbei, wir sehen die Demagogenverfolgung wüten, die
Zensur ihres Amtes walten, und werden schließlich
nach mancherlei Sturmzeichen mit der Gestalt Friedrich
Wilhelms IV. bis zum Jahre 1848 geführt.

In Bongs Schön-Bücherei ist ferner schon heute
„Lebensweisheit“ von Bruno Wilie angekiindigt. In
diesern Buche legt der bekannte Schriftsteller und Phi-
losoph, der ein Führer und Lehrer wahrerLebensfreude
geworden ist, seine tiefe Lebensweisheit nieder. Aber
sie wird auf eine höchst originelle Weise geboten: nicht
mit Willes eignen Worten in Form einer lehrhaften Ab-
handlung, sondern durch geschickt ausgewählte und sinn-
gemäß aneinandergereihte Gedanken und Verse be-
deutender Denker und Dichter aller Zeiten und Völker.
So wächst diese Lehre, die Bruno Wille selbst in der
Einleitung zusammenfaßt, aus der geistigen Arbeit der
Menschheit hervor. Die hier gebotene Blütenlese bald
geistvoller, bald tiefsinniger, bald fröhlicher, bald skep-
tischer Aussprüche und Verse, die auch einzeln einen
hohen Genuß bieten, setzen sich also zu einem einheit-
lichen Ganzen zusammen — zur „Lebensweisheit“ im
Sinne Bruno Willes.

Als letztes der Werke, die Bongs Schön-Bücherei
anzeigt, seien „Briefe der Liebe“ von Camill Ilof-
mann genannt, eine Sammlung von Dokumenten des
Herzens aus zwei Jahrhunderten europäischer Kultur.
Sie zeigt überraschend, wie sich die verschiedenen
Zeiten vom Rokoko bis zur Gegenwart in der Liebe
wiederspiegeln. Das Schicksal einer langen Reihe her-
vorragender Menschen zieht an uns vorüber: Alte und
Junge, Männer und Frauen; Dichter, Komponisten, Könige,
Feldherren und Staatsmänner, Deutsche, Franzosen, Eng-
länder, Russen. Sie zeigen sich uns in der persön-
lichsten Kundgebung: im Briefe, und in demjenigen
Briefe, der am meisten das innerste Wesen des Schreibers
verrät: dem Liebesbrief. So wird das reiche und bunte
Buch zu einem Welttheater der Leidenschaft; die mensch-

XXVII. 15. B. 1.
 
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