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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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15. Heft
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Oswald Gette: Ein Maler der Mark
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Wach, Robert: Die Palmarumbowle: eine Skizze aus der "andern Welt"
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0437

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MODERNE KUNST.

190

der Wiese wieder. Es ist, als fühle man die Kräfte und Säfte der Erde, als belausche
man sie bei ihrem Wachstume, das von dem freundlich segnenden Frühlingshimmel
umhegt wird.

Von hier aus ist Gette zu immer feinerer Erfassung der Natur gelangt. Wenn
er einen „Winter im Rohr" mit kiihlen, blassen Tönen malt, so gewinnt das ruhige,
in diesem stillen Winkel am Rohre träumende Wasser sein besonderes Leben. Gibt
er das Gestrüpp eines Waldinneren mit einem knorrigen Eichenstumpfe, dem Spiele
der Sonne und dem duftigen Patinagrün der Baumstämme im Hintergrunde wieder,
sind auch hier die Naturkräfte glücklich eingefangen. Ebenso weiß er die Trübigkeit
eines späten Wintertags mit dem Schnee, der matt auf den Ackerfurchen liegt und
in sie zerrinnt, zu gestalten. Und nicht das Meer allein, selbst eine Pfütze besitzt

dieses träumende Dasein, das durchweg nur mit malerischen, niemals mit literarischen
Mitteln erreicht wird.

Die genaue Kenntnis der Natur ist die unerläßliche Grundlage dieser Malerei.
Wie Hagemeister, so malt auch Gette von Zeit zu Zeit einen kleinen Naturausschnitt,
sei es die untere Partie eines Birkenstamms, sei es das Winkelchen eines Teiches mit
Seerosen fast in Lebensgröße, um dabei die malerische Kraft zu erproben und neue Aus-
blicke, wie Einblicke zu gewinnen. Denn bei diesem Horchen an dem Körper der
Natur vernimmt man zugleich ihren Herzschlag, die Quelle ihres inneren Lebens.

So ist Oswald Gette zwar kein Voliendeter, wohl aber ein guter Vertreter jener
neuen Richtung unserer Malerei, die mit inniger Liebe dem geheimnisvollen Walten
der Kräfte nachspürt, wie sie sich in der Landschaft regen. O. A.

-

IPalmarumßoirle.

Eine Skizze aus der „andern AVelt“. Von Robert Wach.

almarum! — Da flattern die Wandervögel auf. Da schließen die kleinen
Theater in der Provinz ihre Pforten, die große Sommerstille tritt ein
Aws für die Kunst und die Künstler. Sie ziehen in alle Winde. Nach Süd
und nach Nord, nach Ost und nach West.

Palmarum.

Auch am Stadttheater in Winkelhausen war heute die Abschiedsvorstellung
gewesen. Der letzte Beifallssturm war verhallt. Nun erloschen die letzten
Lichter. Schwarz und leer lagen Bühne und Zuschauerraum. Und auf den
weltbedeutenden Brettern tanzten und agierten die Mäuse.

Die Mimen hatten heute abend noch ein ldeines Abschiedsfest. Ein Mäzen
hatte eine Bowle gestiftet. Sally Cohn hieß dieser Mäzen. Und war Eigentümer
des größten und einzigen Warenhauses in Winkelhausen. Im roten Ochsen fand
die kleine Feier statt, im Extrazimmer. Hier war eine lange Tafel weiß gedeckt
und feierlich mit Blumen geschmückt. Obenan auf dem Ehrenplatz thronte Sally
Cohn, der Spender der Bowle! (Oder richtiger gesagt der Bowlen, denn bei
einer blieb es nicht, konnte es auch nicht bleiben!) Sally Cohn war von etwas
kleiner Statur, er hatte sich daher auf seinen Stuhl noch ein Kissen legen lassen,
damit er die Tafel besser überblicken konnte. Und dann machte er sich auch
so etwas größer und würdevoller. Denn heute war er hier die wichtigste Per-
sönlichkeit! Und er fühlte sich auch als solche. Als „Mäzen“!

Die Mimen waren fast vollzählig erschienen. Männlein und Weiblein. Alle,
die während sechs dunkler Wintermonate dem Publikum von Winkelhausen und
Umgebung den Spiegel der Zeit vorgehalten, die ein paar lebhaftere Lichter in
das graue Einerlei des Winkelhauser Alltags gebracht, vielleicht auch dann und
wann den Stadtklatsch mit Nahrungsstoff versehen hatten. Nun zerstreuten sie
sich morgen nach allen Ilimmelsrichtungen. Alle die Leutchen, die hier zu-
sammengearbeitet, gelebt, sich geliebt und gehaßt hatten, sahen sich nun wohl
lange Jahre nicht wieder, vielleicht im Leben nie mehr!

Palmarum I

Nun waren sie noch einmal zusammengekommen. Waren dem einladenden
Ruf Sally Cohns und der verlockenden Aussicht auf eine Gratis - Bowle gefolgt,
und hatten alle die Aussicht, noch einmal recht vergnügt zu sein.

Neben dem Gastgeber saßen die Koryphäen der Gesellschaft, Dietrich Bern,
der erste Held, ein stattlicher Jüngling mit einer Adlernase und genial ver-
wirrtem, schwarzem Lockenhaar, und Mimi Novelli, die Salondame. Die „schöne
Mimi“, die allen Lebemännern von Winkelhausen die Köpfe verdreht hatte,
deren elegante, großstädtische Toiletten den Frauen und Jungfrauen der Stadt
Stunden blassen Neides und den Kolleginnen viel Kopfzerbrechen verursacht
hatten,.denn die letzteren konnten sich nicht erklären, wie sie das alles mit 180 M.
Monatsgage fertig bringen konnte!

Die beiden „Sterne“ also saßen Sally Cohn zur Rechten und zur Linken.
Und dann folgten in bunter Reihe alle die anderen großen und kleinen Leuchten,
die komische Alte, die wirklich sehr alt und sehr komisch aussah, der Helden-
vater, der dicke Komiker mit der Riesenglatze, der finstere Charakterspieler und
alle die andern „Fächer.“

Und alle führten eine sehr lebhafte Unterhaltung, überlaut, als ob ganz
Winkelhausen an den Türen horchte und ihre Reden hören sollte.

Zunächst sprachen sie von dem „Direktor“.

Wenn ein Fremder diese Reden gehört hätte, ihn würde sicher Abscheu
und Entsetzen vor diesem Bühnenleiter ergriffen haben. So schreckliche Dinge
erfuhr man von ihm.

Zuvörderst war er ein Idiot. Aber ein ausgemachter! Der vom Theater
auch keine blasse Ahnung hatte. Alles, was er während der Saison getan hatte,
war das denkbar verkehrteste gewesen. Die Mitglieder hatte er ganz falsch
beschäftigt, die bedeutendsten Talente hatte er einrosten lassen, die allerschlech-
testen Stücke hatte er auf’s Repertoire gesetzt. Darüber war nur eine Stimme.
„Was habe ich nicht auf den Mann eingeredet,“ rief Dietrich Bern, der erste
ITeld, und seine Stimme klang mächtig wie Donnerrollen, „was hab ich nicht auf
ihn eingeredet. Geben Sie die Klassiker, Direktor! Das Volk verlangt das.
Geben Sie den Ilamlet! Der ITamlet ist meine beste Rolle! Geben Sie Tell!

—- [Nachdruck verboten.]

Ich bin in Neustadt als Tell über Matkowsky gestellt worden. Aber hat der
Mann gehört? Nein! Der Mensch ist eben ein Idiot! Den hat Gott in seinem
Zorn zum Direktor gemacht.“

„Ja, aber lieber Kollege,“ fiel ihm hier der Komiker in die Rede, „Sie
sprechen mir ja ganz aus der Seele. Aber es wundert mich doch, das jetzt mit
einem Mal von Ihnen zu hören. Während der ganzen Saison haben Sie immer
gesagt, der Direktor sei der tüchtigste Mensch auf der Welt.“

Eine etwas peinliche Stille trat ein. Auch Dietrich Bern schien einen Augen-
blick verlegen. Doch einen Augenblick nur. Dann rief er: „Ach was, gesagt!
Man sagt viel. Gesagt mag ich’s schon haben. Aber gemeint hab’ ich’s nie!“

„Der Mann ist ein Idiot!“

„Prosit lieber Cohn! Herr Ober, schenken Sie mir bitte noch ein Gläschen ein.“

„Aber etwas Ananas drin, wenn ich bitten darf.“

Alles lachte. Und alle waren sich einig: Der Direktor war wirklich ein
Idiot. Doch nicht nur das, — er war auch ein Schuft! Ein Lump! Er war
augenscheinlich nur deshalb nicht im Zuchthaus, damit die guten, ehrlichen
Mörder und Spitzbuben nicht durch ihn verdorben würden! Was wurden da für
Schandtaten aufgetischt! Wie hatte er die Mitglieder geschunden. Wie hatte er
sie ausgepreßt und ausgesogen, alles nur um seine Tasche zu füllen. Es war
schauerlich mit anzuhören. Wenn nur die ITälfte wahr davon war, der Mann
lconnte unmöglich eine ruhige Stunde im Leben haben. Und die Behörde sah
so etwas mit an! Ließ ihn auch sein schändliches Treiben fortsetzen!

Es war entsetzlich!

Also der Direktor war ein Idiot und ein Lump. Das stand fest. Niemand
widersprach, und das Thema war somit erschöpft. Nun kam das Publikum von
Winkelhausen an die Reihe.

„Publikum?!“ Dietrich Bern führte hier wieder das erste Wort. „Publi-
kum?! Ist das überhaupt hier ein Publikum? Banausen sind’s! Durch die Bank.
Wenn ich von unserm Freund Cohn und etwa drei oder vier andern absehe, was
sind das anders als Botokuden! Kunstverständnis! Hier?! Ins Kino laufen sie
und allenfalls in eine dämliche Operette. Bei ernsten Stücken glänzen sie durch
Abwesenheit.“

„Besonders bei seinern Benefiz“, flüsterte der Komiker seinem Nachbar, dem
Charakterspieler ins Ohr, „da waren nicht die Kosten drin. So leer war es.“

Was der Charakterspieler mit mephistophelischem Grinsen beantwortete.

Doch alle stimmten zu! Winkelhausen war fast gänzlich von Botokuden
bewohnt. „Bloß die jungen Mädchen, bloß die jungen Mädchen, die muß ich
ausnehmen“, ertönte es plötzlich vom untern Ende der Tafel. Der dies sprach,
war der jugendliche Held, ein Jüngling mit recht zahlreichen Pockennarben im
Antlitz und durchaus keine Schönheit.

Doch trotzdem war er der Liebling der Winkelhauser Frauenwelt gewesen,
denn die Narben verdeckte abends die Schminke, und er hatte immer einen
feurigen Liebhaber zu verkörpern. „Ja, Kinder,“ fuhr er fort, „ich muß redüch
sagen, ich habe in der Hinsicht schon viel erlebt, doch wie es hier die
jungen Mädchen treiben, das ist mir noch nirgends vorgekommen. Tag und
Nacht haben sie einem nicht Ruhe gelassen. Auf der Treppe haben sie ge-
standen, wenn ich nach Hause kam. Und die Briefe! Zwei Kasten hab ich
davon zu ITause stehen, vollgepackt bis zum Rande!“

„Ach was, das grüne Gemüse,“ meinte verächtlich der Bonviv ant, dessen
Scheitel sich schon stark lichtete, „die sind überall so! Das ist mir nichts Neues.“
Aber die Frauen! Wie die es treiben das ist allerdings auch mir etwas Neues
gewesen. Geschichten hab’ ich erlebt, Geschichten! Wenn ich erzählen wollte!
Das Winkelhauser Gericht würde in der nächsten Zeit nur Ehescheidungspro-
zesse zu erledigen haben. Aber ich bin diskret. Scheußlich diskret. Was,
Novelli? — Prosit!“ „Blödsinn,“ replizierte resolut die Angeredete, „du und
diskret! Wer sich mit dir einläßt, der kann sich nur gleich selbst an den
Pranger stellen!“ Sprach sie aus Erfahrung, die Novelli? Verschiedene Kollegen
lächelten so vielsagend.

Nun, was tat’s. Heute war ja Palmarum. Morgen war alles gewesen, alles
vergessen! — So schwirrten die Reden hinüber, herüber! Nur drei beteiligten
 
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