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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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I 92

MODERNE KUNST.

Immer stand er uns zur Seite. Mit Rat und Tat. Jawohl, auch mit Tat. Und
das ist die Hauptsache. Auch mir hat er zur Seite gestanden. Warum soll
ich’s nicht sagen, er hat mir auch einige Denare vorgestreckt, als ich in scheuß-
licher Verlegenheit war. Und ich kann sie ihm sogar erst aus meinem
neuen Engagement zurückzahlen, wo ich, Gottseidank, doppelt so viel Gage
habe, wie an dieser Schmiere. Doch danach fragt er nicht. Denn er ist ein
wirklicher Freund. Unser aller Freund. Darum, liebe Kollegen, erheben Sie
mit mir Ihre Gläser, Sally Cohn, unser Sally Cohn, er lebe hoch! Hoch! Hoch!
Iloch!“ —

Und nun stand Sally Cohn auf und sprach auch ein paar Worte. Etwas
bochtrabend zwar. Doch es machte sich sehr schön. Von der hehren Kunst
sprach er, die die Menschen veredelt. Und von ihren Priestern. Und seit langern
seien nicht so geniale Künstler in Winkelhausen gewesen, wie heuer. Und er
wünschte, daß es im nächsten Jahr nur annähernd so werden möge. Damit das
Winkelhauser Stadttheater blühe und gedeihe. Das Winkelhauser Stadttheater
es lebe hoch!

Hoch! Hoch! Hoch!

Alle tranken aus! Alle ließen sich neu einschenken! Die allgemeine Fi-
delitas trat ein. Witze wurden gerissen, Schwänke erzählt, Lieder gesungen.

Diesen Zeitpunkt benutzte der Oberkellner, um etwas zu tun, was ihm schon
den ganzen Abend auf der Seele gebrannt hatte. Er tippte dem Bonvivant dis-
kret auf die Schulter. „Wie ist es denn mit dem Geld, das ich seit drei Mo-
naten von Ihnen bekommen soll?“

„Aber selbstverständlich, mein Lieber! Heute gebe ich es Ihnen. Und ein
gutes Trinkgeld dazu.“

„Nachher, wenn wir aufbrechen! Jetzt fällt es zu sehr auf. Sie verstehen!“

„Nachher! — Bestimmt!“ —

Der Oberkellner legte sein Gesicht in sorgenvolle Falten, gab sich jedoch
zufrieden. — Die Fidelitas stieg höher! — Die Geister des Weins fingen an in
den verschiedenen Köpfen zu rumoren. Der Komiker und der Charakterdarsteller
lagen sich in den Armen. „Du hast mir zwar immer die schönsten Rollen weg-
gespielt, doch das vergeb ich dir!“

Und Sally Cohn und Dietrich Bern lagen sich ebenfalls in den Armen.

„Wir müssen Brüderschaft trinken!“

„Sally!“ — „Dietrich!“ —

Und ein Kuß besiegelte den Bund.

Dann trank Sally Cohn auch mit Fräulein Novelli Brüderschaft, und sie
küßten sich auch. Und damit hatte die Fidelitas den Höhepunkt erreicht.

Denn Sally Cohn verschwand. Und Fräulein Novelli verschwand auch. Und
derBonvivant war schon vorher verschwunden. Durch die Hintertür. Ganz heimlich.

Und der Oberkellner schimpfte nun und fluchte. — Und altmählich gingen
auch die andern.

Nur drei blieben noch länger. Der Heldenvater, der den Rest der Bowle
austrank, und dabei noch immer addierte und subtrahierte. Und das Liebes-
pärchen, das noch immer flüsterte.

Noch immer dasselbe ungereimte Zeug.

„Wirst du mich auch immer lieb haben?

Und mir ganz treu sein? Auch wenn wir weit voneinander fort sind?“

„Immer! Ewig! Ewig!“

Palmarum!

Trallarum!

Da flattern die Wandervögel auf!

0,n der ‘Vifrine.

Von Gva von Cottani.

(js träumt der cTaaf im cTcßein der dJ0[L-

mondstraßfen,

‘Die ßede ßicßter auf die cWände ma[en.
c/)'e ßuscßen sacßt auf [eisen cfHberfüßen,

Qdm a[[ die stitte fHerrßcßßeit zu grüßen,
Gmpor an der ‘Vitrine scßmater flür,

Qfnd scßimmern ßel[ auf mancßem „souvenir“.

dJor cfpiegefwänden bfinßen ‘Hleißner ‘Vasen,
‘Tausbäcß’ge ‘Tutten gofdne dförner bfasen,

‘Des Ulondes cfi[berstraß[en sprüß'n und

g[änzen

&uf weißen ßämmcßen und auf ‘Rosenßränzen.
Cupido ziett gar scßefmiscß in die LTtöß’ —
Gin Scßäferpaar scßwingt sicß im pas de deux.

Das ist ein ßeimficß ßacßen und ein

‘Tlecßen, S

Dort ßicßert’s [eis aus saßattendunßfen Gcßen, jj
Gin cCände[n und ein zierlicßes ‘Verneigen . . ;

‘Hnd zu dem mondbeg[änzten cfcßäferreigen
ßm ßteinen cfcßranlc, auf gtäsernem Darßett j
Zirpt nun die cfpietußr feis ein ‘IRenuett! r

j

1<7

Die tfßabasterußr fängt an zu ticßen,
Dagoden ernstßaft mit den dföpfen nidcen —
Docß p[ötz[icß Duß — oorbei das süße Dreiben,

ßeis scßwebt das fRondlicßt aus den Densterscßeiben,

‘Ifnd in der Rlmoretten ‘Rosentcranz

fHuscßt sacßt der [etzte matte Siibergtanz —

■-^?- Onsere

VP)Jie Frauengasse in Danzig. Die schicksalsreiche, alte Hansestadt Danzig,
Tcj das „nordische Venedig“, dürfte in der Vereinigung interessanter, wohlerhal-
tener architektonischer Denkmäler, malerischer Straßenperspektiven, romantischer
Berglandschaft und großartigen Meereshorizonts wohl von keiner zweiten deutschen
Stadt übertroffen werden. Und unter den herrlichen Bauten sind es namentlich
die mannigfachen Denkmäler der gotischen und der Spätrenaissance, die, inein-
ander oft so innig übergehend, daß man die eine Periode kaum von der andern
scharf trennen kann, der Stadt das eigene Gepräge geben. Die „baltische Gotik“,
im Gegensatz zu der zierlich-phantastischen nordfranzösischen und rheinischen
Gotik: derbkräftig, gedrungener, massiger, dafür aber auch kühner, weiträumiger,
von breiter Pracht, eine Gotik, die als Material nur gebrannte Ziegel verwandte,
gipfelt künstlerisch in der Marienkirche, dem „rechtstädtischen“ Rathause und
dem Junker- oder Artushofe. Die Spätrenaissance hat Danzig im „Hohen Tor“
und vor allem dem Zeughause köstliche Erinnerungen hinterlassen. Aber, wir
sagten es schon, beide Stilperioden sind in diesem nordischen Venedig ganz
eigen verquickt. Nirgends steht die heitere Renaissance unvermittelt neben der
wuchtigen Gotik; überall hat sie sich mit ihr „wie Epheu oder Kletterrosen mit
der Eiche“ (nach Wernicks treffendem Vergleich) innig verbunden, sie gleichsam
mit ihrer Fröhlichkeit übersponnen, dem ernsten Gesicht. ein heiteres Lächeln
aufgeprägt. Auch im kleinen ist solche Durchdringung überall zu spüren. Am
liebenswürdigsten wohl in den sogenannten „Beischlägen“, malerischen Idausvor-
bauten, die sich namentlich in der Jopen- und der Frauengasse noch mehrfach
erhalten haben und diesen auf die massige Marienkirche gehenden, leichtge-
schweiften Gassenperspektiven ein außerordentlich reizvolles Ansehen geben.
Der Platz vor dem Hause, wo man an schönen Abenden saß, ward, so ist
wohl die Entstehung dieser Bauten zu denken, zunächst etwas erhöht und ein-
gefriedigt, wuchs dann stattlicher empor, so daß schließlich Treppenstufen zum
Straßenniveau herabgeführt werden mußten, wie dies auch Margarete Wedeis
Gemälde zeigt. Uber das gotische Grundmotiv dieser Beschläge spielte dann

Jlildcr.

die Renaissance in den gefälligsten Variationen hinweg, setzte mächtige Stein-
kugeln auf die Pfeiler, schmückte die Geländer mit mannigfachen Reliefs und
vielverschlungenen Arabesken und zierte sie auch sonst vielfach aus. H.

* #

Leonardo Bistolfi gehört zu den wenigen Künstlern Italiens, welche die
Kraft plastischer Erfindung mit träumerischer philosophischer Ideentiefe vereinigen.
Der Gedanke an den Tod ist sein liebstes Thema, dem er in seinen meisten
Werken Ausdruck verleiht. Besonders tritt dieser eigenartige Künstler als Schöpfer
einer neuen Grabmalplastik hervor, die er zu den Höhen der Kunst aus dem
handwerksmäßigen Betrieb erhebt. Kein Wunder, daß der geniale Zug, den
Bistolfi dabei offenbart, ihn nicht nur in Italien, sondern auch im Auslande
berühmt gemacht hat. Leonardo Bistolfi wurde am 15. März 1859 zu Casal
Monferrato als der Sohn eines talentvollen Holzbildhauers geboren. Vier Jahre
hindurch studierte er an der Akademie der Brera zu Mailand, dann vollendete
er seine Studien in Turin. Sein erstes Werk, welches Aufsehen erregte, zeichnete
sich durch kühnste, beinahe dramatische Realität aus, eine Gruppe streitender
„Wäscherinnen“ die der Künstler, inspiriert von einer prächtigen Episode aus dem
Zolaschen „L’Assommoir“, schuf. Auch in den folgenden Jahren schuf er eine
interessante Serie von Werken, die große Lebenswahrheit besaßen; aber sich
selbst entdeckte Bistolfi dennoch erst, als er, bei nunmehr gereifterem Können
begann, seinen poetischen Träumen plastische Formen zu geben. Unter leiden-
schaftlichem Suchen r.ach Neuem in der Kunst, machte er sich mit Glück an die
Bildung eines neuen Stils. Tod und „ Auferstehung“ haben ihm auch die An-
regung zu der von uns reproduzierten Plastik gegeben. Wie eine Lilie aus ihrem
Erdreich, so erhebt sich die Gestalt eines jungen Mädchens, das den Kuß der
Weihe von einem Genius empfängt, zu einem erhöhten Dasein, in dem ihre
Schwestern schon auf paradiesischen Gefilden wandeln. An Dante scheint der
Gehalt dieser edlen Plastik anzuklingen. M. v. B.
 
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