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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Krell, Max: Berlin zur Weihnachtszeit
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MODERNE KUNST.

E. Sturtevant: Berlin zur Weih' 1^,
Die Kurfürstenbrücke im Sch nT 11 ■

Von Max Krell.

»lles Festliche trägt den Zauberreiz der Poesie. Um wieviel mehr ein Fest, das
alle Schichten, Kreise, Klassen gleichermaßen umschlingt und in seinen Bann
zieht. Die Quellen der Volksseele springen auf. Tiefstes offenbart sich.
Und auch aus dem Gesicht des ernsten Geschäftsmannes, des in seine Spekulationen
vergrabenen Börsenherren, des mit kompliziertesten Mechanismen beschäftigten
Technikers strahlt für Stunden die stille Freude.

Freilich haben die letzten Jahrzehnte der großen Stadt eine andere Physiognomie
geprägt und den Lebens- und Freudenoffenbarungen der Menschen einen Schleier
umgelegt. Das Volk feiert seine Feste nicht mehr in der kleinstädtisch anmutenden
gemütlichen Gemeinsamkeit früherer Tage. Von den Plätzen und den Straßen ist
der festüche Ausdruck genommen und ganz in die Zimmer gebannt worden, fast als
scheue sicli jeder, zu zeigen wie ihm ums Herz ist. Nur das Kunterbunt der Vor-
bereitungen zeigt sich noch in dem gesteigerten Geschäftsverkehr. Eine ganz anders
geartete Poesie ist aufgewacht und hat den Schmelz zerrieben, der über dem märchen-
haft stimmungsvollen Zauber der einstigen Weihenacht schimmerte.

Damals — ja damals — —. Wollen wir einmal zurücktauchen in Gewesenes,
das so heimeüg und lieb, unvergessen in uns verborgen lebt und wieder aufsteigt?

Wir waren einen frischen, fröhüchen Winternachmittag hindurch weit draußen
im Freien. Märkisches Land, Havelland, Waldland unter Eis- und Schneemantel
grüßte unser schönheitsdurstiges Auge. Nun kehren wir heim im dämmernden Abend.
Von Charlottenburg her fahren wir zwischen den Bäumen des beginnenden Tier-
gartens hin. Lichter funkeln. Und während ein leises weiches Schneetreiben über die
Straße niedergeht, flammen vor uns die stolzen Kandelaber der Charlottenburger
Brücke in ihrer elektrischen Pracht auf. Und die Flocken glitzern und taumeln
darum wie in Sommernächten die schwärmenden Nonnenfalter . . . Reges Leben
strömt über die breite Waldchaussee aus der Stadt heraus. Alle haben es eilig, heim-

[Nachdruck verboten.]

zitkommen zum Fest der Liebe. Andere streben der Stadt erst zu, letzte Besorgungen
zu machen, und je näher wir dem stolzen Tor mit der Quadriga kommen, desto leb-

hafter wird die Bewegung der Menge. Da steigen alte Bilder empor . . .

* *

*

Unter den Linden ist der Verkauf der Weihnachtsbäume noch in vollem Gange.
Zwar, die Händier haben, wie immer, übertrieben viel Stämme und Stämmchen herbei-
geschafft, die selbst die unersättliche große Stadt nicht unterbringt. Aber sie machen
schon ein ganz gutes Geschäft und klopfen sich vergnügt die mit dicken Fausthand-
schuhen bepelzten Hände.

Von allen Seiten schwellen die Menschenmassen heran. Es ist ein Strömen, ein
Getriebenwerden von einer unsichtbaren Peitsche. Und im Gewühle schieben wir
uns, nun zu Fuß, durch die engere aber desto belebtere Friedrichstraße. In den Läden
locken die köstlichsten Gaben zum Kaufe. Und nur wer alle Energie und seinen Geld-
beutel zusammenhält, bewahrt sich vor dem Rausch der Lust am Neuen. Der Belle-
AUiance-Platz tut sich auf, bekränzt von den Perlenketten hoher elektrischer Bogen-
lampen, die sich aus der Tiefe der Straßen heranreihen. Rings um die ragende
Säule des Friedens hat sich eine idylüsche Stadt von Buden angesiedelt. Ein ganz
veritabler Jahrmarkt ist daraus geworden. Petroleumlämpchen schimmern unter den
kleinen Leinwanddächern. Mit unermüdüchen Stimmen locken die großen und kleinen
Verkäufer das Publikum heran. Nützliches und unbrauchbares Gerät wird mit großem
Redeaufwand feilgeboten. Aber die Hauptsache sind doch die Näschereien, Backwerk,
Leb- und Pfefferkuchen. Und ist all der Kleinkram mehr oder weniger dem kleinen
Mann, dem bescheidenen Käufer zugedacht, so holt sich seinen Pfefferkuchen auch
der Wohlhabende, der Distinguierte vom Weihnachtsmarkt. Ein Weihnachten ohne
dieses ergötzliche Spectaculum des Weihnachtsmarktes ist undenkbar. Fast könnte
man sagen, daß in diesem Zusammenströmen aller Bevölkerungsschichten Berlin

MODERNE KUNST.

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seinen Ersatz bekonnnt für die Oktoberwiese
Münchens oder fiir die Messe Leipzigs oder
für den Karneval Kölns. Ja, fast könnte man
sagen, daß dieser Weihnachtsmarkt Berlins
Karneval ist. Die allgemeine Stimmung ist
von der Festesvorfreude zur Fröhlichkeit ge-
neigt. Mit Lachen und Scherzen zieht die
Menge durch die Budenstadt. Am Eingang in
die Zeltstraßen halten elegante Gefährte. Man
munkelt, hohe Herrschaften hätten sich leut-
selig unler die Lustigen gemischt — neue Ha-
run al Raschids. Damen und Herren mit
schweren Pelzen schieben sich durch die engen
Zeilen; auch sie wollen ihren selbstgekauften
Pfefferkuchen heimtragen. Und dann taucht
eine bunte fidele Schar auf. Studenten in
Couleur führen ihren Bummel durch das Ge-
wiihl, ein wenig gravitätisch, der Wurde^ des
Standes entsprechend, ein wenig die Unwider-
stehlichen markierend. Selbst „Spund nnd
„Faß", die beieibtesten des Chorus, sind heute
nachsichtig gegenüber allen bösen und bos
haften Anzapfungen. — Kleine blondzopfige
Mädchen sind auch da. Und das alte verliebte,
Iustige Fangballspiel der Blicke gelit auch hie^
mit bestem Erfolg und zu bester Zufriedenh
vor sich.

Wer in dieses Treiben des Weihnac s-
marktes hineingerät, mag sich wohl fiagen, o
cr denn wirklich in Berlin ist, oder ob ihn
Phantasie nicht heimtückisch in eine Mäiciei
träumerei oder in den gemütlichen Jahrma
trubel einer mitteldeutschen Kleinstadt S eie/
hat. Das Säulendenkmal brauchte sich ja m
ein wenig zu wandeln, und Jenas altei liev
„Hannfried" stünde da, und die Studenter,
und die kleinstädtischen Buden, und die Bac%
fische . . . Ach, fort, fort.

Und nun gehen wir durch großstädtische
belebte Straßen weiter. Langsam verliert sn^
der lustige und geschäftige Trubel.
Menschenstrom hat uns aus seinem Trei
gelassen. Wir gehen in schmalere, en» el
Gassen. Die Häuser sind älter und geheimnis
voller. Und der diinne Nebel, den der stille Schneefall um die Giebel winde ,
wisclit alle Unebenheiten einer ungenügenden Architektur, läutert alles Schro e r ■
schmilzt die wildverschiedenen Fronten zu einheitücher milder Feinheit zusannnen.

Auch in dieser abgeschiedenen Ruhe ließe sich wohl denken, cxir
irgendwo in einer kleinen traulichen Stadt, in die der Winter seine Flocken sc “ e -
Mattes Licht schimmert aus kleinen, fast baufälügen Häuschen. Wir sind am Mu i en^
damm und bei den alten Händlern, die wie in einem Ghetto hier zusammenöe »
hausen und über ilire Schätze — Kleider und Lumpen — wachen.

Ein Stückchen Wasser flimmert zur Seite mit den Reflexen einzelner Gaslaternen,
auch das noch verengt durch eine einsame Spreezille. Vom Bug des Kahnes -
ein rundes rotes Lichtauge, in rissiger Wellenlinie gespiegelt, ohne Flackern, o
Zucken geradeaus.

Und wieder weiter. Ferne und gedämpft braust ein Orgelklang. W' r se ^
hohen Scheiben eines Münsters, Licht, von farbigen Fenstern gemildert. ' ir ^

jetzt schon näher, das Schwellen und Verebben des Gesanges. Feiergottesdienst
hier die Menge zu einer stillen Stunde des Dankes und des Friedens zusai
Wir, die wir draußen stehen, sinnend und lauschend — vielleicht emp m
tiefer und mächtiger die Weihe dieser Stunde. Von uns gewichen ist der Larm,

Hast der Stadt. Kirche,

Die kahlen Bäume der Anlagen, das graue, verwitterte Gemäuer er ^

die üchtschimmernden Fenster — und das wechselnde Lied der Smgcnt ,

alles eint sich zu einem tiefen Eindruck, der wieder Bilder der 1' 1‘ n"^” 1]” ase|bst

unserer Seele zaubert. Das schöne Märchenbuch unserer Kindheit sch äg

auf. Wir wandern durch kleine Städte und Dörfer. Und iiberall ist s ^ ^ stillen

derselbe Eindruck der Weihenacht, das Bild der friedüchen VereiniamU^ ^0ßstacjt

Freude und des Friedens. Und nun auch hier wie eine Insel im et Hor_Bn

Ftwas m ncrzen

Das ist das Wunderbare dieses Festes, daß es ein emendes ^

senkt, eine gleiche Stimmung aus allen Umgebungen zu locken wei >.

f . . . f„t Wir treiben wieder m

Aber das erinnerungweckende Bild hält uns mcm msi.

s j si,,,t iins Die Menge drangt

den Trubel zurück. Der vielfache Lärm der Straße umdiolu •

_ i i „ipcio- und unnahbar stolz,
uns dem Herzen der Stadt entgegen. Breit, im Dunkei rl b . , ,

s s , , __ totrhe beleuchten. Auch

trotzt die Kaiserpfalz, ein Koloß, den keine Lichterwogei ö

, , , „ „„öhpnde Auge, das den Platz
die vielen hundert Fenster sind tot, finster. Und das sp .

, npl n cht am gewohnten Ort.

der K'aiserstandarte kennt. findet den flattcrnden Win [

dieses oder jenes Königs, der hier wohnte und gern am heiligen Vorabend seine
Schritte unter das Volk lenkte, den der fröhliche Lärm, der sich auf dem Schloßplatz
entwickelte, nicht abhielt sich unter die Seinen zu gesellen, wie weiland August der
Starke unter die Scharen der Leipziger Messebesucher. Unwillkürlich gedenkt man
der ritterlichen Gestalt des dritten Friedrich, der, als er noch Kronprinz war, gern,
begleitet von den Söhnen, durch die weihnachtüchen Straßen von Berlin wanderte und
in den Läden selbst die Gaben besorgte, die den Tisch seiner Famiüe schmticken sollten.

Auch der Schloßplatz hat das buntbewegte Treiben, das wir auf dem Belle-Alliance-
Platz begrüßen konnten. Ja, es ist vielleicht noch ausgelassener, jahrmarkt-, karneval-
hafter als dort. Alte weißbärtige Herren mischen sich scherzend unter die Jugend.
Sie erstehen sich für einen Nickel kleine Scherzgeschenke, Dinge, die gedacht sind
den Kindern zur Belustigung oder anregenden Beschäftigung zu dienen. Und sie
treiben Schabernack damit. Knarren — anderswo heißt man sie Waldteufel — werden
unermüdlich gedreht von Händen, die sonst nur emsige Zahlenschreiberei kennen.
Zuckende Finger, die bisher nur von einem schönen Violinspiel wußten, spielen
jetzt mit langen Pfauenfedern, die den seltsamen Weg ins Ohr einer unbekannten
Schönen finden.

Ist eine neue Jugendblüte in die ehrbaren Herrschaften gekommen? Hat sich
ein zweiter Frühling in die rauhe Schale des Winters verkrochen? Oder macht
es das lustige Treiben des Schnees? Oder die heimliche Freude über zugedachte
Überraschungen?

Nun aber wollen wir heim. Auch unsrer wartet noch der schönste Abend
des Jahres. Über die Kurfürstenbrücke mit ihrem stolzen, majestätischen Denkmal des
großen Kurfiirsten biegen wir, über den Schloßplatz kommend, in die „Linden" ein.
Hier an dieser Stätte, die der Geschichte angehört, lockt die Erinnerung aufs neue
zum Träumen.

Die Straße ist vornehm und abgetönt. Nur wo die Querwege sie schneiden,
flackert und zuckt ein schimmernder Strom. Zwischen den Ästen der atten Bäume
herab sinkt melanchoüsch der Schnee. Und die ruhig brennenden Kugellampen senden
behagüches Licht auf die halbverschneite Allee, in der frische Tannen, aus fernen
stillen Wäldern herbeigebracht, zu Zügen und Gruppen gereiht sind . . . Hier ist die
Vorfreude gedämpft, hat etwas Feierliches, Beschauliches. Die Wandernden wägen,
ob sich der und dieser Baum zum Schmucke des festüchen Heimes eigne.

* «

*

Aber es war nur ein Erinnerungstraum. Wir stehen wieder draußen, jenseits
der Vergangenheit. Knarrend fällt das Gattertor hinter dem Märchengarten zu. Nichts
blieb, kein Weihnachtsmarkt, kein fideler Zauber, keine lustigen alten Herren, keine
modernen Harun-al-Raschids und nur wenige alte Häuschen am Mühlendamm. Trotz-
dem übt Berlin auch lieute nocli gerade im Winter um die Weihnachtszeit einen
Zauber aus, in dem sich die Vergangenheit mit der Gegenwart mischt. Dort am
Spreeufer ragt seit einigen Jahren der Turm des märkischen Museums, der jetzt an
Kanten und Simsen mit Schneekonturen zierlich gesäumt ist. Die Giebel des Ge-
bäudes, ein wenig bizarr in dieser Umgebung, scheinen eine ganz fremde, tote Zeit
in dem Winkel der großen Stadt festgehalten zu haben. Ernst aber und trotzig wacht
der steinerne Roland mit dem Pallasch, ein Hiiter und ein Wahrzeichen zugleich für
die Kraft und den Stolz märkischer Männer. Ist das Alte hier nicht neu geworden,
so wie auf unsern übrigen Bildern, die „Berlin zur Weihnachtszeit“ schildern, das
Gegenwärtige alt und vergangen erscheint? Wer wollte in ihnen die moderne hastige
Reichshauptstadt wiedererkennen! Das macht der Winter und die Weihnachtszeit!
Da biegt man um die Ecke und wird durch den Ton einer Hupe aufgeschreckt. Auf
dem Fahrdamm donnern die elektrischen Wagen, Autos knattern, Droschken hetzen
im Takt des plumpen Hufschlages. Überall ein beängstigender Knäuel, der sich in
raschem Tempo vorwärts schiebt und alimählich löst, ein Gewirr verzwicktester
Mechanismen, die der Menschen
berechnender Geist erdacht, die
seinem Lenkerwillen untertan sind.

— Gaslaternen, schreiende Licht-
reklamen überglitzern den schmutzi-
gen, rasch zusammengefegten Schnee.

Zeitungsboys drängen uns die Abend-
blätter auf.

Und nun saust der ratternde
Zug mit uns unter dem Häuser-
meer der City hin. Daheim viel-
leicht erwartet uns noch ein wenig
altvertraute Poesie, die nichts
von der Ruhelosigkeit der Weltstadt
kennt.

Und unser Nachbar, der die-
selben Gedanken hat wie wir, meint:

„Ja, ja, die gute alte Zeit." Aber
im Herzen ist er doch recht zu-
frieden mit dern Heute. Er würde
sich bedanken, am Christabende noch
eine Stunde lang durch den Schnee
und Schmutz heimwärts tapfen zu
müssen. Die Segnungen der Kultur
tragen ihn seinem Weihnachtsfest in
ein paar Minuten entgegen.

E. Sturtevant: Der Roland am
Märkischen Museum von Berlin.
 
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