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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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18. Heft
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Brennert, Hans: Berliner Frühling
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Tovote, Heinz: Die Fahrt in den Frühling: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0520

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21

MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

219

Es ist kein Frühling wie der des Wieners mit seinem blühenden Kahlen-
berge oder dem waldgrünen Semmering. Es ist kein Frühling wie der des
Müncheners, der in zwei Stunden vom Starnberger Bahnhof zwischen den
Wildwasserwänden des Loisachtales utid bei den Maiglöckchen des Eibsees
beschneite Alpen auf sich niederschauen sieht.

Es ist ein karger Frühling, der aus dem märkischen Sande sprießt. Er hat
nur Kiefernheide und wenig Laubwaldschönheit. Er hat ein paar blaue Waldseen
und silberne Flußbänder. Aber er hat nur wenig Frühlingsblumen. Und nur
am Abend, wenn die Sonne verglüht, flammen in diesem Frühling die Farben
auf -— schwefelndes Gelb, rinnendes Rot, fahles Blau und über schwefelgrauen
Wolken vielleicht ein zartes Apfelgriin.

Der Frühling um Berlin hat wenig Farben und Licht über niederen Hügeln
und über seebreiten Wassern. Und ihren Frühling bringen sich die Berliner
Damen mit, wenn sie hinausfliehen aus ihrem steinernen Gefängnis auf den
Straßen, auf den Bahnen und zu Wasser.

Lange Radlerketten eilen in der Sonntagfrühe dahin auf den großen
Heerstraßen, die Berlin in das Land entsendet. Sie fahren hinaus nach Werder,
sehen dort von sanften Höhen auf silbern bebltihte Hügel und kehren am Abend
mit Blütenzweigen besteckt heim nach Berlin. Weithin über die sonnenblitzenden
Seenflächen der Havel und der Oberspree schießen die schmalen und spitzen
Boote der Ruderer. Braune, sehnige Mannschaften im weißen kurzen Leinen-
dreß fahren die Wimpel ihres Klubs hinaus in die kleinen Dörfer, die auf diesen
Berliner Frühling, der zu Wasser gefahren kommt, sich den ganzen Winter

über gefreut haben. Tief in den Wäldern, an
dem reizend sich schlängelnden Ufer der Löcknitz
hinter Erkner schaukeln die Tourenboote im Schilf.
Am Ufer stehen die Klappstühle, und es wird im
Walde das Picknick gehalten. Auf dicken wollenen
Decken wird in der Sonne geschlafen, und der
Pirol pfeift fern in der Heide.

Märkischer Waldfriihling! Grüne Stille und
besonntes Atmen der Gräser und der Kräuter . . .
Die Weltstadt, der man in der Morgenfrühe ent-
ronnen ist, liegt versunken und vergessen in der
Ferne. Dann schallt plötzlich heller Gesang durch
den Wald. Auf der Waldchaussee kommen in
langer Reihe die Kremser gerollt. Irgendein
Verein oder eine Genossenschaft, die ihren ersten
Frühlingsausflug macht. Innen im Wagen in bunter
Reihe Ulkmützen aus Papier und Frühlingshüte.
Blasinstrumente und Gelächter jauchzen durch-
einander, und irgendwo auf einer Waldlichtung
wird gerastet. Auf einem Baumstumpf wird das
Achtel Bier aufgelegt. Und dann wird auf dem
grünen Frühfingsrasen getwostept. Denn man
hat auch das Grammophon mitgenommen, und
wenn das nicht laut genug ist, wird dazu auf dem
Kamm geblasen — Frühlingsmusik!

Noch aber gibt es Berliner, die ihren Frühling
allein oder zu zweien suchen. Junge Menschen
und auch ältere, die sich selber einander genug
sind, die ihre junge Liebe oder ihr Glück hinaus-
tragen in die Einsamkeit, wo der laute Frühüngs-
troß nicht hinkommt. Die weitab von der großen
Straße die kleinen grünen Winkel und sonnigen
Stellen kennen, an denen sie allein sind mit ihrem
Frühling — die den Duft eines solchen Tages am
Abend mit heimnehmen, um daran zu zehren in den grauen Tagen der Woche
hinter dem Kontortische oder am Schraubstock. Auch hinter die großen Fenster
der Fabriken, in die Schreibsäle der Bureauhäuser
weht so der Berliner Frühling!

Doch es gibt auch noch sozusagen einen vornehmen
Frühling in Berlin. Der blüht aus den seiden- und
ledergepolsterten Autos, in denen an silbernen Griffen
köstüche Frühlingsblumen stecken. Er guckt aus den
Schaufenstern der großen Kunsthandlungen, wo jetzt
die Maler ihre Frühjahrsausstellungen haben. Er flaniert
über den grünen Rasen der Rennbahnen in Hoppe-
garten, Karlshorst und im Grunewald und soupiert vor
allem abends im Rennbahnrestaurant Grunewald.

Da ist ein heller Pavillon, in dem es sich am
Frühlingsabend wundersam sitzt bei leiser Musik und
gedämpft lachenden heiteren Menschen. Und durch
die hellen hohen Fenster verströmt das letzte Licht
des Frühlingsabends, und sein verrinnendes Rot verblaßt
über dem schwarzen Kiefernsaum jenseits des grünen
Rennrasens. Hier ist der Berliner Frühüng ganz vor-
nehm! — Und immer wandelt durch diesen Frühling
mit leuchtendem Frühlingshütchen die Berlinerin. Denn

Und überall in leuchtenden, lodernden, feurigen, glühenden Farben die
Frühüngshüte in der ersten Lenzsonne. Und an den Straßenrändern stehen die
Blumenfrauen, mit Seidenpapier, Draht und Blumenspritze rastlos tätig. Die
Zeitungshändler frieren nicht mehr, sondern bieten ihre Druckwaren mit Witzen
an, die von echter Frühlingslaune durchsonnt sind. Die riesigen roten und blauen
Trauben der Luftballonhändler schaukeln sich im Frühlingswind. Fleller leuchtet
das Blau der Schutzmannsröcke an den Straßenübergängen. Händler durchziehen
die Straßen mit ganzen Wagenlasten von Hyazinthen und gelben Osterblumen
oder jungem Birkengrün. Und von der Straße herauf schallt der Ruf kräftiger
Männerstimmen: „Blumenerde . . .!“

Blumenerde für den Frühling von Berlin ■— für diesen Frühling, der sich
in den Blumenkästen an den Fenstern und auf den Balkonbrüstungen entfaltet.

Blumenkästen werden gestrichen. Wilder Wein wird beschnitten. Wünde
wird gepflanzt. Balkonmöbel werden gestrichen, lackiert und mit schönen bunten
Strichen abgesetzt. Und am ersten warmen Tage wird auf der Loggia Kaffee

getrunken. Und
am nächsten Tage
niest die ganze
Familie und hat
einen echten Ber-
liner Frühlings-
schnupfen. Und
überall in der

Paul Halke: Rast an der Löcknitz.

Stadt, wo ein Biergarten ist, sitzen am Sonntag die Tische voll bei kaltem Kaffee
und in warmer Sonne. Und es gibt einen großen Garten, das ist der „Zoo“ —
da ist ein ganz besonderer Berüner Frühling. Da lassen sich gelbe Löwen die
milde Berüner Sonne auf das Fell brennen, dehnen sich wohlig in ihren offenen
Käfigen: denn ihr heißes Bestienblut sehnt sich nach der Glut der Afrikasonne.
Kamele sonnen sich schläfrig, und alles Tropengetier freut sich der Berüner
Frühlingssonne: nur der Eishär läßt sich ab und zu mürrisch in das kühle
Wasser sinken.

Irgendwelche Gäste aus fernen Landen sind vielleicht da: Eskimos, Lappen,
Samojeden, Singhalesen — sie starren blinzelnd in diese kühlgoldene Berliner
Frühlingssonne und halten ihre kleinen Sprößlinge den erstaunten Berliner Müttern
und Kindern zur Liebkosung entgegen.

Zwischen den Zwingern und Tierhäusern, auf blumenbesetzten Steigen
wandeln die Berliner und lauschen auf das erste Miütärkonzert dieseg Frühlings.

Dann eines Tages sind alle Frühüngshüte von Berlin ausgeflogen. Wie
richtige große Schmetterlinge füegen sie aus diesem steinernen Straßennetz
heraus — in die Wälder, über die Wiesen, an die Flüsse und Seen, die um die
Riesenstadt herum sich breiten. Zwischen rotgrauen Kiefern und an sonnigen
Waldrändern leuchtet es, auf und weiße Gewänder schimmern durch sprossendes
Dickicht. Es sind die Tage, da die Radler, Ruderer und Segler, die Wanderer
und die Autler in den großen Berliner Frühüng hinausfüegen, in den diese
steinerne Stadt gebettet ist.


Paul Halke: Berliner Landpartie.

sie ist eigentlich der Frühling von Berlin, der alle Jahre von neuem da ist. Ich
weiß nicht, wie viele Tausend es sind, wieviel tausend Blonde, Braune, Schwarze,
Rote, die man den Berliner Frühling heißen dürfte. Aber es sind wohl bestimmt
fünfzigtausend junge hräulein, die in Berlin
in jedem Frühjahr so siebenzehn Jahre
alt werden. — Fünfzigtausend Frühlings-
wesen!.

Und nun stelle man sich ein-
mal vor, wieviel Menschen fleißig
sein müssen, um die Hüte und
Gewänder für diese Mädchen-
legionen genau so zeitig fertigzu-
stellen,daß sie amerstenFrühüngs-
sonnentag in der Sonne zu leuchten
imstande sind. Und man stelle
sich vor, wieviel Glück und Jugend
in einer so großen Stadt im Früh-
üng versammelt ist.

Das Rührende wird zum Gro-
tesken, wie alles in dieser Riesen-
stadt Berlin, die alles Holde und
alles Schlimme in unzähligen
Widerspiegelungen zeigt: auch
den Frühling. Man stelle sich
nur einmal vor, diese fünfzig-
tausend Berliner Frühlingsmädel
auf einem großen riesigen Früh-
lingsanger versammelt, in blü-
hendem Lenzschmuck, reigen-
schlingend und alle in blumen-
buntem Gewand und in Frühlings-
hüten — dann hat man den wirlc-
üchen Berliner Frühling! ....

ie ^ Val?ii in den JriiliiiKV

Novelle von Heinz Tovote.

;ilf mir! rate mir! . . .“ — „Ja, womit soll ich dir helfen? So erklaie
mir doch erst! —“ Er war plötzlich in meinen Nachmittagsfrieden
hineingeplatzt, ganz aufgeregt, und üef nun im Zimmer auf und ab,

während ich behaglich dasaß und
ihm verwundert zuschaute.

„Weißt du, setz dich!“ sagte
ich. „Nimm eine Zigarette! . . .
Einen Schnaps biete ich dir bei dem
schönen Frühlingswetter nicht an,
das wäre Frevel.“

„Um Gotteswillen, sprich mir
bloß nicht vom Frühling!“

„Aber weshalb nicht? Der Mai
ist gekommen . . .“

„Ach, wäre er nur geblieben,
wo er war — dann wäre mir wohler.“
„Was hat derFrühling mit deiner
Aufgeregtheit zu tun? Ich verstehe
den Zusammenhang nicht.“

„Also laß dir erzählen.“

„Mit Wonne! Leg los.“
„Wonne ist gut! ... Mir ist
anders zu Mut als gerade wonnig.
Also höre: du kennst ja Frau Edith.“
„Kenne ich! freilich! Aber was

hat die denn ..."

„So laß einen doch mal zu
Worte kommen. Du weißt, wie
poetisch sie ist.“ — Ich nickte nur.
„Das weißt du also?“ fragte er.
ja!“ sagte ich da deutlich und
vernehmbar. „Das weiß ich!“ —
„Nun also, und diese Poesie hat
mich hineingeritten. DerFrühling

[Nachdruck verboten.J

„Ach so. Aus eurem Winter-

ist an der ganzen bösen Sache schuld“.
flirt ist . . .“

„Ja, ist eine Frühlingskatastrophe geworden.“

„Ihr Mann? . . .“

„Ja! der auch. — Du! das ist ein Gerissener, der lacht sich jetzt
ins Fäustchen. Aber nun laß mich der Reihe nach erzählen, und dann.
hilf undrate!

Also: Unsere poetische Frau Edith wollte durchaus eine Fahit in
den nordischen Frühling machen. Den nachgemachten, verschminkten,
treibhausähnlichen der Riviera hatte sie satt. Nein! . . . es sollten be-
scheidene Veilchen und versteckte Anemonen sein, nach denen sie Sehn-
sucht empfand.

Aber nicht auf banale Weise wollte sie in den Frühling, nicht auf
irdischen nassen Wegen oder auf autostaubiger Chaussee. Sie wollte
den Frühling von oben sehen. „Ganz so, wie er durch die Lüfte in
das Land zieht, und seine bunten Blumen über die Erde streut.“ Ich
zitiere wörtlich. „Mit den Wolken kommt er,“ und auf dieser seiner
eigensten Bahn wollte sie ihm folgen, dort wollte sie ihn suchen.

Kurz, sie redete so lange, bis ihr Mann seine Erlaubnis gab, daß wir
an einem schönen Tage mit einem der vielen Luftschiffe, die die Atmo-
sphäre über unserer geliebten Stadt jetzt unsicher machen, e ne Fahrt
über die Lande machten, um uns zu überzeugen: daß „die Ströme und
Bäche vom Eise befreit seien, durch des Frühlings holden belebenden Bück“.

Das wäre nun entschieden alles sehr schön gewesen, wenn es ohne

Beisein ihres Mannes geschehen wäre. Damit hatte sie natürlich auch

stark gerechnet, daß er hübsch zu Hause blieb. Denn schließlich: zu den
Mutigsten schien er nie zu gehören.

Wie man sich in einem Menschen täuschen kann! . . .

Er ist sofort von der Idee entzückt. Nic, sagte er, würde er ge-

statten, daß seine Frau sich so allein in Gefahr begibt. Ich wollte zwar

dabei sein, aber: ich zählte offenbar nicht mit. Ich hatte freilich damals
keine Ahnung, in welch fürchterliche Gefahr ich selbst geraten sollte.

Du kannst dir denken, seine ßeteiligung war für uns ein großer
Dämpfer; aber er hatte zu so einem großen Zeppel erhebliches Vertrauen,

Paul Halk^'

^ Ussicht.
 
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