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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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12. Heft
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Pergaud, Louis; Heilborn, Adolf [Übers.]: Fuselines Ende: eine Tiergeschichte
DOI Artikel:
Lienhard, Friedrich: Schwert und Bibel, [2]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0347

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MODERNE KUNST.

der ihn von seiner Welt schied: rasende Wut hatte ihn ergriffen, und stärker und
schmeidiger denn je, als ob die Muskeln seiner Lenden, die die packenden Fänge aus-
einanderdrängten, sich von selber vorwärtsschoben, näherte er seinen heißen, gierigen
Rachen immer mehr der Brust des Raubvogels.

Mit der Qeste eines zu Tode getroffenen Menschen warf der Bussard in hefligem
Schmerze den Kopf zurück, während aus der offenen Wunde das rote Blut sickerte,
in heißen, scharlachfarbenen Tropfen vorerst, dann aber in ruckartigen, lebhafteren
Strahlen, die, je näher der Biß dem Herzen drang, in schweren Tropfen niederfielen.

Den Flug nun mäßigend, stieg der Bussard kerzengerade auf, in wahnsinnigem
Schwunge, immer höher und höher, den Marder im Herzen wie einen Todespfeil,

den er sich in den rasenden Zuckungen des Todeskampfs immer wütender hineintrieb.
Die gekrampften Fänge, die sich um Lenden und Brust des Marders krallten,
schnitten dem durch Fell und Fleisch und zerpreßten in ihrer Umschlingung die
Lunge, das Herz und die blutenden Eingeweide, zerrieben sie zu einer zuckenden,
rauchenden Fieischpastete, indes auch Fuseline unerbittlich, unablässig, nur auf Rache
bedacht, den Kopf immer tiefer in das rote Loch der Weiche des Bussards bohrte.

Zur Sonne stiegen sie, immer höher, in wahnwitzigem Aufschwur.ge, bis plötz-
lich der große Vogel, ausgesogen, in den letzten Todeszuckungen, noch immer den
Körper seines Opfers in den erstarrenden Fängen, die schlaffen Flügel hängen ließ
und beide in die Tiefe versanken.

^#3^=. Schwerf und Bibel. «4%

Ser Pastor sah Fräulein Juliane fragend an, während sie erklärend
fortfuhr: „Das Dorf hat viele Musikanten und eine Anzahl
Fabrikarbeiter, die in dem nahen Kreisstädtchen ihrer Beschäftigung nach-
gehen. Und da ist es schwer, wirldich schwer, den Leuten etwas
Geistiges nahezubringen. Man amüsiert sich lieber und lebt so hin. . .

Copyright 1913 by Rich. Bong.

muß er freilich schlagen; und so scharmützelt er gewöhnlich mit seinem
Diener herum. Sie waren bisher im Gebirge, Herr Pfarrer?“

Der Geistliche bejahte. „Man erholt sich dort von der Unrast der
modernen Welt“, fügte er trocken hinzu.

„Bleibt aber dennoch herzlich, nicht' wahr? Wir lasen neulich mit-

Novelle von Friedrich Lienhard.

[Fortsetzung.] ~ "" 1




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Harzdörfchen im Winter.

Phot. W. Zirkler, Clausthal i. H.

Papa ist ein anderes Naturell und nicht für solche Erziehungsarbeit ge-
schaffen. Bei den bezopften Komteßchen, die ich heute Nachmittag zum
Kaffee habe, oder heute Abend bei seinen Freunden — ja, da ist er der
heiterste Gesellschafter. . . . Aber den Dingen des Lebens gegenüber,
die Geduld erfordern. . . . Wir waren übrigens für sein Herz besorgt
und wohnten lange in Locarno.“ . . .

Der junge Pfarrer war sichtlich verstimmt. Er hörte höflich zu, ließ
sie plaudern und mußte zugeben, daß sich die Tochter allerdings an-
genehm vom lauten Vater unterschied. Wie sie da sehr aufrecht auf
ihrem Stuhl saß, den schweren dunkelblonden Haarschopf tragend wie
eine Krone, in einem fest anliegenden grauen Kleide, war die Baronesse
ein echtes Freiherrnkind. Doch Güte lag in ihrem offenen Gesicht mit den
milden Blauaugen, Güte klang aus ihrer Stimme, und eine herbe Keuschheit
prägte sich in ihrer ganzen geschlossenen Erscheinung aus. „Eine jener
Frauen aus den Befreiungskriegen,“ dachte der Pfarrer, „die ihre Gold-
ringe dem Vaterlande schenken und Eisenringe dafür eintauschen.“ Sein
Blick flog unwillkürlich zu dem Bilde Blüchers, das an der Wancl hing.

„Ihr ITerr Vater,“ sprach er, um nur das stockende Gespräch fortzu-
führen, „gleicht ein wenig dem altcn Blücher und scheint auch dessen
Temperament zu besitzen.“

„Nicht wahr? Er ist ein Original, das sagt jedermann. Aber im
Grunde herzensgut, Sie werden das sicher noch herausfinden. Schlachten'

einander Gobineaus „Renaissance“, der Doktor und ich beim Lehrer uncl
seiner sehr intelligenten Frau. Da hab’ ich mir ein Wort gemerkt, das
Michelangelo zu Vittoria Colonna sagt: ,Ein Herz wie das Eure, sagt er,
steht auf dem Gipfel der Größe, und dieser Gipfel ist die Güte'. Ist
das nicht herrlich? Mein Lebensideal ist die Verbindung von Energie mit
Gemütswärme — oder wenn Sie wollen: von Schwert und Bibel. Stimmen
Sie nicht bei?“

Die Gute gab sich redliche Mühe, den Herrn Pfarrer zu erwärmen und
zum Sprechen zu bringen. Aber trotz ihrer gewinnenden Liebenswürdig-
keit wollte er nicht auftauen.

„Ein schönes Wort, mein gnädiges Fräulein“, erwiderte er zurück-
haltend. „Es könnte sogar mein eignes Lebensprogramm sein, wenn“ —
„Nun? Es könnte? Warum ist es nicht Ihr Lebensprogramm?“

Die Frage wurde nicht beantwortet. Denn ehe noch der Pfarrer, der .
gedankenvoll in seinen Zylinderhut spähte, als wäre dort die Antwort
verborgen, eine Entgegnung geprägt hatte, wurde die trauliche Stille des
Salons abermals vom üblichen Biwaklärm durchbrochen. Man vernahm
im Park, auf einem Piston talentvoll geblasen, den Pariser Einzugsmarsch
nebst sehr vernehmlich mitsummenden Stimmen; und gleich darauf zog
ein Armeekorps in den Salon, das erheblich von der alten Garde ab-
stach. Es waren im ganzen gesunde, kräftige Männer, der dicke Schult-
heiß, der rotnasige Förster, der magere Apotheker und einige andere
 
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