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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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7. Heft
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Abeking, Hermann: Moderne Holzplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0200

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MODERNE KUNST.

95

H. J. Pagels: Weinsberger Weibertreue. Holzplastik.

er Plastiker ist der
Diener seinesMa-
terials. Umdieses
zu beherrschen, ist es ihm
zunächst geboten, sich mit
seinein ganzen Fühlen ver-
traut zu machen niit der
porösen Weichheit des
Sandsteins, der glatten und
doch so lebhaft warmen
Fläche des Marmors, der
undurchdringlichen heroi-
schen Starrheit der Bronze.
Der Bildhauer, der den
weiclien Ton in den Hän-
den fühlt, weiß doch zu-
gleich die Struktur des-
jenigen Materials zu em-
pfinden, für das er seine
Arbeit gedacht hat. Hier
ist Wahrheit mehr denn
irgendwo am Platze. Ein
Kunstwerk, das für Mar-
mor bestimmt ist, ist un-
möglich in Bronze, eines,
das in Bronze empfunden
ist, unmöglich in Marmor
wiederzugeben. Gleich-
zeitig mit der Idee em-
pfängt der Bildhauer die
Eingebung des Materials.
So wird ihm für die knos-
pende Gestalt eines jungen
Mädchens der Marmor, für den festen, muskelstrotzenden Leib des Kriegers die Bronze,
für die geschlossene Masse des Giganten der Sandstein das Gegebene sein. Ohne
daß hier eine Norm aufgestellt werden kann, wird der rechte Kiinstler doch stets
Idee und Material zur glücklichen Einheit verschmelzen.

In den letzten Jahren hat sich das Gebiet der Plastik erweitert. Es gab eine
Zeit, in der ihr allzu scharf die Grenzen gezogen wurden. Die beweglichere Schwester
der Plastik, die Malerei, ging schon längst andere Wege. Mit wachen Augen schaute
sie um sich, sie griff auf, was ihre nächste Umgebung ihr bot, selbst das ar.scheinend
Geringste war ihr wert. Auch das Lachen hatte sie nicht verlernt. Viele ihrer Jünger
vertauschten den Pinsel mit dem : .unteren Stifte, und wenn der Malerhumorist dereinst
keine seltene Erscheinung war, so trat er jetzt doch zünftig auf, bildete einen Kunst-
zweig für sich, dem er schnell die Anerkennung und das freudige Interesse der Mit-
welt sicherte.

Die Plastik hielt sich lange von dem Humor und dem Genre fern. Gewiß, sie
war zu neuem Leben erstanden, Rodin gab ihr den Reiz des warmen pulsierenden
Blutes, Meunier führte sie mit rauher Hand an die Stätten der alltäglichen Arbeit.
Aber den Schritt zum Humoristischen hemmte das Material. Ein lachender Marmor?
Eine lustig verzerrte Bronze? Nein, die Stilwidrigkeit, die das unvergänglich Edle,
Kostbare zur Dienerin einer kecken Impression oder ergötzlichen Laune gezwungen
hätte, war zu groß. Da galt es denn ein anderes Material zu finden, das sich dem
Stoffe fiigte und so stieß der Bildhauerhumorist auf die Holzskulptur.

Die altgepflegte Holzskulptur bewegte sich und bewegt sich noch auf zwei an-
scheinend entgegengesetzten Gebieten, dem religiösen und dem trivial gebrauchsmäßigen.
Dieser Gegensatz überbrückt sich leicht, wenn wit' als Ausübende dieser Kunst schlichte
Handwerksmeister und Bauern sehen, die in ererbter Weise den religiösen wie alltäg-
lichen Bedürfnissen ihrer Abnehmer gerecht werden. Im Mittelalter kam die Holz-
bildhauerei zu großer Blüte. Es ist daher erklärlich, wenn unsere heutigen Bildhauer,
die auf das Holz zurückgreifen, trotz aller moderner Empfindung und trotz der
Wahl moderner Stoffe mittelalterlichen Anklängen nicht entgehen. Das, was die
Tradition der Jahrhunderte nur möglich macht, haftet dem Holze noch immer an:
Seine Volkstümlichkeit, die Liebe auch des einfachen Mannes zu dem Material,
das auf deutschem Boden gewachsen und nicht in fernen Steinbrüchen gebrochen
worden ist. Auch aus diesem Grunde mußte sich das Holz zur Darstellung volks-
tümlicher und humoristischer Szenen ganz besonders eignen. Bedingt es doch ferner
eine kräftige, nicht allzu glättende und ästhetisch verfeinerte Hand, einen kräftigen
gesunden Sinn, der eher bäuerische Derbheit als spielerische Gewandtheit aus-
drücken darf.

Die Große Berliner Kunstausstellung 1912 brachte eine kieine Sammlung von
Holzskulpturen zusammen, die zu rechter Zeit geeignet war, die Kunstwelt auf den
neu erweckten Zweig aufmerksam zu machen. Wenn wir hier zunächst den Narnen

Modernc M(olzplastik. -

Von Hermann Abeking.

[Nachdrnck verboten.]

und das Werk Ignatius Taschners herausgreifen, so ist dieser Umstand kein zufälliger.
Taschner vereinigt in sich die Eigenschaften, die ihn zuverlässig als den ersten
auf dieses Gebiet führen mußten. Taschner ist Bildhauer; gleichzeitig hat er sich
als humoristischer Zeichner einen Namen gemacht. Und wieder ist die Strichtechnik
seiner Zeichnungen und Vignetten so sehr der mittelalterlichen verwandt, ist so
knorrig und so scharf zugeschnitten, daß es von diesen Zeichnungen ausgehend zur
Holzskulptur nur einen Schritt zu tun brauchte. So ist sein Wanderer denn auch ein
fertiges und in sich abgeschlossenes Werk, das keine Schwierigkeiten kennt und in
Ruhe und Einfachheit aus dem Material hervorgewachsen erscheint. Taschners Figur
nimmt den typischen Handwerksburschen, der seines Weges dahintrottet, zum Vor-
wurf. Aber wie ist dieser Vorwurf gestaltet! Ein geradezu sonniger Humor, der sich
von der krassen Karikatur wieder weise fernhält, ist über das Männchen gebreitet.
Der große Beulenhut sitzt schief und doch so wundervoll organisch auf dem Kopfe.
Die verwitterten Züge verraten mit ihrern leisen Unterklang von Hunger und Sorge
den lächelnden Philosophen, als welcher der Sohn der Landstraße dem Herzen des
Volkes so nahe steht, halb verlacht und halb bewundert. Ebenso humorvoll wie der
Kopf sind die weiteren Partien behandelt. Die nach vorn geneigte Haltung, der
rückwärts gebeugte Arm illustrieren prächtig das lässige, gewohnheitsmäßige Wandern.
Der Stoff des Anzugs ist mit seinen scharfen, charakteristischen Falten gleichfalls
lustig und materialgerecht behandelt. Einige liebevolle Details, die dennoch den
scharfen Schnitt des Holzmeißels nicht verleugnen, so die Hand und das Bündel,
erhöhen den Reiz des gesanrten Kunstwerks.

H. J. Pagels greift nicht nur in der Technik, sondern auch im Stoff auf das
Mittelalter zurück. Die Weinsberger Weibertreue, jene Heldentat der Frauen, die nie
verfehlen wird ein satirisches Streiflichtlein auf deren Männer zu werfen, gibt Pagels
den willkommenen Vorwurf für seine Gruppe. Man glaubt es Pageis gern, daß seine
kräftige Bürgersfrau den Ehgenrahl, wohl ein ehrsames Schneiderlein, mit Leichtigkeit
als liebstes Gut auf dem Rücken trägt. Der derb zuversichtliche Ausdruck der Frau
und das ängstliche Spähen des Gatten, der noch nicht so recht weiß, wie das Ding
ausgehen wird, bieten einen höchst komischen Kontrast. Auch der Hühnerdieb des
gleichen Kiinstlers, ein Bursche in Federhut und Wams, aus dessen Taschen der ge-
stohlene Hahn und Henne, wohl gar noch auf offenem Markte, freiheitsdurstig hervor-
schauen, ist des Lacherfolges sicher. — Typen der Großstadt bringen Oskar Garvens
und Fritz Heinemann. Heinemanns schmunzelnde Berliner „Blumenfee“, so recht ein
Orginal von der Straße, ist vollendet in der Lebendigkeit des Persönlichen. Der Korb
mit den Rosen ist vortreffliche Kleinarbeit. Die Bank von Oskar Garvens ist eben-
falls aus einer Impression auf der Straße entstanden. Die Obdachlosen vereinigen
sich auf ihr zu einer ruhenden Gruppe. Hier mag das soziale Empfinden,
das Mitleid mit den
Armen überwiegen,
wenn auch die Ge-
stalten in Stellung
und Auffassung
eines etwas grotes-
ken Humors nicht
entbehren. — Ganz
köstlich ist das Por-
trät einer jungen
Zwergbulldogge von
Martin Meyer-Pyritz,

Die lockere Haut
auf dem ungefestig-
ten Körper ist im
Holze meisterhaft
wiedergegeben. Die
noch blöden Augen,
die großen hochsteh-
enden Ohren sind
bei realistischer Beo-
bachtung von außer-
ordentlicher Komik.

— Sehr drollig ist
Walter Hauschilds
Babyköpfchen mit
den im Weinen ge-
schlossenen Lidern
und dem offenen
Mäulchen. Hau-
schilds feine Arbeit
zeigtzugleich,welche
Möglichkeiten die
Holzskulptur auch
als Relief zuläßt.

Fritz Heinemann: Berliner Blumenfee. Holzplastik.
 
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