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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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15. Heft
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Roeder, Fritz: Der Sturm bricht los
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0428

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Otto B rausewetter: Der Sturm bricht los.

Copyright 189ö by Photographische Gesdlschatt, berim.

Der Sturm bricht los.

Von Hauptmann Dr. Fritz Roeder, Berlin-Friedenau.

^lldeutschland lag in schweren Banden. Österreich in zwei harten Kriegen
geschlagen, hatte altes Land verloren. Sein stolzes Kaiserhaus sah sich
versippt mit dem gehaßten Emporkömmling. Bayern, Würt-
temberg und viele Kleinere umschloß der Rheinbund. Vasallen
des Franzosenkaisers! Am härtesten hatte die harte Faust des
korsischen Eroberers den Staat Friedrichs des Großen getroffen.

Verkleinert, verarmt, gedemütigt, geknechtet knirschte Preußen
unter dem Joch, das ein stolzer Siegerwille ihm auflastete,
ohnmächtigen Zornes voll sahen die Patrioten auf den Feind
im Lande. Mit Tränen der Wut und des Schmerzes blickten
sie der edlen Königin ins frühe Grab. Des Vaterlandes
Unglück hatte das Herz der hochgesinnten Frau ge-
brochen. Überall Späher. Und doch ein heimlich
Raunen in Stadt und Land. Brünstiges Hoffen —.

Und wiederum dröhnt des Schlachtenkaisers
Heerruf über Europas Festland. Der Zar allerReußen
hat des Mächtigen Zorn erregt. Er hat sich dem Bund
wider Englands meerbeherrschende Größe versagt.

Waffengewalt soll nun den russischen Bären in die
Kette zwingen, mit der Albions grimmer Feind den
britischen Handel vom Kontinente sperrt. Gen Osten
reckt sich des Imperators schwertgewaltiger Arm —
und in endlosen Zügen wandert ein Heer, wie es die Welt
niemals sah, durch die Steppen Wolhyniens hinein in das
weite Reich. Fast aller Völker Vertreter sieht man in
Napoleons „Großer Armee“. Deutsche vor allen! Mit ver-
bissenem Trotz, doch gehorsam, weil es der König befahl,
ziehen auch die Preußen mit. Von glänzenden Siegen melden
des Kaisers stolze Bulletins. Moskau, die heilige Stadt mit
den zahllosen Kuppeln undTürmen, hat derSieger besetzt,—

[Nachdruck verboien.]

Dann wird’s stille. Klirrender Frost schlägt die Natur in eisigen Bann. Endlos
sinken die Flocken. Kein Wunder, daß aus dem fernen Rußland keine Kunde
mehr kommt. Aber mit sehnendem. Hoffen geht in Preußenland heimliches
Raunen von Hof zu Hof und durch die stillen Straßen der Städte. Späher
ringsum. Sie ahnen den Funken, der unter der Asche fortglimmt. Ruhe im
Land. Unheimliche Ruhe. Stille vor dem Sturm •—.

Noch glaubte die Welt an des Imperators Glück. Da tauchten gegen Mitte
Dezember die ersten Gerüchte des Unheils auf: Moskau verbrannt, die große
Armee auf dem Rückzug! Und der Kaiser —?

Mitternacht. Durch Dresdens verschneite Gassen saust
ein Schlitten. An eines Arztes Tür hält das Gespann. Die
Klingel tönt. „Führt uns zum Hause des französischen Ge-
sandten!“ Das Fenster klirrt und ärgerlich verschwindet
der Medizinmann mit brummendem Bescheid: „Bei 25 Grad
Kälte zeigt man niemand um Mitternacht den Weg!“ — Und
weiter jagt des flüchtigen Kaisers eilendes Gefährt. Heim
nach Paris. Bald flog von Mund zu Mund, von Stadt zu
Stadt die grause Mär von namenlosemElend; das stolzeste der
Heere war schlimmstem Untergange geweiht. Schon weicht
die Scheu vor dem Tyrannen. Die Faust ballt sich in
Groll: „Laßt .sie nur kommen. Sie sollen fallen wie
die Hunde!“ Und sie kamen —.

„Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr
geschlagen!“ Mit Entsetzen im Blick sah Bürger und
Bauer auf die Jammergestalten, die da mühselig und
wund heranwankten, die erfrorenen Gliedmaßen in
Lumpen gehüllt, von denen noch ein bleiches Strahlen einstigen Glanzes ausging:
Goldstickerei, in den Sümpfen und Schneewüsten Rußlands verblichen! Die
Helden von Auerstädt und Wagram, von Smolensk und Borodino, gleich Bettlern
am Stabe hinkend; stier und stumpf; kaum froh des geretteten Lebens — dies

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