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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Ertel, Jean Paul: Zum Richard Wagner-Jubiläum
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Saltzwedel, Hans: Frau Mytala, [2]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0568

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238

MODERNE ICUNST.

Profitmann war, das schien ganz selbstverständlich. Die musikalische Presse
war mit einigen rühmlichen Ausnahmen überzeugt, daß ein fürchterlicher Charlatan
hier sein Wesen treibe. Sie ahnten nicht, daß sie selbst die Charlatane waren,
die in blöder Observanz des bequem Althergebrachten und in blindwütigem, von
den Cliquen angetriebenem Plasse ohnmächtig gegen einen Felsen wüteten, der
sie, fiel er auf sie, einfach erdrücken mußte. Der Wiener Musikpapst Hanslick,
der zwar selber nicht komponieren konnte, aber doch ganz genau wußte, wie so
was gemacht wird, tat sich viel darauf zu Gute, den „Meister“ bei jeder Ge-
legenheit anzugreifen und zu blamieren, so daß sich Wagner einen Augenblick
überlegte, ob er nicht dem berühmten „Beckmesser“ in den „Meistersingern“ den
Namen Hans Lick geben sollte. Zum Glück tat er es nicht. Wozu noch Re-
klame für seinen Feind machen? In diesen „Meistersingern“ rückte er der Phi-
listersippe gar gewaltig auf den Leib. Es gibt darin der Worte genug, die mit
tödlichen Degenstichen die Gegner hinstreckten. „Sucht Euch erst die Regeln
auf, bevor Ihr das Neue verdammt!“ Jedenfalls mußten die Herren Musikgelehrten,
die im alten Formelkram erstarrt waren, so manche Pille hinunterschlucken.
Tatsache ist, daß damals Wagner nicht etwa durch die (ihm aus verschiedenen
Gründen feindlich gesinnten) Fachmusiker, sondern nur durch das instinktiv und
naiv empfindende Publikum, das wiederum durch die Militärkapellmeister auf-
geklärt wurde, sich eine Gemeinde schuf. Als ich dann später die ausführ-
lichen Berichte über die Erstaufführungen des „Nibelungen-Zyldus“ las, wurde
ich wirklich einige Augenblicke an meinem so hochverehrten Genius irre. Das
also sollte der „Messias von Bayreuth“ sein? Nur eigene Anschauung, eigenes
Hören brachten mich sehr bald auf den richtigen Weg, und ich verdanke als
nachmaliger Berliner Student nicht zum wenigsten Wilhelm Tappert, den ich
vorhin nannte, mein aufgewecktes Verständnis für den großen „Meister“. Wie
hat sich das alles heute geändert! Wie das unbefangene Kind als etwas ganz
Selbstverständliches sein Telefon bedient, so bedient sich heute selbst der Un-
gebildetste des Namens „Wagner“. Den kennt er ganz genau, und wenn heute
irgend ein namhaftes Orchester einen sogenannten „Wagnerabend“ gibt, dann
ist er sicher dabei mit den vielen Ungezählten, die den Konzertsaal bis auf das
letzte Plätzchen füllen. Denn der Name „Wagner“ hat eine unerhörte Zugkraft
bei der Masse. Wenn der Semmeljunge früh morgens den Hornruf aus „Siegfried“
pfeift und der Droschkenkutscher auf dem Bocke sich bei dem „Schwan
bedankt“, wem ginge da nicht ein Licht auf, wie gewaltig populär gewisse
Melodien Wagners geworden sind. Er hat sich die Herzen des „Volkes“ er-
obert, sich ein „Monumentum aere perennius“ geschaffen. Und noch weiter.
Früher hielt man „Tristan und Isolde“, die „Meistersinger“, die „Nibelungen-
trilogie“ für fast unausführbare Werke, allenfalls geeignet, um einmal als außer-
ordentliche Festvorstellungen gelegentlich aufgeführt zu werden. Das ist gar
anders geworden. Heute zählen diese Tondramen zu den Repertoirestücken selbst
kleinerer Provinztheater, von den Ilofbühnen gar nicht zu reden. Eine eigene
Wagner-Sängerschule hat sich gebildet, die die nötigen Figuranten liefert. Heute
ist nichts mehr unmöglich; weder die Sänger noch die Orchester revolutionieren
gegen „strichlose“ Aufführungen. Das Urgenie Wagners ist verstanden, und
nur gemeine Pietätlosigkeit kann heute noch dagegen eifern. Sonderbar genug,
daß es solche Schwärmer noch heute gibt. „Wagner, wie ich ihn kannte“, ein
Buch von Prüger wurde sofort als Pamphlet erkannt und dementsprechend ge-
würdigt, und jetzt, gerade zur Zeit des 30. Todestages Wagners erschien
wiederum ein häßliches Buch über ihn, das einen gewissen Ludwig (Sohn des
berühmten Augenarztes Prof. Cohn) zum Verfasser hat. Derartige Werke, die
die Persönlichkeit Wagners ä tout prix herabsetzen wollen, sind in heutiger
Zeit sehr geschmacklos und auch zwecklos. Wie jeder nicht nur bedeutende
Mensch hatte der Bayreuther Riese seine kleinen Schwächen. Nichts Menschliches
war ihm fremd. Diese (übrigens bekannten) Schwächen immer wieder ans Licht
der Öffentlichkeit zu ziehen, ist völlig deplaziert und fällt auf die Urheber zurück.
Heute interessiert uns nicht so sehr der tote Mensch, als vielmehr sein lebendes
Kunstwerk, und man kommt von selbst auf den Gedanken, als habe der Schrift-
steller nur den einen Zweck der Sensationsmacherei gehabt. Leider kann aber
dadurch der gesunde Sinn eines Teiles der Leser vergiftet werden, und darum
sei hier vor solcher „Literatur“ eindringlichst gewarnt.

Und nun der „Wagner“ selbst. „Im Vertrauen auf den deutschen Geist“
konnte er jene vorbiidlichen Reformen wagen, die die ganze Zeit nach ihm be-

herrschten und noch beherrschen werden, deren Hauptprinzipien sich kein drama-
tischer Komponist nach ihm entziehen kann. Auf dem Gebiete der sogenannten
absoluten Musik war er kein Herrscher. Das sah er nach seiner im 17. Lebens-
jahre geschriebenen C-dur-Sinfonie und etlichen Kleinigkeiten sehr bald ein.
Auch reichte damals wenigstens das rein positive kontrapunktische Können nicht
aus, auch nicht in den Opernwerken der ersten Periode. Wer z. B. sich den
Baßkontrapunkt zu dem ersten Auftreten der Pilger im „Tannhäuser“ genauer
ansieht, der wird leicht erschrecken über die momentane Flilflosigkeit des
Autors in dieser Hinsicht. Und nun vergleiche man dazu die Opern von den
„Meistersingern“ aufwärts. Ist es nicht geradezu ein Phänomen, wie sich aus
dem Kontrapunkt-Schüler ein Meister allererster Ordnung entwickelt hat, ein
Meister, der scheinbar mühelos zwei, drei und selbst vier Motive in der denkbar
genialischsten Art mit einander verwebt, nicht etwa rein verstandesgemäß, sondern
vom Herzen diktiert, mit dem Herzblut geschrieben? So, daß es kaum einer
wieder nachmachen kann? Wie der Riesengeist technisch wuchs, wuchs er auch in
seinen Reformideen. Harmonisch wagte er die (damals) kühnslen Kombinationen,
wagte er Dinge, die den eingeschworenen Konservativisten die Empörung in den
Mund und in die Feder treiben mußten. Sieht man sich aber diese Dinge heute
an, so findet man, daß alles absolut logisch erdacht ist und in weiterer Ver-
folgung der einmal durch Sebastian Bach angeregten Ideen gar nicht anders
konstruiert werden konnte. Die scheinbaren „Fehler“ der Stimmführung ver-
schwinden in Nichts, wenn man eben genauer zusieht. Diese neuen harmonischen
Kombinationen, wie sie uns im „Tristan“ entgegentreten, sind von einem heiligen
Zauber erfüllt, von einer Sonderstimmung, die transcendental genannt werden
muß. Aber alles das zu erkennen, war erst der Welt nach dem Tode Wagners
beschieden. In der ersten Periode seines Schaffens war er — begreiflicher-
weise — von allerlei Vorbildern abhängig. Weber, Mendelssohn, Marschner und
(für die Pariser Zeit) sogar — Meyerbeer, gegen den er sich später so heftig
wandte, waren seine Götter. Sein „Rienzi“ ist noch in der Spektakelmanier
(Spontini usw.) der damaligen Zeit geschrieben. Dann aber leuchtete ihm die Er-
kenntnis, daß man mit dem blitzenden Tand der Koloraturarien, Balletts usw.
den seichten „Ouvertüren“ aufräumen müsse, und so wagte er weiterhin Schritte,
die alsbald die Mißbilligung der davon betroffenen Kreise erregen mußten. Eine
Oper z. B. wie schon „Der fliegende Holländer“, in der die weibliche Haupt-
partie der Senta so ganz und gar nicht mit blendendem Prunk umgeben ist, war
gar nicht nach dem Gefühl unserer eitlen Primadonnen. Aber es half nichts;
man sah ein, daß der „Wagner“ Recht hatte im Einklang mit den Forderungen
einer Zeit, die das Unsinnige und Ueberlebte aus der Kunst einmal streichen
mußte, wollte sie vorwärtsschreiten. Mit dem Abschleifen jener eitlen
Virtuosen-Manieren ging die Vereinheitlichung des Kunstwerks durch die strikte
Durchführung des Leitmotivs Hand in Hand. Das Leitmotiv, schon bei Weber
(Freischütz!) und vorher bekannt, ist nicht Wagners Erfindung. Allein er erhob
es zum Prinzip, indem er jeder handelnden Person ein äußerst charaktervolles
musikalisches Beiwort gab, das er an der richtigen Stelle stets wiederholte und
mit anderen, wenn nötig, zusammenfaßte. Wer da z. B. die Hauptmerkmotive
aus den „Nibelungen“ in sich aufgenommen hat, der wird zu seinem Erstaunen
vielfach die Bemerkung machen, wie die sinfonisch untermalende Musik oft viel-
mehr Bedeutendes als das gesungene Wort verkündet. Ja, manches Rätsel des
Textes kann er damit leicht lösen. Diesem Prinzip ist Wagner bis zu seinem
Tode treu geblieben. Der „Parsifal“, sein letztes Werk, ist dafür nur eine Be-
stätigung. Um dieses Musikdrama ist, wie jedermann weiß, ein heftiger Streit
darüber ausgebrochen, ob es Bayreuth vorbehalten bleiben solle oder nicht.
Ein Extragesetz erwartet man, da in diesem Jahre Wagners Werke frei werden.
Nun, Parsifal wird auch anderwärts aufgeführt werden. Aber Eins wird sich
dabei zeigen, und alle Ehrlichen werden mir darin beistimmen, daß dieser
Schwanengesang nicht mehr die musikalische Riesenkraft der früheren Werke
besitzt. Wagner wiederholt sich sehr stark, aber die Prägnanz der älteren Mo-
tive wird nicht mehr erreicht. Darauf kommt es aber auch gar nicht an. Wir
haben außer Parsifal eine solche Fülle des Ilerrlichen, Überragenden, eine solche
Menge von Ewigkeitswerten, daß der Name Wagners im Wörterbuch der Zeiten
für immer unauslöschlich sein wird. Das Wagner-Jubiläumsfest ist daher nur
ein kleiner menschlicher Beitrag unserer Zeit für die Ehrung eines Menschen-
geistes, der nur einmal geboren werden konnte.


Frau Myfala.

mm

einen Eintritt in die Musikalienhandlung hatte die Dame in keiner

Nach einer wahren Bcgebenheit erzählt von Hans von Saltzwedel.

[Fortsetzung.] _,,.,,_

tü, Weise beachtet. Erst als Herr Fischer endlich eine seiner
vielen Verbeugungen auch gegen mich richtete, wandte sie mit ruhiger
Gelassenheit ihren Kopf seitwärts und sah mich ohne dic geringste
Scheu voll an.

„Donnerwetter!“ beinahe hätte ich es laut ausgerufen, so überraschte
mich der stolz vornehme Ausdruck in diesern Gesichte. Die höfliche

Copyright 1913 by Rich. Bong.

Verbeugung, die ich ihr unwillkürlich machte, schien sie ganz selbstver-
ständlich zu finden uncl erwiderte sie mit einem leichten Kopfnicken. Nach-
dem sie sich mit einem gleichen von Herrn Fischer verabschiedet hatte,
ging sie davon und ließ mich in einer Art von Erstarrung zurück. Es
dauerte wohl eine halbe Minute, bis ich wieder Herr meiner Gedanken
und meiner Glieder wurde. Das erste, was ich tat, war natürlich die
Frage an Herrn Fischer, wer die Dame sei.
 
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