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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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5. Heft
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Eine Künatlerfahrt nach Schweden
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0140

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62

MODERNE KUNST.

K-inß Künst(ßrfal)rf

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S[Nachdruck verboten.]

eutzutage, wo das Reisen für viele lediglich eine Modesache
ist und die Hochflut der Touristen selbst abgelegenere
Gegenden überschwemmt, hält es manchmal schwer, stille Winkel
ausfindig zu machen, wo man als Maler ungestört und unbelästigt
seinen Studien vor der Natur obliegen kann. Daß es solche
„Malerparadiese“ noch gibt, haben wir in diesem Sommer er-
fahren, wo wir zu dreien in Südschweden auf die Suche nach
Motiven gegangen sind. Torekov, ein kleines Fischerdorf an der
schwedischen Westküste und seine Umgebung waren das Ziel

unserer Künstlerfahrt.-Die erste Kunde vom Vorhanden-

sein dieses abgeschiedenen Erdenwinkels, der den Touristen bis-
lang noch entgangen ist, ward uns durch einen Kollegen, den der Zufall dorthin
verschlagen hatte, und so traten wir denn im August unsere Studienfahrt nach
Torekov an. Der Weg führte uns über das schöne Helsingborg, die „Perlfe des
Sundes“, wo wir die Eisenbahn bis Grefvie benutzten. Die letzte Wegstrecke
muß im Wagen zurückgelegt werden. Da der Tag glühend heiß war, konnte
man die dreistündige Fahrt auf holperiger Landstraße im primitiven Bauernfuhr-
werk, einem gewöhnlichen Leiterwagen, durchaus nicht als „Vergnügungsreise“
betrachten. Unserer guten Laune tat das jedoch keinen Abbruch. In lustiger
Stimmung kamen wir zur Mittagszeit am Ziel an, wo
einige Kollegen mit ihren Frauen sich der tüchtig durch-
gerüttelten, halbverdursteten Reisenden liebevoll an-
nahmen. Für gute und dabei wohlfeile Unterkunft war
bereits gesorgt, und so gingen wir nach Tisch sofort
daran, uns ein wenig zu orientieren. Torekov hat die
charakteristische Felsennatur der schwedischen Küsten-
gegenden, es ähnelt dem seit einigen Jahren besonders
von Berlinern vielbesuchten Badeort Mölle auf der Halb-
insel Kullen in Südschweden. DieBevölkerung des kieinen
Ortes besteht hauptsächlich aus Fischern, außerdem leben
dort einige pensionierte Schiffskapitäne mit ihren Fami-
lien. Touristen verirren sich nur ausnahmsweise dort-
hin. — — — Bei unserm ersten Orientierungsgange
stießen wir auf das Wrack eines kurz vor unserer An-
kunft gestrandeten Dreimasters, das inmitten der Felsen-
szenerie, von weißköpfigen Wogen umbrandet, mit dem
von Schiffstrümmern bedeckten Strand im Vordergrund,

ein Bild von eignem malerischen Reiz bot.-Auf

der Suche nach Motiven empfanden wir es manchmal

störend, daß beim Herumklettern zwischen den Granitklippen plötzlich Gruppen
badender Mädchen und Frauen in paradiesischem Zustand auftauchten, so daß
wir uns anstandshalber zurückziehen mußten. Badekostüme findet man bei den
Schweden, diesen einfachen, natürlichen Menschen, nur selten, Badehütten gibt
es ebenfalls nicht; meist entledigt man sich im Schutze der Felsenklippen seiner

Heinrich Harder: Fahrt von Grefvie nach Torekov.

Kleider und taucht dann in die kühle Flut. Als weiterer Beweis für den Fort-
schritt der Emanzipation der Schweden erschien uns das Vorhandensein eines
weiblichen Schuhmachers in Torekov, der mit Hilfe eines gleichfalls dem
„schwächeren“ Geschlecht angehörenden Gesellen sein Handwerk ausübte und
ausgezeichnete Arbeit li'eferte. „Weibliche Schusterjungens“ haben wir leider
nicht zu sehen bekommen, was indes keineswegs ausschließt, daß es in Torekov
solche gibt. — — —

Von Torekov aus machten wir mit dem hier stationierten Lotsenkutter eines
Tags einen Abstecher nach der 3 km südlich gelegenen
Schäreninsel Hallands-Väderö, einem kleinen Eilande,
reich an verschiedenartigen landschaftlichen Schönheiten.
Neben öden, mit Granitblöcken besäten Heideflächen und
dunkeln, melancholischen Moorgewässern findet man
dort einen stattlichen Buchenhochwald und sogar einen
Eichenurwald. Wir waren überrascht von dem eigen-
artigen Charakter dieser weltabgeschiedenen, nur etwa
3 qkm großen Insel und beschlossen, zumal wir Torekov
malerisch genügend ausgebeutet hatten, wenn irgend
möglich, noch einige Wochen auf Hallands-Väderö zu
verleben. Da die Insel nur von wenigen Personen be-
wohnt wird, stellten sich uns im Anfang Schwierig-
keiten wegen der Unterkunft in den Weg. Schließlich
half unser Wirt in Torekov aus, der auf der Insel ein
kleines Anwesen besitzt, das allerdings nicht auf Fremden-
besuch eingerichtet war. Er bot uns ein ziemlich bau-
fälliges, äußerst primitives Häuschen als Wohnung an,
und da es nichts Besseres gab, griffen wir natürlich
zu. Mit Hilfe des Lotsenkutters wurden einige Möbel-
stücke, Bettzeug sowie ein stattlicher Vorrat an Konserven und Getränken nach
Hallands-Väderö überführt, wo wir uns schnell häuslich einrichteten. Unsere
Vorräte wurden später alle vier Tage von Torekov aus ergänzt. — Die uns ein-
geräumten „Zimmer“ im Nebengebäude des sogenannten Gutshauses waren so
klein, daß nur je ein Bett und eine Holzbank für die Waschschüssel (aus Blech)

Platz darin hatten. Als Sitzgelegenheit diente eine
Ilolzkiste; unsere Kleidungsstücke mußten auf der
Diele untergebracht werden. Da im Hause nicht
genügend Platz vorhanden war, vollendeten wxr
unsere Morgentoilette einfach unter freiem Him-
mel. Aber gerade diese primitiven Vei'hältnisse,
dieser Mangel an Kultur, trugen dazu bei, uns
ständig bei guter Laune zu erhalten; denn sie
gaben immer wieder Veranlassung zu Scherzen und

Anulkereien.-Morgens nach dem Frühstück

trennten wir drei uns, um auf die Suche nach Mo-
tiven zu gehen, und erst beim Mittag- und Abend-
essen kamen wir im „Gutshause“ wieder zusammen.
Wenn einer von uns einen passenden Vorwurf
gefunden hatte, wachte er eifersüchtig darüber,
daß die andern ihm nicht ins Gehege kamen. Be-
sondere Vorbereitungen traf unser Kollege F.,
bevor er an die Arbeit ging. Er machte sich
nämlich die Landschaft erst für seine Zwecke
zurecht, er „frisierte“ sie gewissermaßen, indem
er mit Hilfe einer Taschensäge alle ihn störenden
Zweige entfernte. Im Vordergrund arrangier.te er
gewöhnlich einige abgefallene dürre Baumäste.
Die schönsten und eigenartigsten Motive bot der
Eichenurwald. Aufeinem hügeligen, von Heidekraut
überwucherten Terrain, neben düstern Wacholdern

Heinrich Harder: Wrack an der Küste von Torekov.
 
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