Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
8. Heft
DOI Artikel:
Wendt, Hermann: Neue Arbeiten von Sascha Schneider
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0229

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sascha Schneider: Jünglingskopf.

Mit Genehmigung der Galerie
Ernst Arnold, Dresden.

j^cuc SJrßcitcri uon ^ascßa

Von Hermann Wendt.


n der heißen Luft, die zwischen den Säulenreihen der Palästra schlummert, zittert
H e’ n ^ e^ er Ton, wie wenn ein silberner Stab gegen ein dünnwandiges ehernes
gNjK Becken schlägt. Auf den Marmorfliesen schimmern zarte feuchte Flächen; der
Diener hat mit eineni Wedel aus feiner thrakischer Wolle aus einer tönernen Schale
Wasser über den Boden gesprengt, um die Glut der steinernen Platten zu dämpfen. Auch
auf den Blättern des wilden Lorbeers, der von dem Innenhof über die Stufen herein-
wuchert, liegen blinkende Tropfen. Und wie der Ton in der Ferne verklingt, beginnt es
sich im Innern des Gymnasions zu regen. Aus den weiten Sälen, wo sie eben noch den
Worten des Lehrers gelauscht, der ihnen die dunkel-heiteren Strophen Hesiods kündete,
strömen diejünglinge und die Knaben herbei und dehnen die vom Sitzen steifgewordenen
Glieder zum physischen Wettkampf, zum gymnischen Agon. Es sind schlanke, kraftvolle
Gestalten, die da das faltige Himation und den kurzen Chiton abwerfen und die braunen
Glieder im Sonnenlichte spielen lassen. Prall und elastisch sitzt die Haut über der
wundervoll entwickelten Muskuiatur: die Schultern sind breit, die Brust hebt sich hoch
in tiefen Atemzügen, der Leib ist straff eingezogen, Arme und Schenkel zeigen runde
glatte Formen; nur die Gelenke sind fein, fast zart, ja das Maß der Fessel ist, besonders
von vorn gesehen, überraschend gering. Hända und Füße verraten, wie die Epidermis
und der spärliche Haarwuchs, sorgfältigste Pflege. Einige tragen einen goldnen Reif
im Gelock, andere haben das Haupt mit einem roten Bande geschmückt, das über den
Schläfen je einen roten, aus Tuch oder Wolle geformten Ball trägt, der dem Kopfe
einen eigentümlichen, dekorativen Akcent gibt. Aber alle diese Knaben und jungen
Männer — reife Männer mit vollem Bart sind selten — zeigen denselben physiognomischen

- [Nachdruck verboten.]

Typ: Große, weitauseinanderstehende Augen beleuchten das Gesicht, die gerade Nase
besitzt breite, etwas derbe Flügel, die Lippen sind voll, das Kinn weich gerundet. Und
wie diese Schar sich in langsam bewegten Gruppen in den Arkaden ergeht, wird es
uns deutlich, wie eng bemessen die Skala der Gebärden ist, die diesen Reichtum jugend-
lich kräftiger Glieder schwellt. Ein ruhiges Stehen und Schreiten aber läßt die voll-
endete Harmonie des in allen seinen Teilen ebenmäßig durchgebildeten Körpers doppelt
sichtbar werden. Während die einen wie zur Probe die Arme leicht heben, die zitternde
Schnellkraft der Muskeln zu erproben, andere mit ruhiger Anmut nach dem roten Ball
greifen, der, wie von einer unsichtbaren Hand geworfen, zwischen den Knaben über den
Estrich springt, steht dort schon eine Gruppe von sieben Knaben, alle iin Alter von
vierzehn bis siebzehn Jahren, in einer Linie aufgereiht. So gleichmäßig das Bild dieser
sieben jugendschönen Körper dem flüchtigen Blick, so klar prägen sich doch bei
näherem Zusehen, die individuellen Unterschiede aus. Nicht nur blond und braun
wechseln in Haar und Hautfarbe, auch in den Proportionen, im Ansatz der Muskel-
partien, im Kontur der Gelenke walten feine Unterschiede. Wer ein Künstler ist,
folgt mit Entzücken diesem reizvollen Wechsel. Wie sich aber das Bild dieser para-
diesisch ruhigen Welt auch immer verschieben mag: immer glänzt vom strahlenden
Himmelsgewölbe die ewige Sonne, und in ihren goldnen Wundern verfliegt alles
Dumpfe, alles Leidenschaftliche, alles Erdenschwere wie ein Hauch. Die Wonne der
wunschlosen Existenz in vollkommener, harmonischer Kraft und Schönheit der Physis
waltet über diese Welt, die alle Formen und Töne eines goldenen Zeitalters am Horizont
unserer Sehnsucht erwachen läßt ....

XXVII. 25.
 
Annotationen