Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI issue:
22. Heft
DOI article:
Duncker, D.: Das zweihundertjährige Jubelfest der Nicolaischen Buchhandlung
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0692

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das zweihmidertjährige Jubelfest der Nicolaischen Buchhandlung.

Äörncc

(E(nj(g£ cedjtmdjjige, »on bem Sßater be3 Stcfeters »exatu
(ialtetc ^luegabe

zählen sind sie, die historischen Häuser, die die wachsenden Bedürfnisse
und die Spekulationswut Berlins verschont hat. Um so heimlicher muten
sie uns an, wenn wir eines oder das andere zwischen modernen Häuserkolossen
eingeklemmt wiederfin-
den, das seine Geschichte
und seine Erinnerungen
hat. Seit demjahre1710
steht das Haus Brüder-
straße 13 in fast unver-
änderter Gestalt, das in
seinen Mauern die be-
rühmte Nicolaische Buch-
handlung zu Ruhm und
Größe wachsen sah, die
in den ersten Maitagen
ihr zweihundertjähriges
Jubelfest begehen durfte.

Die weiten, niederen
Säle, die engen, winkligen
Stuben, der malerische
Hof mit seinen Flieder-
büschen und epheuüber-
sponnenen Beeten, den
morschen, weinumhange-
nen Galerien und dem
alten Brunnen, der Garten
mit dem großen, weit-
zweigigen Nußbaum und
der schmalen Holzbank
darunter, was haben sie

nicht alles zu erzählen! Bis in das 17. Jahrhundert zurück läßt sich die Ge-
schichte dieses alten Hauses verfolgen, das früher Klostergut war und in seiner
jetzigen Gestalt von seinem ersten Mieter Kriegskommissar von Blaspiel, gar
prächtig ausgestattet wurde. Auch das wundervolle, herrlich erhaltene Treppen-
geländer im kunstvollen Barockstil stammt noch aus jener Zeit.

Als der Buchhändler Friedrich Nicolai die, von seinem Vater am 3. Mai 1713
begründete, „privilegierte“ Buchhandlung im Jahre 1787 von der Stechbahn nach
dem von ihm erworbenen Hause Brüderstraße 13 verlegte, ließ er im Innern
des Hauses mancherlei Veränderungen zu praktischen Geschäftszwecken vor-
nehmen, das Haus selbst aber behielt den alten vornehmen Qharakter der
Patrizierhäuser aus friderizianischer Zeit, den es sich bis heute bewahrt hat. —■
Der um diese Zeit bereits weit verbreitete Ruhm des Hauses Nicolai, der mit
seinen materiellen Erfolgen Hand in Hand gegangen war, hatte seinen eigent-
lichen Ursprung in der Freundschaft des jungen Nicolai mit den beiden Großen
seiner Zeit, Lessing und Moses Mendelssohn, mit denen gemeinsam Nicolai die
epochemachenden literarästhetischen und kritischen Schriften, die „Literaturbriefe“
und die „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ begründet und herausgegeben hatte.

Wie mit Lessing und Mendelssohn, blieb Nicolai durch sein ganzes langes
Leben, durch die Jahrzehnte seiner Wirksamkeit mit den meisten bedeutenden
Persönlichkeiten seiner Zeit
in enger Beziehung, ja oft
in herzlicher, bis zum Tode
dauernder Freundschaft ver-
bunden.

Sein gastliches Haus in
der Brüderstraße wurde bald
der Sammelpunkt des geisti-
gen Berlins und aller Frem-
den von nur einiger Bedeu-
tung, die es nicht versäumten,
auf derDurchreise beiNicolai
vorzusprechen.

In dem mit Porträt-
sammlungen berühmter Zeit-
genossen, Kupferstichen, Sil-
houetten und einer äußerst
kostbaren und reichhaltigen
Bibliothek geschmückten
Heim versammelten sich
allsonntäglich einheimische
und fremde Gäste um die
gastliche Tafel des Haus-
herrn und der Ilausfrau.

Selten fehlten Ramler,

Göckingk, die Karschin, die

Bibliophilen Biester und Oelrichs, die Pädagogen Gedicke und von Rochow.
die Musiker Fasch und Zelter, von den Persönlichkeiten, die den weiter aus-
gedehnten Kreis belebten, gar nicht zu reden.

Als Nicolai nach einem reichen und vielbewegten Leben — er hatte die
Gattin und acht Kinder vor. sich ins Grab sinken sehen — am 8. Januar 1811
starb, ging die Buchhandlung an seinen Schwiegersohn Hofrat Parthey, über,
An diese Aera knüpft ein, in diesem Jubiläumsjahr preußischer Erhebung ofl
und wehmütig genannter Name, der Name Theodor Körner, den herzliche
Freundschaft mit dem Hause Parthey verband.

Kurz ehe Körner, im August 1813, von den Freunden, dem lieben Haus und
dem alten Garten, in dem er auf der schmalen Holzbank unter dem schattenden
Nußbaum so manche Stunde verträumt und gedichtet hatte, den letzten Abschied
nahm, ließ er dem Verlage Nicolai seine Liedersammlung „Leyer und Schwerdt“
zurück, die ein Jahi
nach dem Tode def
Heldensängers 1814 er-
schien.

Nach dem Tode
Partheys übernahm
dessenSohnDr.Gustav
Parthey die Firma.

Während seines Be-
sitzes erfolgte die
Trennung zwischen
Verlag und Sortiment.

Doch blieben beide
Geschäftszweige vor-
erst in dem alten
StammhauS. Mancher-
lei Besitzwechsel folg-
ten, die den Handlun-
gen nicht eben zum
Segen gediehen, bis
das Verlagsgeschäft an
die Familie Stricker
überging, die den alten
pädagogischen Verlag
Nicolais zu neuerBlüte
brachte und für das
Sortiment sich der tat-
kräftige, zielbewußte
FritzBorstell einsetzte,
der dem Geschäft sei-
neneigenartigen, heute
weltbekanntenCharak-
ter des „Borstellschen Lesezirkels“ gab. Wer kennte ihn nicht diesen „Borstellschen
Lesezirkel“, vom Berliner Backfisch und der höheren Tochter bis zum ehr-
würdigsten General draußen im Reiche, ja bis weit über den Ozean hin, ins ferne
Kamerun, von woher der Neger seine seltsam orthographierten Bestellungen sendet!

Vor einigen Jahren hat
der Verlag das alte Haus in
der Brüderstraße verlassen;
lange schon ists dem Sorti-
ment mit seinen unzählbaren
Bücherschätzen dort zu eng
geworden. Seit dem Jahre
1892 sind „Borstell & Reima-
rus“, Nicolaische Buchhand-
lung in ein eigens für ihre
Zwecke erbautes Geschäfts-
haus in der Dorotheenstraße
übergesiedelt, nachdem die
Filiale an der Potsdamer
Brücke schon früher errichtet
worden war. Heute steht als
alleiniger Inhaber und um-
sichtiger Führer des Jahr um
Jahr sich ausdehnenden Ge-
schäfts Borstells einziger
Sohn an der Spitze. Mit den
alten, treu gehüteten Tradi-
tionen des Ilauses verbindet
er den rastlosen, modernen
Geschäftsgeist, der dauernde
Erfolge verbürgt. D Duncker

Nicolaische Buchhandlung, Gartenhaus.

Anna Dorothea Theerbusch: Zum Jubiläum der Nicolaischen Buchhandlung: Nicolai im Kreise seiner Familie.
 
Annotationen