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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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8. Heft
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Wendt, Hermann: Neue Arbeiten von Sascha Schneider
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Wohlbrück, Olga: Der eiserne Ring, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0230

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MODERNE IvUNST.

Was hier mit
Worten nur eben
flüchtig angedeutet
werden konnte, ist in
Bildern und Skulp-
turen aus Metall
und Stein, das Werk
Sascha Schneiders.

Der Künstler, der
heute im zweiund-
vierzigsten Lebens-
jahre steht, hat eine
gewichtige Summe
ernster Arbeit auf-
gehäuft, ehe er den
Tempel diesesldeals
erbauen konnte. Als
Schüler der Dresde-
ner Kunstakademie
schon zeigte er un-
gewöhnliche zeich-
nerischeFähigkeiten
und lenkte früh
die Aufmerksamkeit
durch eine Reihe
von Schwarz-Weiß-
Blättern auf sich,
in denen er für
bestimmte seelische
Zustände, Stimmun-
gen und Gefühle,

Philosopheme einen konzentrierten Ausdruck in der menschlichen Erscheinung zu schaffen
suchte. „O ihr Höheren", „Das Gefiihl der Abhängigkeit“, „Der Sieger", „Hohes
Sinnen" so lauteten die Unterschriften dieser Zeichnungen und Bilder. Bald aber zog
er auch die Farbe in den Kreis seiner Darstellungsmittel und lieferte in einer Anzahl
von Wandgemälden großen Formats, in der Johanniskirche zu Cölln bei Meißen, im
Buchgewerbehaus zu Leipzig, später im Stadttheater von Köln und im Hoftheater von
Weimar den Beweis, daß er über einen eignen und mächtigen Stil der dekorativen
Monumentalmalerei gebietet. Nach einigen Jahren der Lehrtätigkeit an der Akademie
zu Weimar siedelte der Künstler nach Italien über. Und in Florenz, in der Stadt

Sascha Schneider: Jtingling und Mädchen.

Mit Genehmigung der Galerie Ernst Arnold,
Dresden.

derFrührenaissance,
schuf er in zehn
Jahren strengster
Arbeit das künst-
lerische Programm,
dessen gemalte und
gemeißelte Zeugen
jetzt in Dresden, der
Stadt seines Wer-
dens, zu einer Aus-
stellung vereinigt
worden sind. In
einer Schrift von
dokumentarischer
Kürze Iegt er die
Grundzüge seines
Gestaltens und Bil-
dens dar. Er geht
aus von der Über-
zeugung, daß ein
Bild keine räum-
liche, sondern nur
eine Flächenwir-
kung habeti darf,
er verwirft also das
Prinzip des Illu-
sionsbildes mit sei-
ner Vortäuschung
von Raum, Licht und
Ferne. Die mensch-
lichen Körper sollen

sich in absoluter Ursprünglichkeit zeigen, ohne irgendwelche dekorative Beigaben, die
von der Erscheinung selbst nur ablenken müssen. Die treibende Kraft dieser Körper-
darstellung aber ist desKünstlersWunsch, das Interesse an der neu erwachenden physischen
Kultur zu beleben. Er wirft durch die Wiedergabe eines idealen Typus edelster Körper-
lichkeit dem Zeitalter einer Hypertrophie des Intellektuellen den Fehdehandschuh hin,
er verkündet uns mit aller Kraft seines persönlichen Temperaments das Evangelium
einer neuen Kunst, der Kunst, die nicht unsere Nerven kitzeln, unsere Leidenschaft auf-
rühren, unsere Schwermut einhtillen will, sondern die sich an das Auge, an den Froh-
sinn, an die Jugend wendet, die eine Gefährtin sein soll zu neuen Menschheitszielen.

t)er eiserne T\ing.


Von Olga Wohlbrück.

[Fortsetzung.]

gute Thomas war der Familie schon so entfremdet, daß
er gar keine richtige Schätzung mehr hatte für das Ehrbare
und bürgerlich Korrekte. Aber
da er ihr begütigend mit der Hand über die
Wange strich, erschrak sie:

„Du hast Fieber, Thomas, weißt du das?“

„So . . . Ja . . . möglich . . . mir ist
auch nicht ganz gut. . . . Ich werde nach
Ilause gehen.“

„Immer drückst du dich", sagte Ulrike
unzufrieden. — Er versuchte zu lächeln.

„Wenn ich aber krank bin . . .“

Sie schüttelte den Kopf, streifte ihn mit
einem unsicheren, dunklen Blicke.

„Krank bist du. Aber anders, als du
meinst. . .“ Sie wurde abgerufen, und so
ließ sie ihn stehen, in peinlicher, ärgerlicher
Verwirrung. Die Mama sagte gerade:

„Es ist so angenehm, daß Hermann
weder einen neuen Salon, noch ein neues
Speisezimmer zu kaufen braucht. Unsere
Möbel sinu ja vorzüglich erhalten.“

„Es ist viel heimischer mit den alten
Möbeln“, stimmte Frau Konsistorialrat bei.

„Und auch für die Kinder ist es er-
zieherisch“, meinte die Frau Professor, „die
Kinder lernen es, Möbel und Tradition zu
respektieren.“

Copyright 1912 by Rich. Bong.

„Es fördert zweifellos die Pietätsgefühle“, bestätigte der Konsistorialrat.
Thomas war es, als senkte sich plötzlich die Decke des mütterlichen

Speisezimmers auf ihn herab. Das machten
seine wüsten Kopfschmerzen. Die bekam
er immer, wenn dieFamilie beisammen war.
Merkwürdig war das!

Er drückte sich wirklich. Auf der Treppe
kam ihm jemand nach, und als er sich um-
sah, war es Dora, die ihm mit einer Kerze
leuchtete.

„Lieb von dir. Danke schön. Aber ich
hätte auch so gefunden.“

Er wendete sich um, faßte ihr blasses
Gesicht zwischen beide Hände.

„Nun, Dorchen?“

Sie fühlte die Sorge heraus aus seiner
Stimme, eine ungewohnte Wärme. Ihre
schlanke, feine Gestalt neigte sich zu ihm
herab, mit der Stirn fiel sie auf seine Schulter.

„Na . . . na . . . Dorchen, liebes . . .
was ist denn? Morgen geht’s in die weite
Welt hinaus . . . freust du dich denn nicht?“
Er versuchte, seiner Stimme Festigkeit
zu geben.

„Auf die Reise freue ich mich. . . .“

Er wollte sagen: Und dann auf das
eigne Heim was? Aber er brachte die Worte
nicht über die Lippen. Er fühlte es: als

Sascha Schneider: Knabenkopf. Plastik.
Mit Genehmigung der Galerie Ernst Arnold, Dresden.
 
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