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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Malten, L.: Die Geheimnisse des Souffleurkastens
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64

MODERNE KUNST.

Das kommt vor. Armer Kerl! Oder er hat einen Bart. Das ist ein
Unfug. Bärte beim Theater haben nur im angeklebten Fall eine Berechtigung.
Oder er ist einmal noch tiefer hinuntergestiegen wie in den Souffleurkasten
und hat beim Küfer im tiefen Keller die duftende Blume genossen. Da kommt
auch vor . . . Am Ende — auch der Souffleur ist ein Menschenkind — und
wer hätte die vertrocknete Kehle zu feuchten weniger — — oder mehr
Berechtigung?

Aber der Souffleur ist nicht nur verantwortlich für das Wort des Mimen.
In seiner Hand liegt noch viel mehr von den Geheimnissen der Bretter, die die
Welt bedeuten. Er ist es, der das Stück in jeder Beziehung am Schnürchen hält,
der imstande ist ihm einen frühen Tod oder ein langes Leben zu geben, voraus-
gesetzt, daß er über einen wertvollen Nerv verfügt, denn der Souffleur beherrscht
seinen Anfang und das Ende. Er ist es, von dessen kundiger Hand das Zeichen
zum Inspizienten fliegt, wann der Vorhang den Aktschluß herunterfallend be-
siegelt. . . Sorgfältig wird dieser große Moment vorbereitet. Ein erstes Klingel-
zeichen auf den elektrischen Knopf rechts im Kasten bedeutet, daß der Vorhang-
zieher auf der Hut zu sein hat. Es wird sozusagen nur als Weckruf erlassen.
Erst beim zweiten Klingeln fällt die Gardine. Und den rechten Moment so zu
treffen, daß der Effekt auch nicht um eines Haares Breite von seinem Glanz
verliert —, das ist die Kunst des Geistes, der in seinem gepolsterten Hüttchen
sitzt und.die Vorstellung eigentlich nur nach den Füßen der Mitwirkenden be-
urteilen könnte, wenn er ihren Kopf nicht nach den Buchstaben beherrschte, die
er unermüdlich zu ihnen hinaufflüstert. Und wie flüstert!. . . Denn von denNuancen,
mit denen jeder einzelne Mime das Gelingen seiner Rolle abhängig macht, gibt
es unzählige, und kein Laie kann sich einen Begriff machen, was der arme
Flüstergeist für ein Gedächtnis haben muß, um alle die Wünsche, Befehle, zarte
Bitten und energische Drohungen zu behalten, die ihm Abend für Abend, je nach
dem Fach oder dem Charakter, Alter oder Jugend zu berücksichtigen aufgegeben sind.

„N.— mir nur den Anschlag — hören Sie --- die ersten drei Worte —

nicht mehr — keine Silbe mehr — merken Sie sichs, sonst komm ich raus aus
dem Text anstatt hinein —!“ raunt ihm der Ileld vor Beginn ins Ohr. Der
Brave macht sich ein Zeichen im Buch und murmelt eine Entgegnung.

„Schreien Sie nicht wieder in die Pause — N. wie gestefn'l —, sagt der
Väterspieler, „aber den Anschlag muß ich natürlich hören —!“

Rautendelein bettelt: „Jedes Wort, goldenes N.chen, ich bin ganz neu und
habe so schnell gelernt — —!“ Er verbeugt sich lächelnd, macht sein Zeichen
und ein besonderes, denn Rautendelein ist süß — sein Schwarm — und für ge-
wöhnlich kann sie ihre Rolle wie geschmiert.

Und der Nickelmann lächelt, nickt ihm zu, sagt gar nichts, denn N. kennt
ihn. Jedes Wort . . . Und wenn ers nicht hört — doppelt. . . Der hats leicht,
sitzt beinahe neben ihm, der alte gute Brunnengeist — — sein Kollege aus der
Unterwelt und zum Schluß kommt der allmächtige Herr Regisseur und sagt:

„Aufpassen N.— und plärren Sie sie nicht so laut, verstanden —!“ Und
dann gehts los. Wie ein festgespanntes Seil, das sich von einem zum andern
zieht und das unten endet im geheimnisvollen Souffleurkasten, wo es fest-
gebunden an den Silben liegt, die der Flüstermann heraufschickt zu den ein-
zelnen. Es muß eine Lust sein, so mitzutun! Ach ja . . . Denn die Plage, die
Verantwortung — die Schwere der Arbeit — sie alle unterliegen dem Beifalle

der Menge, der sie zudeckt — vergessen macht . . . Denn die blühende Krone
des Abends ist der Erfolg.

An den großen Theatern, wo der Spielplan Wiederholungen aufweist, hat
es der Mann im Souffleurkasten nicht zu schwer. Aber an den kleinen an den
Wanderbühnen nun gar da sieht es mitunter freilich wunderlich genug aus. Der
Souffleurkasten ist gewöhnlich beim Bau des —- Theaters — das seinen Ursprung
einer alten Scheune und nicht selten den Grundlagen eines Stalles verdankt, gar
nicht ins Auge gezogen . . . ungefähr wie die Garderoben. Dafür werden hinter
den Kulissen ein paar Leinwand- oder Dekorationsfetzen angenagelt —, im gün-
stigsten Fall ein Bretterverschlag gemacht —, rechts für die Weiblein und links
für die Männlein! Aber der Souffleurkasten . . . Das ist am Ende nicht mehr
wie ein Ausschnitt vorn auf der Rampe und darüber wird ein beklebter Kasten
gestülpt. Vor dem Aufrollen des Vorhangs klettert nun der ärmste Flüstergeist
in dieses buchstäblich grausige Loch. Natürlich ist der Kasten nicht einmal ge-
polstert innen wie an den richtigen Theatern —, der Schall fliegt rückwärts ins
Publikum und die vornehmsten Besucher, die bekanntlich die ersten Sitzreihen
innehaben, genießen die Vorstellung doppelt. Elektrische Leitungen gibts nicht.
Kaum Gas. Der übelste Souffleurkasten ist der, welcher vor die Rampe
geschoben wird —; in der Tat nichts mehr als ein Kasten, in dem ein Stuhl
Platz hat. Und es ist ein komischer Moment, wenn der notwendige Einblaser
vor den erstaunten Augen des Publikums darinnen verschwindet. Traurig ists
freilich, daß der arme Helfer drei bis vier Stunden drin kampieren muß und
sich noch nicht einmal besonders regen darf, wenn er rücklings kopfüber nicht
die unfreiwillige Reise ins Publikum machen will. Warum kommt der Mann
nicht heraus nach den Aktschlüssen und erholt sich in den Pausen von seiner
anstrengenden Tätigkeit . . .? Warmherziger Frager, weißt du nicht wieviel
Schamgefühl in der Seele des Aermsten unter den Armen steckt, die ihren
Thespiskarren mutig von Ort zu Ort ziehen . . . wieviel künstlerisches Emp-
finden ... Er schämt sich. — Das sind die kleinen Tragiken, mit denen dieses
herbe Künstlerlos vollgestopft ist bis an das Ende seiner Tage, die ruhmlos er-
löschen — denn „die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze —“. Wer sollte
ein kümmerlich Blättchen auf solchem vergessenen Grabe pflanzen . . .

Ein Beispiel rührender Ergebenheit und Treue ist der alte Salomon, der
Souffleur Edmund Keans, der seinen Meister über manche Klippe hinweg zum
Siege führte, denn der große englische Mime war ein zügelloser Geist, ebenso
wild und leidenschaftlich, wie er genial und hinreißend' war. Sein Faktotum
wußte ihn indessen immer wieder auf den rechten Weg zu bringen; er brachte
ihn aus den entlegensten Spelunken zur rechten Stunde in die Garderobe und
hielt ihn vom Kasten aus mit rührender Mühe und Aufmerksamkeit fest im
Zaunie, denn der große und verwöhnte Edmund Kean kannte keine Rücksicht
auf das Publikum. Er schrie seinen Haß und seine Liebe und nicht zuletzt seine
maßlose Eifersucht auf die schönen Frauen, die ihm recht offenkundig huldigten,
kühn über die Rampe hinweg in die erstaunte Menge. Aber Salomon riß ihn
mit der Gewalt seiner Flüsterstimme und der Macht seiner treuen wachenden
Seele immer wieder zurück zur Wirklichkeit, zu seiner Kunst, die ihm dann die
Macht gab, seinen Fehler wieder gut zu machen. Salomons gibt es nicht viele.
Vielleicht weil es keine Keans mehr gibt . . . Alles in allem, der geheimnisvolle
Kastengeist hat keinen leichten Posten, aber doch eine schwere Verantwortung.

Unsere ßilder.

^twas von biblischer Stimmung liegt in F. M. Roganeaus Gemälde „Abend
q7 am Flusse“. Man fühlt sich in die patriarchalischen Zeiten des alten
Testaments versetzt, wo die Töchter Labans am Brunnen Wasser schöpften.
Rpganeaus Gemälde „Abend am Flusse“ atmet tiefe, stille Feierlichkeit und
rhythmischen Fluß der Komposition. Wie gut durchgeführt ist die aufsteigende Linie
von den Mägden, die das Wasser schöpfen, bis zu den königlich schreitenden
Gestalten, die schon mit den Krügen auf dem Haupte zurückkehren. Die
Landschaft mit ihrer ruhiger Einfachheit ergibt einen Klang aus versunkener Zeit.

* *

*

In die Zeit der Christenverfolgung, die unter Nero, Claudius und Diocletian
ihren Gipfel erreichten und Tausende von Menschen zur Belustigung des
römischen Schaupöbels in der Arena hinopferten, hat H. Courselles Dumont
den Stoff zu seinem Gemälde „In der Arena“ geschöpft. In irrer Verzweiflung
konnte sich die entblößte junge Christin vor den losgelassenen Raubtieren
noch auf eine Stufe in dem Zirkus retten; aber zähnefletschend ist schon ein
Löwe genaht und kauert sich zum Sprunge nieder, um die Beute herabzureißen.

* *

*

Der lockenden Gestalt der „Carmen“, dieser Verkörperung spanischer
Schönheit mit ihrer Anmut, Grazie und Treulosigkeit, je nachdem sie ihr Blut
treibt, hat C. Vincent in seiner Plastik Ausdruck verliehen. Im Tanz gibt er
Carmen wieder, zwei Rosen in ihrer Hand, die sie dann in hinterlistigem Spiel
dem Leutnant zuwirft. Dabei tritt die Bewegung und Schlankheit des Körpers
durch den schmiegsamen Faltenwurf des Kleides gut in Erscheinung.

* *

*

Ein Zug von Carmen haftet auch an der jungen Spanierin in Carlos Vasquez
Gemälde „Die diebische Elster“. Das junge, schöne Geschöpf, das beim

Diebstahl abgefaßt worden ist, scheint mit durchtriebenen Sinnen nur an ihre
Flucht zu denken. Prüfend faßt deshalb einer der katalanischen Gendarmen sie
ins Auge, um ihr Vorhaben noch rechtzeitig zu vereiteln.

* *

*

*

Italienische Anmut schildert P. Franc Lamy in seinem Bilde „Schwalben
von Venedig“, diesen Frauen und Mädchen, die ihr Spitzentuch mit anschmie-
gender Grazie tragen. Er bietet uns dabei einen Ausblick auf den Hafen von
Venedig, der rechts durch den Markusturm hinter dem Dogenpalaste und links
durch die Kirche San Georgio abgeschlossen wird. Ein anmutiges Bild „Aus
Biedermeiertagen“, ein junges, liebliches Geschöpf, das im hellen Garten-
salon vor dem Spiegel ihr Haar ordnet, läßt Ed. Gelhay vor uns erstehen.

* *

*

Ein Motiv, das die Maler immer und immer wieder zu neuer Gestaltung
angeregt hat, ist in F. Spenlove-Spenloves Gemälde „In qualvoller Er-
wartung“ mit bester Verteilung des vorherrschenden Dunkels und des spär-
lichen Lichtes durchgeführt. Da der Sturm orkanartig über dem Meere tobt,
haben sich einige Fischerfrauen in Erwartung ihrer Männer, Brüder und
Söhne, die bei dem Fischfange vom Sturm auf dem Meer überrascht wurden, an
das Ufer begeben, wo sie mit angstvollen Mienen in die Flut hinausstarren.

* *

*

Dagegen hat A. Kaufmann den stillen Frieden einer „Winternacht“
stimmungsvoll zum Ausdrucke gebracht. Unter der weißen Decke des frisch-
gefallenen Schnees scheint alles Leben zu schlummern, während der Mond wie
ein gütiger Wächter am Himmel wandelt.
 
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