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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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7. Heft
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Anwand, Oskar: Der Triumph der Lüfte: Weihnachtsnovelle aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0187

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E. Sturtevant: Berlin zur Weihnachtszeit. Victoria-Cafe. Ecke von Unter den Linden und Friedrichstraße.


Der Triumph der Liiffe.

Weihnachtsnovelle aus dem Künstlerleben. Von Oskar Anwand.

n duftigen, weichen Linien, Kringeln und Wölkchen zog sich grau-
lichter Zigarettenrauch zu den geweißten Wänden und der kahlen
Decke des schmucklosen Cafes auf dem Montmartre. Neben dem
Porzellan der Tassen blinkten die kleinen Kognakkaraffen, und über ihnen
hatte eine AnzahlKünstler ihreKöpfe in eifrigemGespräch einander genähert.
Daß es Maler und Bildhauer sein mußten, ließ sich an den rassigen Gesichts-
zügen, den legeren Bewegungen, kurz an dem' ganzen, leicht boheme-
haften Typ, der siclr in Paris. fast unverändert erhält, leicht erkennen.

Wieder war man bei dem altgewohnten unerschöpflichen Thema an-
gelangt — der Kunst. Denn trotzdem soeben erst Weihnachten vorüber
war, und draußen ein eisiger Nordost durch die Straßen des Mont Martre
pfiff, mußte man bereits seine Vorbereitungen für die Frühjahrsausstellung
des „Salon“ treffen. Pläne berühmter Kollegen wurden erörtert: man
erwärmte sich dafür, nahm dagegen Stellung oder spottete. Dann
tauschten die Mitglieder der Runde ihre eignen Absichten aus. Ein leb-
hafter, mittelgroßer Pariser Maler erklärte, ganz Neues zu versuehen und
damit selbst die Freunde zu überraschen; ein blonder, hünenhafter Bre-
tagner mit blondem Plaare meinte wiederum, man rnüsse für den Salon
immer in dem Stile malen, durch den man schon bekannt sei. Publikum,
Kunsthändler, ja selbst die Kunstrichter wünschten es nun einmal.

Jetzt legte ein Dritter seine kräftige Hand, die den Bildhauer ver-
riet, auf die Schulter eines jungen Ivollegen, der zurückgelehnt gesessen
hatte und der Unterhaltung fast mit Widerstreben gefolgt war, indem er
den Rauch seiner Zigarette vor sich hinblies.

„Von dir, Rometti, werden wir also ,den Triumph der Lüfte 1 zu sehen
bekommen.“

Ein schneller Schatten glitt über die bleichen, fast bartlosen Züge,
aus denen dunlde Augen mit starker Glut lcuchteten. Federnde Energie

_ [NacKdruck verboten.J

lag in der Bewegung des schlanken Körpers, als er sich jetzt vorwärts neigte.
Aber nur ein bitteres Lächeln schürzte die Lippen des jungen Bildhauers,
der wohl 25 Jahre alt sein mochte. Er stieß den Rest seiner Zigarette
mit heftiger Bewegung in seine leere Kaffeetasse:

„Wahrscheinlich nicht . . . ich komme nicht weiter . . . ich finde kein
Modell!“

Das Gespräch stockte, unwillkürlich richteten sich aller Augen auf
Rometti. Man wußte, was ein Mißlingen der Arbeit, ja nur ein Aufschub
auf ein Jahr hinaus, für ihn bedeutete. Der Sohn einer armen Italienerin,
hatte er mit einer Kühnheit ohnegleichen sich an den großen Wurf
seiner Gruppe „Der Triumph der Lüfte“ gewagt und in zäher Arbeit
einen guten Teil des figurenreichen Werkes fertiggestellt. Gelang es
Rometti nicht, sich auf der diesjährigen Ausstellung des „Salon“ wenig-
stens einen Namen zu machen, da die Hoffnung auf den baldigen Verkauf
des Riesenwerks allzu kühn war, so stand er mittellos und ohne Möglich-
keit des Erwerbes. Denn dieser entschlossene bleiche Jüngling, dessen
Profil eine ieise Ähnlichkeit mit dem Dantes aufwies, war unfähig, für den
niedrigen Kunsthandel die geforderte konventionelle Ware zu verfertigen.

Namen von Modellen wurden ihm zugerufen; aber er zuckte nur die
Achseln. Sie alle genügten nicht für seine Arbeit. Einen weiblichen
Körper brauchte er, schlank und frei aus den Hüften wachsend, im
Triumph aufgerichtet, stählern und dennoch schmiegsam. Was die Flug-
fahrzeuge mit ihren feinen, fest ausgespannten Flügeln, mit den silbernen,
singenden Drähten und den dünnen Stäben waren, diese Leichtigkeit und
Festigkeit ins Menschliche übersetzt — das sollte seinModell sein. Wenn
er die Augen schloß, sah er den Körper handgreiflich vor sich — und er
konnte ihn dennoch nicht gestalten, weil das Leben ihm das klare Vor-
bild für seine Träume versagte.

XXVII. W.-No. 21.
 
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