MODERNE KUNST.
297
Berliner )ubiläums~
Kunstausstellung.
jas eigentliche Mark der Ausstellung, ihr
Besonderes, das sie vor den Veranstal-
tungen früherer Jahre voraus hat, bleibt die
rückschauende Abteilung, die zu Ehren des
Kaiserjubiläums einen Überblick über die Kunst
der verflossenen 25 Jahre gibt. Freilich kann
von einer organischen und umfassenden Dar-
stellung der Malerei dieser Zeit, wie ich be-
reits in meinem ersten Aufsatz hervorhob,
nicht die Rede sein. Die Veranstalter der
Ausstellung mußten sich mit den Künstlern
und Kunstwerken, die erreichbar waren, be-
gnügen. So hat diese rückschauende Abteilung
einen etwas zufallsmäßigen Anstrich, und die
Werke der letzten zehn Jahre überwiegen.
Auf die weiter entfernte Epoche weisen z. B.
Leibl, Menzel,Stauffer-Bern, Anton von Werner,
Lenbach usw., während Böcklin seltsamer-
weise fehlt.
Interessant ist es trotzdem, zu vergleichen,
was die einzelnen Kunstzentren geschaffen
haben oder doch hier zur Schau stellen. Da
behauptet München ohne Zweifel immer noch
die Führung. Über einen derartigen Reich-
tum an Künstler-Persönlichkeiten, wie ihn hier
Leibl, Defregger, Uhde (Stuck mit seiner Son-
derausstellung), Oberländer, Zügel, Samberger,
Thor, Herterich, Putz, Püttner, J'ank, Becker,
Hengeler, Ernst Liebermann usw. darstellen,
hat keine andere Stadt zu verfügen. Ilier
herrscht Frische, Freude und Geschmack, der
nur seiten in Künstelei ausartet; im ganzen setzt sich doch die Natürlichkeit durch.
Einen besonderen Berliner Saal bietet die rückschauende Abteilung nicht,
sondern die übrigen Städte Preußens sind in diese fünf Säle mit einbezogen.
In Wirklichkeit handelt es sich aber mit wenigen Ausnahmen um Berliner Malerei.
Man kann im Vergleich zu München hier vielleicht einen stärkeren Willen und
ein schärferes, bewußtes, geistiges Ringen finden. Andererseits begegnet man
gelegentlichen Geschmacks-Irrtümern, hervorgegangen aus einem zu stark
zugespitztem Wollen. Schon Adolf von Menzels Prozession in Gastein ist
zweifellos eine Arbeit, die sehr hohe malerische Werte besitzt; immerhin stört
die novellistische Figur des Stutzers in der Mitte etwas die ruhig-schöne Wirkung.
Als starke Arbeiten, in denen Seelisch-Erlebtes malerischen Ausdruck empfangen
hat und weiterstrahlt, seien besonders Eduard von Gebhardts „Christus vor
Pilatus“, eine Malerei von schönem, dunklem, geschlossenem Ton, und Otto
Heicherts „Seelengebet
der Heilsarmee“ genannt.
Das dritte und zugleich das
bedeutendste Werk dieser
Art stammt von keinem
preußischenMaler, sondern
von Max Klinger, dessen
Pieta bei aller Einfachheit
geradezu eine orchestrale
Sprache der Linien spricht.
Das Steingrab, das den
Leichnam Christi schon
empfangen will, der lang-
gestreckte Körper, ferner
imHintergrunde dieMauer,
darüber die Linie des Wal-
des — alle diese Horizon-
talen predigen eine Ruhe,
eine Stille, eine Ewigkeit.
Sie werden nur von den
beiden Lebenden unter-
brochen: Maria, die des
Toten Hand vergebens an
ihremHerzen zu erwärmen
trachtet, und Johannes,
dessenAntlitz denSchmerz
nach dem Sturme trägt.
Das Ganze ist der Äus-
druck des Unwiederbring-
lich -Verlorenen und der
Ruhe nach dem Sichauf-
Fr. Reussig: Vor dem Spiegel. Große Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.
fNachdruck verboten.]
bäumen gegen ein gewaltiges Schicksal —
also ein rein menschliches Erleben gewaltig
wie in einer Symphonie ausgesprochen. Be-
denkt man aber, daß diesen drei Bildern, die
durch ihre stark seelischen Elemente hervor-
ragen, religiöse Motive zugrunde liegen, so
sieht man, wieviel auch die moderne Malerei
aus dieser Quelle schöpfen könnte. Zugleich
versinkt der Wust geschmackloser, schlächter-
hafter Kreuzigungen, wie sie die jüngere und
jüngste Kunst geliebt hat. Daß die retrospek-
tive Ausstellung der Arbeiten berlinischer
und preußischer Künstler wiederum bis zu
der Kunst der jungen Generation herabgeht,
beweist der gute „Pierrot“ Leo von Königs,
der aus der Sezession zu der Großen Berliner
Kunstausstellung übergetreten ist.
Der Dresdner Saal, in dem auch Klingers
Pieta hängt, enthält ferner einige Arbeiten, in
denen das charakteristische und zeichnerische
Element mit eindrucksvoller Energie, manch-
mal sogar bis zur Härte getrieben ist. Bantzer
in seiner „Bäuerin“ überschreitet diese Grenze
nicht, wohl aber Zwintscher und Richard
Müller. Im übrigen tritt Gotthard Kuehl unter
den Dresdnern mit seinem Einfluß auf die
jüngere Generation hervor. Seine eigenen
Wege geht Gußmann.
Der Karlsruher Saal zeigt die bekannte
Schar, welche die Malerei dieser verhältnis-
mäßig jungen Kunststadt ausmacht. Wilhelm
Trübner ist hier mit dem Reitergemälde des Großherzogs von Hessen vertreten,
einer steifen, nach dem Modell schmeckenden Arbeit. Ferner sieht man die
Kunst von Thoma, Volkmann, Dill, Fehr, Volz usw. in bekannter Weise.
Die Stuttgarter Künstler sind ihrem Streben nach unter sich ziemlich ver-
schieden. Während Carlos Grehte das Pathos des Meeres in Bewegung und
malerischer Stimmung wiedergibt, bevorzugen Pleuer und Reiniger helle int-
pressionistische Landschaftsbilder. Pleuer wählt sich seine Motive bekanntlich
gern von der Eisenbahnstrecke und den Eisenbahnhöfen. Umgekehrt läßt Amandus
Faure seine Bilder aus der Welt fahrender Künstler mit Vorliebe aus dunklem
Hintergrunde sich abheben. Von der hohen Kunst und dem Geschmack, mit
dem er dies tut, gibt unsere Abbildung seines Gemäldes „Im grünen Wagen“
eine Vorstellung.
Mehr noch fallen die Künstler auseinander, die gegenwärtig in Weimar
vereinigt sind. Neben Lud-
wig von Ilofmann, dessen
arkadischer „Frühling“
mit den Jünglings- und
Mädchengestalten einen
schönen Klang hat, steht
Egger-Lienz mit seinem
Streben nach Monumental-
Kunst. Ebenso stellen
Theodor Hagn und Gari
Melchers starke Gegensätze
dar. Eine eigene Farbe
pflegen die Wiener be-
sonders in ihren Porträts;
so z. B. Adams und Krauß.
Sonst macht sich bei ihnen
eine Neigung zu liebevoller
Kleinkunst geltend, die
auch das novellistische
Moment nicht verschmäht
und etwas von biedermeier-
hafter Anmut hat, ohne
gerade tief zu wirken.
Auch der andere Teil
der Ausstellung, die Jah-
resschau steht diesmal
auf einer etwas höheren
Stufe, weil durch denFort-
fall zahlreicher Säle an
die retrospektive Abteilung
usw. weniger Arbeiten als
XXVII. 75.
Amandus Faure: Im griinen Wngen. Große Berliner Jubiläuni.s-Knnstaiisstellung.
297
Berliner )ubiläums~
Kunstausstellung.
jas eigentliche Mark der Ausstellung, ihr
Besonderes, das sie vor den Veranstal-
tungen früherer Jahre voraus hat, bleibt die
rückschauende Abteilung, die zu Ehren des
Kaiserjubiläums einen Überblick über die Kunst
der verflossenen 25 Jahre gibt. Freilich kann
von einer organischen und umfassenden Dar-
stellung der Malerei dieser Zeit, wie ich be-
reits in meinem ersten Aufsatz hervorhob,
nicht die Rede sein. Die Veranstalter der
Ausstellung mußten sich mit den Künstlern
und Kunstwerken, die erreichbar waren, be-
gnügen. So hat diese rückschauende Abteilung
einen etwas zufallsmäßigen Anstrich, und die
Werke der letzten zehn Jahre überwiegen.
Auf die weiter entfernte Epoche weisen z. B.
Leibl, Menzel,Stauffer-Bern, Anton von Werner,
Lenbach usw., während Böcklin seltsamer-
weise fehlt.
Interessant ist es trotzdem, zu vergleichen,
was die einzelnen Kunstzentren geschaffen
haben oder doch hier zur Schau stellen. Da
behauptet München ohne Zweifel immer noch
die Führung. Über einen derartigen Reich-
tum an Künstler-Persönlichkeiten, wie ihn hier
Leibl, Defregger, Uhde (Stuck mit seiner Son-
derausstellung), Oberländer, Zügel, Samberger,
Thor, Herterich, Putz, Püttner, J'ank, Becker,
Hengeler, Ernst Liebermann usw. darstellen,
hat keine andere Stadt zu verfügen. Ilier
herrscht Frische, Freude und Geschmack, der
nur seiten in Künstelei ausartet; im ganzen setzt sich doch die Natürlichkeit durch.
Einen besonderen Berliner Saal bietet die rückschauende Abteilung nicht,
sondern die übrigen Städte Preußens sind in diese fünf Säle mit einbezogen.
In Wirklichkeit handelt es sich aber mit wenigen Ausnahmen um Berliner Malerei.
Man kann im Vergleich zu München hier vielleicht einen stärkeren Willen und
ein schärferes, bewußtes, geistiges Ringen finden. Andererseits begegnet man
gelegentlichen Geschmacks-Irrtümern, hervorgegangen aus einem zu stark
zugespitztem Wollen. Schon Adolf von Menzels Prozession in Gastein ist
zweifellos eine Arbeit, die sehr hohe malerische Werte besitzt; immerhin stört
die novellistische Figur des Stutzers in der Mitte etwas die ruhig-schöne Wirkung.
Als starke Arbeiten, in denen Seelisch-Erlebtes malerischen Ausdruck empfangen
hat und weiterstrahlt, seien besonders Eduard von Gebhardts „Christus vor
Pilatus“, eine Malerei von schönem, dunklem, geschlossenem Ton, und Otto
Heicherts „Seelengebet
der Heilsarmee“ genannt.
Das dritte und zugleich das
bedeutendste Werk dieser
Art stammt von keinem
preußischenMaler, sondern
von Max Klinger, dessen
Pieta bei aller Einfachheit
geradezu eine orchestrale
Sprache der Linien spricht.
Das Steingrab, das den
Leichnam Christi schon
empfangen will, der lang-
gestreckte Körper, ferner
imHintergrunde dieMauer,
darüber die Linie des Wal-
des — alle diese Horizon-
talen predigen eine Ruhe,
eine Stille, eine Ewigkeit.
Sie werden nur von den
beiden Lebenden unter-
brochen: Maria, die des
Toten Hand vergebens an
ihremHerzen zu erwärmen
trachtet, und Johannes,
dessenAntlitz denSchmerz
nach dem Sturme trägt.
Das Ganze ist der Äus-
druck des Unwiederbring-
lich -Verlorenen und der
Ruhe nach dem Sichauf-
Fr. Reussig: Vor dem Spiegel. Große Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.
fNachdruck verboten.]
bäumen gegen ein gewaltiges Schicksal —
also ein rein menschliches Erleben gewaltig
wie in einer Symphonie ausgesprochen. Be-
denkt man aber, daß diesen drei Bildern, die
durch ihre stark seelischen Elemente hervor-
ragen, religiöse Motive zugrunde liegen, so
sieht man, wieviel auch die moderne Malerei
aus dieser Quelle schöpfen könnte. Zugleich
versinkt der Wust geschmackloser, schlächter-
hafter Kreuzigungen, wie sie die jüngere und
jüngste Kunst geliebt hat. Daß die retrospek-
tive Ausstellung der Arbeiten berlinischer
und preußischer Künstler wiederum bis zu
der Kunst der jungen Generation herabgeht,
beweist der gute „Pierrot“ Leo von Königs,
der aus der Sezession zu der Großen Berliner
Kunstausstellung übergetreten ist.
Der Dresdner Saal, in dem auch Klingers
Pieta hängt, enthält ferner einige Arbeiten, in
denen das charakteristische und zeichnerische
Element mit eindrucksvoller Energie, manch-
mal sogar bis zur Härte getrieben ist. Bantzer
in seiner „Bäuerin“ überschreitet diese Grenze
nicht, wohl aber Zwintscher und Richard
Müller. Im übrigen tritt Gotthard Kuehl unter
den Dresdnern mit seinem Einfluß auf die
jüngere Generation hervor. Seine eigenen
Wege geht Gußmann.
Der Karlsruher Saal zeigt die bekannte
Schar, welche die Malerei dieser verhältnis-
mäßig jungen Kunststadt ausmacht. Wilhelm
Trübner ist hier mit dem Reitergemälde des Großherzogs von Hessen vertreten,
einer steifen, nach dem Modell schmeckenden Arbeit. Ferner sieht man die
Kunst von Thoma, Volkmann, Dill, Fehr, Volz usw. in bekannter Weise.
Die Stuttgarter Künstler sind ihrem Streben nach unter sich ziemlich ver-
schieden. Während Carlos Grehte das Pathos des Meeres in Bewegung und
malerischer Stimmung wiedergibt, bevorzugen Pleuer und Reiniger helle int-
pressionistische Landschaftsbilder. Pleuer wählt sich seine Motive bekanntlich
gern von der Eisenbahnstrecke und den Eisenbahnhöfen. Umgekehrt läßt Amandus
Faure seine Bilder aus der Welt fahrender Künstler mit Vorliebe aus dunklem
Hintergrunde sich abheben. Von der hohen Kunst und dem Geschmack, mit
dem er dies tut, gibt unsere Abbildung seines Gemäldes „Im grünen Wagen“
eine Vorstellung.
Mehr noch fallen die Künstler auseinander, die gegenwärtig in Weimar
vereinigt sind. Neben Lud-
wig von Ilofmann, dessen
arkadischer „Frühling“
mit den Jünglings- und
Mädchengestalten einen
schönen Klang hat, steht
Egger-Lienz mit seinem
Streben nach Monumental-
Kunst. Ebenso stellen
Theodor Hagn und Gari
Melchers starke Gegensätze
dar. Eine eigene Farbe
pflegen die Wiener be-
sonders in ihren Porträts;
so z. B. Adams und Krauß.
Sonst macht sich bei ihnen
eine Neigung zu liebevoller
Kleinkunst geltend, die
auch das novellistische
Moment nicht verschmäht
und etwas von biedermeier-
hafter Anmut hat, ohne
gerade tief zu wirken.
Auch der andere Teil
der Ausstellung, die Jah-
resschau steht diesmal
auf einer etwas höheren
Stufe, weil durch denFort-
fall zahlreicher Säle an
die retrospektive Abteilung
usw. weniger Arbeiten als
XXVII. 75.
Amandus Faure: Im griinen Wngen. Große Berliner Jubiläuni.s-Knnstaiisstellung.