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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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3. Heft
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Andersen, A.: Luftballonfahrten vor hundert Jahren
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Unsere Bilder
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40

^üffßallonfalnfcri nor ßundorf Jaßren.

Sn unsern Tagen, wo die Sehnsucht und das Interesse von Millionen Menschen
darauf ausgehen, ein lenkbares Luftschiff zu sehen oder die Aviatiker bei
ihren Flugkonkurrenzen zu bewundern, scheint es interessant, einmal gute hun-
dert Jahre zurückzublicken und zu betrachten, wie unsere Altvordern sich dem
großen Eriebnis ihrer Zeit, der Erfindung des Luftballons und der Vorführung
eines Ballonaufstiegs gegenüber benahmen.

Nach den ersten erfolgreichen Luftballonfahrten in Paris 1792 kam wie ein
Rausch und Jubel der Glaube über die Menschen, daß das Problem der Luft-
schiffahrt nun schon so gut wie gelöst sei. Man gab sich den kühnsten Erwar-
tungen über die schnelle Vervollkommnung und die allgemeine Einführung des
neuen Verkehrsmittels hin und ahnte nicht, daß Dampfschiff und Lokomotive
zunächst den Erdkreis beherrschen und das Interesse an den Luftreisen in den
Hintergrund drängen würden. Goethe spricht noch in späteren Jahren von dem
Erleben dieser Zeit: „Wer die Entdeckung der Luftballone mitgemacht hat,
wird ein Zeugnis geben, welche Weltbewegung daraus entstand, welcher Anteil
die Luftschiffer begleitete, welche Sehnsucht in so viel tausend Gemütern
hervordrang, an solchen lä'ngst vorausgesetzten, immer geglaubten und immer
unglaublichen, gefahrvollen Wanderungen teilzunehmen; wie frisch und um-
ständlich jeder einzelne glückliche Versuch die Zeitungen füllte, zu Tagesheften
und Kupfern Anstoß gab; welchen zarten Anteil man an den unglücklichen
Opfern solcher Versuche genommen. Dies ist unmöglich selbst in der Erinne-
rung wieder herzustellen.“ Und 1784 schickt Goethe aus Braunschweig an
Frau v. Stein Pariser Zeitungen, worin eine Luftreise Blanchards beschrieben wird.

Dieser Blanchard gehört zu den bekanntesten Aronauten jener ersten Zeit.
Seinen Ruhm verdankte er der am 5. Januar 1785 glücklich ausgeführten Ballon-
fahrt über den Kanal von England nach Frankreich. Außer der enth'usiastischen
Bewunderung seiner Landsleute trug ihm diese Luftreise eine lebenslängliche
Pension von 1200 Livres ein und den Titel: Aeronaut beider Hemisphären, Ehren-
bürger von Calais und der Hauptstadt beider Welten. Blanchard mag einige
sechzigmal aufgestiegen sein, starb aber 1809 am Schlagfluß in seinem Bette.—
Schon 1786 finden wir Blanchard mit seinem Ballon in Hamburg. Er sandte
aus einer Höhe von 5400 Fuß einen Hammel am Fallschirm zur Erde nieder und „das
Tier schwebte so sanft herab, daß viele Zuschauer sich an seine Stelle wünschten.“
Besagten merkwürdigen Hammel kaufte dann die Herzogin von Mecklenburg.

Die siebenundzwanzigste Luftreise des Herrn Blanchard fand 1787 in Nürn-
berg statt. Den begeisterten Zeitbericht darüber bringt Gustav Freytag in seinen
„Bildern aus der deutschen Vergangenheit“.

Ueber einen Aufstieg Blanchards in Lübeck 1792 findet sich allerlei Ge-
drucktes in den Zeitungen jener Tage. An der nötigen Reklame ließ Blanchard
es nicht fehlen, auch nicht an den übiichen Verzögerungen und Verschiebungen.
Am 15. Februar 1792 finden wir in den Lübeckischen Anzeigen eine Bekannt-
machung, „die 44. Luftreise des Herrn Blanchard betreffend“, wonach „zwei
talent- und mutvolle Damen fest entschlossen sind, den Luft-Admiral in die
ätherischen Gefilde zu begleiten und mit dem sehnlichsten Verlangen das Ende
des künftigen Märzmonats erwarten“.

Am 31. März heißt es: „Wegen eingetretener, jedermann bekannten Um-

[Nachdruck verboten.]

ständen sieht Herr Blanchard sich genötigt, seine 44ste Luftreise bis Anfang Mai
auszusetzen. Bis dahin kann man von morgen an, auf der Mühlentorbastion das
für den Luftschiffer bestimmte himmlische Fahrzeug täglich des Morgens von
10—12, des Nachmittags von 4—6 Uhr besehn.“

Am 9. Juni meldet dieselbe Zeitung: „Die 44ste Luftreise des Herrn
Blanchard ist jetzt unwiderruflich auf Dienstag d. 3. JuJi festgesetzt. Die Per-
sonen, welche begierig sind, die ganze chemische Zubereitung zu sehen, werden
gebeten, sich zwischen 3 und 4 Uhr an den bestimmten Ort zu begeben. Ein
Billet auf Subskription kostet einen dänischen Dukaten.“ Auch finden sich
Annoncen wie die folgende: „Zu der Auffahrt des Ballon Zimmer zu vermieten
an honette Familien. Allenfalls kann auch ein Bett für Bediente geliefert werden.“
Ein intelligenter Buchbinder zeigte schon vor dem Aufstieg an: „Ein feiner
Kupferstich von Blanchards 44ster Luftfahrt, die Stadt Lübeck im Prospekt und
den Luftballon darüber schwebend, vorstellend, nebst einem darunter gedruckten
artigen Gedicht, kostet illuminiert sechs Schilling, schwarz vier Schilling.“

Am 27. Juni folgt dann eine Notifikation des hohen Senats mit genauen An-
gaben über Reglung des Fußgänger- und Wagenverkehrs. Wer „unbändiges
Geschrei und Unordnung mache“, soll als „Stöhrer der öffentlichen Ruhe nach
Strenge des Gesetzes bestraft werden“.

Der Senat konnte am 7. Juli nur Rühmliches über den Verlauf des Unter-
nehmens und das Betragen des Publikums beric.hten.

„Man muß Herrn Blanchard Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er bei
diesem Experiment alles, was er versprochcn, zu vollkommenster Zufriedenheit
des Publikums geleistet hat. Die Geduld der Zuschauer ward auch nicht einen
Augenblick auf die Probe gestellt, denn gerade zu der bestimmten Stunde mit
dem Glockenschlag 5 erhob sich der Ballon mit dem daran befestigten Fahr-
zeug von der Erde. Außer Herrn Blanchard und seinem Sohn ging auch, was
diese Auffahrt besonders interessant machte, ein junges Frauenzimmer von Stande
mit auf und gab dadurch ihrem Geschlecht ein seltenes Beispiel unerschrockenen
Mutes. Auch verdient das ordentliche und sittsame Betragen der auf den Plätzen
vor den Toren versammelt gewesenen Mengen Zuschauern von allen Klassen
mit besonderm Lob erwähnt zu werden.“

Herr Blanchard war bei diesem Aufstiege vom Glücke begünstigt und alles
verlief programmäßig und ungefährlich. Nach etwa 20 Minuten ließ er den
Ballon fallen und warf den Anker aus. Ein Detachement reitender Diener, das
dem Ballon vorsichtigerweise gefolgt war, faßte nun das ausgeworfene Tau
und brachte den Ballon im Triumph zurück nach dem Ausgangspunkt.

Wer aber jene junge Dame war, die „den Luft-Admiral in die ätherischen
Gefilde begleitete“, ist nicht zu erkunden gewesen, denn die Zeitungen wagten
damals nicht, die Namen „junger Frauenzimmer von Stande“ der Öffentlichkeit
preiszugeben. Vielleicht ist dieser kleine Umstand ganz geeignet, zu zeigen, daß
nicht nur der Luftballon ein Jahrhundert Entwicklung und Geschichte hinter sich
hat, sondern daß auch die Stellung der Frau der Öffentlichkeit gegenüber eine
ganz andere geworden ist. Unsere Aviatikerinnen von heutzutage werden schon
sorgen, daß ihre Namen und Taten mindestens in der Zeitungsliteratur von heute
der Nachwelt erhalten bleiben. A. Andersen.

Unsere

E. Perrault-Harry, DerTod des Hirsches. Unser Bild zeigt uns eine
prächtige Gruppe voller Leben. Die Meute der Hirschhunde hat nach langer,
anstrengender Jagd endlich den kapitalen Zwölfender zu Stand gehetzt, und todes-
matt bricht nun der Edle sterbend zusammen. Der Lecker hängt ihm weit aus
dem geöffneten Geäse, das stolze Haupt mit dem prächtigen Geweih sinkt zurück,
bald ist der letzte Atemzug getan. Die rassigen Hunde, die mit rasender Passion
den Hirsch dureh Wald und Moor, durch. Feld und Dickicht gehetzt haben, stehen
jetzt angesichts der zur Strecke gebrachten Beute einen Moment still, sie be-
trachten das sterbende Wild; und während sie sich dicht zusammendrängen, die
meisten von der gehabten Anstrengung hechelnd und schnaufend, verkündet der
oben auf dem Felsblocke stehende Hund durch anhaltendes Verbellen dem nach-
folgenden Jäger, daß der Iiirsch „halali“ ist. Die Gruppe der Hunde ist außer-
ordentlich charakteristisch und lebensvoll wiedergegeben, aus der Zusammen-
stellung sowohl, wie aus der Haltung der einzelnen Tiere geht hervor, daß der
schaffende Künstler ein großer Kenner und Meister in der Darstellung der Tiere
ist, denn das ganze Kunstwerk wirkt überaus harmonisch und lebenswahr. St.

* *

E. J. Beringuier, Charlotte Corday auf der Fahrt zur Richtstätte.
Mit dem Namen Charlotte Corday lebt die Erinnerung an die Tage der Schreckens-
herrschaft in Frankreich wicder auf, die durch die schmachvolle Hinrichtung
Ludwigs XVI. eingeleitet wurde. Hand in Hand mit dem Sturze des Königs ging
die Auflösung aller gesellschaftlichen Bande; Atheismus, Staatsbankerott und
Bürgerkrieg brachten die junge Republik jäh an den Rand des Abgrundes. Die
unumschränkte Herrschaft lag in den Händen eines Danton, Robespierre und
Marat, und ihr Weg führte durch Trübsal und Jammer zur vollständigen Ver-

I3ifdei\

nichtung; unaufhaltsam vollbrachte die Guillotine ihr blutiges Zerstörungswerk.
Unter den zahlreichen Opfern der Schreckensherrschaft tritt die-Gestalt der helden-
mütigen Charlotte Corday, einer Urenkelin Pierre Corneilles, — sie hieß mit ihrem
vollen Namen Marie Anne Charlotte de Corday d’Armont — durch Tapferkeit und
Todesverachtung leuchtend hervor. Nachdem sie sich einen Paß verschafft hat,
verläßt sie die Heimat und tritt die verhängnisschwere Reise nach Paris, der
Stadt der Greuel an, wo sie einer aus dem Kloster verjagten Freundin ihr Recht
erkämpfen will. Am 11. Juli 1793 hat sie ihr Reiseziel erreicht und bittet den
Minister um eine Audienz, die man ihr aber verweigert. Am nächsten Tage ver-
faßt sie den denkwürdigen „Aufruf an die Franzosen“, und am 13. Juli kauft sie,
nachdem alle ihre Hoffnungen auf einen Erfolg ihrer Mission erloschen sind, irn
Palais Royal ein Dolchmesser. Mit dieser Waffe, die sie heimlich verborgen hält,
begibt sie sich zu Marat, wird jedoch nicht vorgelassen. Durch eine List verschafft
sie sich am Abend desselben Tags dennoch Zutritt und findet den gefürchteten
Gewalthaber im Bade. Während der Unterredung benutzt sie einen günstigen
Augenblick, schnell stößt sie dem Verhaßten das Messer in die rechte Schulter und
verwundet ihn tödlich. Von glühendem Patriotismus beseelt hat sie die Tat voll-
bracht und den ärgsten Gegner der Girondisten vernichtet. Ein schnell zusammen-
gerufenes Revolutionstribunal verurteilt sie zum Tode. Mit dem roten Mörder-
gewande bekleidet, wird sie unter wüstern Gejohle des Pöbels in langer Fahrt
durch die Straßen der Stadt auf einem Karren zur Richtstätte gebracht. Bis zum
letzten Atemzuge bleibt Charlotte Corday aufrecht und beherrscht. Ohne Stütze
ersteigt sie, ein sieghaftes Lächeln auf dem jugendschönen Antlitz, todesmutig
das Blutgerüst mit dem Bewußtsein der Märtyrerin, die einer edlen Sache ihr
Leben zum Opfer bringt. R.

-3—S^'
 
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