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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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10. Heft
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Anwand, Oskar: Traum und Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0290

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Josef Magr: Das Schicksal.

eTraum und Ipichtung.

c

Von Dr. Oskar Anvvand.

Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
Und sende lange meinen Blick nach oben,
Von Grillen rings umzirpt ohn’ Unteilaß,
Von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Die hohen weißen Wolken zieh’n dahin
Durchs tiefe Blau wie schöne stille Träume —
Mir ist, als ob ich längst gestorben bin
Und ziehe selig mit durch ew’ge Räume.

3

st es ein wacher Traum, der den im Grase ruhenden Wanderer umfängt,
^7 oder hat sein Geist sich dichtend erhoben? Wer wollte das entscheiden? Wir
alle sind im Traume Dichter; vielleicht liegt in dem Ahnen dieser Erkenntnis
eine der Ursachen, daß wir an unsern Träumen wie an einem romantischen
Spielzeuge Freude empfinden.

Denn zunächst ist es das Fremde, Seltsame, das die Menschen an ihren
Träumen fesselte und noch fesselt. Sie erscheinen ihnen als etwas von außen
Eingegebenes. Ja, bei derScheu, die der Mensch vor allem Rätselhaften empfindet,
glaubt er leicht, daß sich ihm eine geheimnisvolle Macht, Gott oder das Schicksal
im Traum offenbare, um ihn zu leiten oder zu warnen. Wenn Pharao im
Schlummer Gesichte sah, ließ er die Weisen rufen, die ihm den verborgenen
Sinn seines Königstraums deuten sollten, wie z. B. Joseph das Symbol der
sieben fetten und sieben mageren Kühe auslegte. Als ein „Dichten“ faßten die
alten Völker dieses Auslegen von Zeichen und Träumen, dieses Sehen in die
Zukunft auf. Hier spielten die Träume einst eine ähnliche Rolle wie die Sterne,
die gleichfalls als etwas Seltsames, Unfaßbares erschienen; Sternen- und Traurn-

[Nachdruck verboten.]

deuterei hatten denn auch ihre phantastischen Zelte dicht nebeneinander aufge-
schlagen. Aber viel innerlicher und inniger bis zum Kern des beiderseitigen Wesens
dringen die verbindenden Elemente. Die Entstehung des griechischen Dramas
erklärte Nietzsche aus dem Traumgeiste des Apollo und dem Rauschgeiste des
Dionysos, ebenso ist unsere Dichtung aufs mannigfachste mit Traumelementen
durchsetzt. Kunstwerke sind nichts als Träume der Künstler, die feste, dauernde
Gestalt angenommen haben. Die Worte eines Gedichts, die Töne einer Sonate,
die Farben und Linien eines Gemäldes haben an und für sich kein Leben. Sie
empfangen es nur dadurch, daß sie von all dem Ahnen, Empfinden und Erkennen
Kunde geben, das der Künstler in sie hineingeträumt hat und das uns nun wieder
in den Bann seiner Träutne zieht. Künstler ist der, dessen übervolle Seele mit
wachen Sinnen einen Traum heraufbeschwört und festhält, bis er ihm mit
idealisierendem Können Ausdruck verliehen hat. Ja, selbst dem Traumwandler
gleicht der Künstler. Wie er, befindet er sich im Zustande halbhellen Wachens.
Wie er, wird er durch ein inneres Müssen und Empfinden mit einer Sicherheit
geleitet, die ihm die grelle Kiarheit des Verstandes und sorgliches Überlegen
nicht gewähren können. Wie er, sinkt er leicht von seiner Höhe herab, wenn
er zum scharfen Licht der Wirklichkeit erweckt wird.

Denn von der Wirklichkeit unterscheiden sichTraumund Dichtung, obgleich
sie ihr die Bausteine zu ihren phantastischen Schlössern entnehmen, in einem
wichtigen Punkte. Die Anordnung der Bilder und Elemente, die wir durch das

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