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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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17. Heft
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Skribanowitz, Theodor: Peter Behrens' Deutsches Botschaftspalais in St. Petersburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0496

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Peter Behrens'

Deutsches Botschaftspalais in St. Petersburg.

^^^elten hat in Petersburg ein Neubau solches Aufsehen erregt, wie das Palais der
AJpyi Deutschen Botschaft, das am diesjährigen Geburtstage Kaiser Wilhelms vollendet
worden ist. Das Außergewöhnliche seines Eindrucks zwang auch die Gleich-
gültigsten zu kritischer Stellungnahme; und in der Presse und in der Gesellschaft
bildet das Werk Professors Peter Behrens eben noch den bevorzugten Gegenstand
lebhafter Erörterungen und Debatten. Auf jene einzigartig impressive, im besten Sinne
„herausfordernde" Wirkung des Neubaus ist es wohl letzten Endes zuriickzuführen,
daß seitens eines großen Teils der Petersburger
Presse das erste und vornehmste Gebot der Kunst-
kritik: eine kiinstlerische Schöpfung vor ihrer
definitiven Vollendung nicht zu kritisieren, grob
verletzt worden ist. Man fühlte sich, als die
Fassade vom Gerüst befreit dastand, sogleich von
ihr aufs eindringlichste angeredet und konnte
nicht schweigen! So mag es psychologisch zu
verstehen, keineswegs jedoch zu entschuldigen
sein, daß der Bau, noch bevor das Dach ganz
fertig, bevor ihm in den Kolossalfiguren der
Rossebändiger der für seine architektonische Ge-
samtwirkung unentbehrliche krönende Abschluß
gegeben war, von berufenen und unberufenen
Kritikern bereits öffentlich ästhetisch beurteilt
und — verurteilt wurde. Das hätten Täkt und
journalistische Disziplin verbieten sollen! Der
Maler, der Musiker, der Dichter, der Bildhauer —
sie alle können ihre Schöpfungen vor dem Publi-
kum so lange verschließen, als ihr Künstler-
gewissen das verlangt. In dieser günstigen Lage
ist der Architekt nicht, — deshalb hätte die
Befolgung jenes obersten Gebots kunstrichter-
lichen Anstandes ihm gegenüber doppelt Pflicht
sein sollen. —

Dem architektonischen Gesamtbilde der russi-
schen Hauptstadt haben zwar vornehmlich aus-
ländische Bauldinstler das eigentümliche Gepräge
gegeben. Allein diese neue, großräumige Stadt
unterwarf jene fremden Künstler den besonderen
Gesetzen ihrer raumgestaltenden Kräfte, zwang
sie, die mitgebrachten architektonischen Aus-
drucksmittel ganz neuartigen Gegebenheiten an-
zupassen. Das Kräfte- und Formenspiel des Barock

[Nachdruck verboten.]

und des Empire mußte hier gleichsam in eine andere Tonart transponiert, rnußte,
schon um der hier zu bewältigenden unerhörten Diniensionen willen, umgedacht
und neugefiihlt werden. Aus dem Ineinanderwirken jener beiden Sphären, der all-
gemeineuropäischen und der Iokalen, erwuchs eine spezifisch petersburgische Archi-
tektur, deren Wesen freilich schwer formulierbar, deren Dasein aber nicht bestritten
werden kann.

Es sind Baumeister von hohem Rang, die der architektonischen Physiognomie

St. Petersburgs die entscheidenden Ziige ver-
liehen haben: Schlüter, Dom. Tresini, Leblond,
Rastrelli, Vallin de la Mothe, Rinaldi, Thaumon,
Cameron, Rossi, Monferrand, L. v. Klenze. In
ihre Reihe tritt nun auch Peter Behrens ein.

Die ästhetische Beurteilung seines deutschen
Botschaftspalais hat unter einem zwiefachen Ge-
sichtspunkt zu geschehen: zuerst ist zu fragen,
was der Bau fiir das Stück Stadtbild, das er
seiner Lage nacli niitbestimmt, bedeutet; danti —
welchen künstlerischen Wert er fiir sicli hat.
Es ist zunächst ein städtebau-ästhetischer, dann
ein rein architektur-ästhetischerMaßstabanzulegen.

St. Petersburg darf als das grandioseste
Beispiel bewußten Städtebauens in neuer Zeit
gelten. Am Beginn des achtzehnten Jahrhunderts
wurde hier, Jahrhunderten weit vorausgreifend,
das Raumgewand für eine kiinftige Millionenstadt
zugeschnitten. Und diese Stadt erhielt sogleich
die Bestimmung, die Hauptstadt des sich euro-
päisierenden Moskowiterreichs, die Residenz seiner
Zaren zu sein.

Das Aeußere ihrer Erscheinung sollte mit-
helfen, das moralische Ansehen des russischen
Volkes, seine Geltung im Auslande zu heben.
Schönheit und Größe sollten diese Stadt würdig
machen, das ganze weite Rußland vor Europa
repräsentativ zu vertreten. Pracht und Monu-
mentalität wurden ihre städtebaulichen und ar-
chitektonischen Grundtöne: die Pracht starker,
ruhiger, unkomplizierter Formen und die Monu-
mentalität gigantischer Dimensionen. Schon die
natiirliche Lage — am mächtig breiten Newa-
strom und auf gleichmäßig flachem Boden —

XXVII. 54.

Die deutsche Botschaft zu St. Petersbug: Preußensaal.
Phot Ernst Wasmuth A. G., Berlin.
 
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