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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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20. Heft
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Roeder, Fritz: Kaiser Wilhelm der Zweite als Staatsmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0599

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Photographische Gesellschaft, Berlin.

A. von Werner: Der Kaiser gratuliert Moltke zum 90. Geburtstage, 26. Oktober 1891.

Kaiser Wilhelm der Zweite als

Staatsmann.

Von Dr. Fritz Roeder, Berlin-Friedenau.

-- " -- [Nachdruck verboten.]

NJLfem 15. Juni 1888 schloß Kaiser Friedrich der Dritte seine Augen zum
ewigen Schlummer. Wilhelm der Zweite ühernahm die Würde und
Bürde des kaiserlichen Amtes. Zehn Tage später eröffnete der jugend-
liche Herrscher den Reichstag. Mit bedeutungsvoller Feierlichkeit ward dieser
wichtige Akt begangen: um des Reiches Oberhaupt scharten sich fast alle deut-
schen Bundesfürsten, an ihrer Spitze der greise Prinzregent Luitpold von Bayern,
König Albert von Sachsen und Großherzog Friedrich von Baden. Moltke, der
Deutschlands Siege in den Emigungskriegen erfochten hatte, befand sich an der
Spitze der Führer des Heeres. An den. Stufen des Throns stand Fürst Otto von
Bismarck, des Reiches gewaltiger Ranzler, an dessen Namen sich die stolzesten
Erinnerungen deutscher Staatskunst während des vorangegangenen Vierteljahr-
hunderts knüpften.

An jenem denkwürdigen 25. Juni gab Kaiser Wilhelm in seiner Thronrede
die Gedanken kund, von denen er sich bei seiner Regierung leiten zu lassen
gedachte: „Ich bin entschlossen, die Wege zu wandeln, auf denen Mein hoch-
seliger Herr Großvater das Vertrauen seiner Bundesgenossen, die Liebe des
deutschen Volkes und die wohlwollende Anerkennung des Auslandes gewonnen
hat, daß auch Mir dies gelinge, steht bei Gott; erstreben will ich es in ernster
Arbeit.“ Nach zwei Richtungen hin gab Kaiser Wilhelm seine Absichten insbe-
sondere betonten Ausdruck — in der inneren Politik in bezug auf die Weiter-
führung der von Wilhelm dem Ersten begonnenen Sozialgesetzgebung; in der
äußeren Politik hinsichtlich der Wahrung des Friedens. In beiden Richtungen
hat Willielm der Zweite in dem ersten Vierteljahrhundert seiner Regierung un-
entwegt an der Verwirklichung seiner Absichten gearbeitet. Das von seinem
Großvater mit der Botschaft vom 17. November 1881 begonnene Werk der An-
bahnung sozialen Friedens im Innern des Reiches hat seitdem eine vielfache
Ausgestaltung und mächtige Förderung erfahren. Nach außen hin ist es gelungen,
die Interessen des Reiches zu wahren, das Ansehen und die Macht Deutschlands
zu mehren, ohne in größerem Umfange Gebrauch machen zu müssen von dem
äußersten Mittel der Staatskunst, dem Kriege.

Was Wilhelm der Zweite als Staatsmann erreicht hat, ist ihm nicht mühe-
los beschieden worden. In der inneren Politik stieß er nicht nur bei vielen
Volksgenossen, sondern vor allem bei dem greisen Fürsten Bismarck auf heftigen
Widerstand. Die Gegensätze verschärften sich sogar soweit, daß der Kaiser ge
zwungen war, auf die Mitarbeit des treuen, aber allzu selbstbewußten Beraters
seines Vaters und Großvaters zu verzichten. In der auswärtigen Politik hat
Wilhelm der Zweite fünfundzwanzig Jahre festgehalten an dem, was seine erste
Thronrede aussprach: „In der auswärtigen Politik bin ich entschlossen, Frieden zu
halten mit jedermann, soviel an Mir liegt. Meine Liebe zum deutschen Heer und
meine Stellung zu demselben werden Mich niemals in Versuchung führen, dem
Lande die Wohltaten des Friedens zu verkümmern, wenn der Krieg nicht eine
durch den Angriff auf das Reich oder auf dessen Verbündete uns aufgedrungene
Notwendigkeit ist.“ Aber diese ehrlich und energisch durchgeführte Friedens-
politik begegnete oft großen Schwierigkeiten. Ihre Ursache lag und liegt in der
ungeheueren und ungeahnten Aufwärtsentwicklung, die das Deutsche Reich
namentlich auf wirtschaftlichem Gebiet im vergangenen Vierteljahrhundert ge-
nommen hat.

Die Anfänge dieser Entwicklung gehen natürlich viel weiter zurück als bis
zum Beginn der Regierungszeit Wilhelms des Zweiten. Aber zunächst mußten
erst die Nachwehen der „Gründerzeit“ überwunden werden. Dann begann all-
mählich die Ende der siebziger Jahre von Bismarck eingeleitete neue Wirtschafts-
politik sich fühlbar zu machen. Die deutsche Industrie erstarkte. Der deutsche
Handel blühte immer mehr auf. Die Landwirtschaft gewann neue Impulse und
neue Kraft. — LTm die Wende des achten und neunten Jahrzehnts erkannte die
Welt immer deutlicher, daß das Volk der Dichter und Denker nicht nur zu einem
Volke der Krieger und Sieger auf blutgetränkten Schlachtfeldern, sondern auch
auf den Gefilden wirtschaftli.chen Wettbewerbs geworden war. Das mußte zu
den alten Gegnern neue gesellen. Gegner, weil schließlich jeder Wettbewerb
Gegnerschaft bedeutet, Am bedeutungsvollsten ward unter diesen Umständen
das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Frankreich und England.

XXVII. 64.
 
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