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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Gerhart Hauptmann.

(Zu seinem 50. Geburtstage.)

Wenn einem der modernen deutschen Schriftsteller
das hohe Wort „Dichter“ in vollem Maße zukommt, so
ist es Gerhart Hauptmann, in dessen Werken, wie in
denen keines andern, der Pulsschlag unserer Zeit warm
und lebensvoll, zart und leise klopft. Goethes Wort aus
dem Götz, daß das Herz voll von einer Empfindung den
Dichter ausmache, auf ihn trifft es zu. Was Hauptmann
zum „Dichter“ erhebt, ist ein heiliges, tiefernstes Gefühl
von der Not des Lebens und der Menschen, das ihn
durch Welten, Klüfte und Schliinde von den meisten
iibrigen Dramatikern trennt, welche die Bühnenwirkung
suchen. Als Realist, ja scheinbar als krasser Naturalist
hat er mit „Vor Sonnenaufgang“ begonnen; aber als
Dichter trug er bereits damals die Krone der Romantik,
nur daß sie noch verhüllt war. Die verschiedenen
Ströme der Sehnsucht, die unsere Zeit durchbrausen,
fühlte er in eigner Brust, so daß eine Charakteristik
seines Schaffens geben, zugleich bedeutet: eine moderne
Literaturgeschichte im kleinen schreiben. Was ihn ferner
über alle Dramatiker hinaushebt, ist die meisterhafte
Wiedergabe seiner Figuren, das Anklingen des Großen,
Einfachen, Ungeschminkten in ihrem Schicksale, die Art,
wie diese Menschen die dumpfen Hüllen von ihrer Seele
streifen, und im Atem der Ewigkeit nackt dastehen.

Tiefes Mitgefühl mit den Leiden der Menschheit
bildet die Triebfeder von Gerhart Hauptmanns Dichtung.
Mögen die Menschen arm an Hab und Gut sein, wie die
„Weber“ oder die Bauern in „Florian Geyer“, mögen sie
dem „armen Heinrich“ gleichen, der zwar nach außen
hin ein reicher Lehensherr ist, aber von Gott mit dem
Aussatz heimgesucht und so zu den Ärmsten geworfen
wurde, mögen sie wie Kaiser Karl vom Alter geplagt
und vom Lebensglück ausgeschlossen sein, oder wie
„Rose Bernd“ als Weib der jagenden Meute der Männer
zum Opfer fallen — des Dichters Liebe gehört ihnen.
Daher der Zug christlicher Moral, der aus seinen Werken
weht; nimmt sich doch auch das Christentum der Armen
und Beladenen an. Daher auch das soziale Element, so
weit es sich um die gesellschaftlich Niedrigstehenden
handelt. Charakteristisch genug, wie Gerhart Haupt-
mann in seinem Biberpelz den korrekten Amtsvorsteher
und Reserveleutnant Werhahn verspottet und mit dem
Herzen auf seiten der tüchtigen Frau Wolff steht, ob sie
gleich eine Diebin ist. Denn das Leben und Vorwärts-
kommen, so deutet er an, ist für den Niedrigstehenden
nicht leicht; was Wunder, daß die ehrgeizige Frau sich
die gerichtlich gezogenen Grenzen zum Vorteil ihrer
Familie zu erweitern sucht.

Wie ein Kanonenschlag hat die Aufführung von
Gerhart Hauptmanns erstem Drama „Vor Sonnenaufgang“
in der Matinee der Freien Bühne, deren erster Vor-
sitzender Otto Brahm war, am 20. Oktober 1889 auf der
Bühne des Lessing-Theaters gewirkt. Es war eine
Schlacht, da die ältere Generation dieses Drama als
Sammelbecken aller Scheußlichkeiten und Geschmack-
losigkeiten und als freche Provokation ansah, und die
Jungen dieser zukunftsträchtigen Dichtung zujubelten.
Ein Theaterskandal wie dieser hat sich im Berliner

Bühnenleben, das doch reich an solchen Erscheinungen
ist, kaum wiederholt. Aber beide Parteien hatten nicht
völlig unrecht. Von dem Abstoßenden, das damals
unter dem Einfluß von Zola, Tolstoi und Ibsen als einzig
realistischer Stoff galt, wandte sich Hauptmann bald
selbst ab. Dafür behielt er seine prächtig-realistische,
köstliche Art bei, Menschen mit eignen Augen zu sehen,
mit selbständigen Ausdrucksmitteln fern aller Konvention
und Schablone zu schildern. Er ist hierin bis heute
unerreicht geblieben.

Wie sehr unterscheiden sich bereits Hauptmanns
„Weber“ in denen er die letzte Not einer ganzen

Gerhart Hauptmann.

Phot. Leipziger Pressebureau, Leipzig.

Menschenklasse, den Hunger, darstellt, von „Vor Sonnen-
aufgang“, wo man dem Dichter nicht ohne allen Schein
des Rechtes vorwerfen konnte, daß er Schmutz in einem
Eckchen zusammengefegt habe. Dann setzte mit „Han-
neles Himmelfahrt“, der „Versunkenen Glocke“ und
dem „Armen Heinrich“ Hauptmanns romantische Dich-
tung ein, die zugleich die realistische Zeichnung nicht
verkennen läßt.

Den größten Gegensatz zu dem Naturalismus aus
seiner Jugendzeit stellt „Und Pippa tanzt“ dar, eine
Dichtung, der die Bühne noch nicht ihr Recht gegeben
hat. Denn die einstige Einstudierung durch Brahm, dem
ein solches Werk ganz und gar nicht liegt, darf nicht als
endgültig gelten. Wenn Hauptmann in seiner Jugend

realistische Gestalten aus dem Leben nahm und auf die
Bühne stellte, so hat er hier dem Innerlichsten, unserer
Seele, dem Sehnen nach Schönheit Ausdruck verliehen.
Das ist Pippa, die der Weise wegen seiner Erkenntnis
nicht halten kann und will, die sich dem lebensderben
Realisten entzieht und der Plumpe, Ungeschlachte nicht
zu beherbergen weiß, und die nur dem Spielmann
bleibt, der dafür gegenüber der Außenwelt blind wird.

Es ist also ein weites Gebiet, das Hauptmann um-
spannt, mögen auch die eigentlichen Wurzeln seiner
Kunst im Realismus und in Pleimatsdichtung liegen. Läßt
er doch die meisten seiner Dramen in Schlesien spielen!
Ebenso bleibt es bedeutungsvoll, daß er in seinen letzten
Werken wieder zum Realismus zurückgekehrt ist.

Aber über den Vorzügen seiner Dichtung dürfen
auch ihre Mängel nicht völlig unerwähnt bleiben.
Naturgemäß sind sie deren Kehrseite. Infolge von
Hauptmanns Neigung, schwache Persönlichkeiten zu
Hauptfiguren seiner Dramen zu machen, kommt es
selten bei ihm zu einem starken Kampf und zu voller
tragischer Wirkung. Man müßte denn sagen, daß über-
haupt das Leiden zum tragischen Faktor erhoben wird.
So haftet den Dramen Hauptmanns ein elegischer,
novellistischer Zug an.

Trotzdem liegt das Schwergewicht dieses Dichters
auf dem dramatischen Gebiete, wogegen Romane wie
„Der Narr in Christo Emanuel Quint“ und Novellen
wie „Bahnwärter Thiel“ kein Gegengewicht bedeuten.

Dr. Oskar Anwand.

Ostasiatische Kunst.

Die Ostasiatische Kunstausstellung in der König-
lichen Akademie der Künste ist die letzte Tat des jetzt
scheidenden Präsidenten Arthur Kampf, der hier ge-
meinsam mit Professor Amersdorffer eine außerordent-
lich feine Sammlung vereinigt hat. Freilich kann sie
nicht mit den Abteilungen der Pariser Weltausstellung
1900 und der Londoner Ausstellung 1910 wetteifern,
für die Japan selbst seinen kostbaren Besitz gesandt
hatte. Wohl aber übertrifft sie die Ausstellung der
chinesischen Malerei, die gleichfalls in der Königlichen
Akademie der Künste im Jahre 1908 zusammengestellt
war. Ihre Schätze stammen hauptsächlich aus der Ost-
asiatischen Kunstabteilung der Königlichen Museen und
lassen es doppelt bedauern, daß das Berliner Ost-
asiatische Museum noch kein Heim gefunden hat.

Der Hauptunterschied dieser Sammlung von der
früheren Chinesischen Ausstellung 1908 und den Kunst-
gegenständen, die wir durch den Handel kennen, besteht
darin, daß hier das exzentrische und groteske Element
fernbleibt, das zuerst mit der ostasiatischen Kunst un-
trennbar verbunden zu sein schien. Statt dessen tritt
das innerliche Wesen, die Vornehmheit und Stille dieser
Kunst, die von dem Realismus und der Materie absieht
und durchaus vergeistigter Art ist, klarer zutage. Mit
dem Exotischen und Grotesken ist nicht allein eine
Scheidewand gefallen, die sich zwischen unserm Emp-
finden und der ostasiatischen Kunst erhob, sondern es
sind auch die schwächeren Werke fortgeblieben, da ja
das Beste der japanischen Kunst in der Auflösung alles
Stofflichen zu Form und Farbe liegt.

Auf der ostasiatischen Ausstellung: Kgl. Akademie der Künste, Berlin.

Phot. H. Boll, Berlin.

XXVII. B. 5
 
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