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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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7. Heft
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Collani, Eva: Der Rauhreif
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Der Winter als Reisezeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0202

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Der Winter als Reisezeit

m nördlichen Teil von Europa bringt der Winter manche
Plage und Sorge mit sich — den Armen mangelt das
/jKa Geld, um sich durch erwärmende Heizung gegen Kälte
zu schützen und sich warme Kleidung zu kaufen. —
Wieder andere, die diese Vorteile besitzen, leiden an
ihrer Gesundheit durch die raulien strengen Winde oder die
oft wechselnde Temperatur — sie müssen im Zimmer bleiben,
können sich keine Bewegung im Freien verschaffen, keine
kräftigende frische Luft genießen und kommen dadurch in ihrem
Wohlbefinden zurück. —

Allerdings bietet den mit fester Gesundheit ausgestatteten
Personen der nordische Winter auch Genüsse und Ver-
gnügungen, sogar Stärkung der Gesundheit durch Abhärtungj
in Deutschland gibt es da ein Trostsprüchlein, welches lautet:
Wenn’s draußen stürmt und draußen schneit,

So laß dich’s nicht betrüben,

Es komrnt die schöne Weihnachtszeit,

Die wir ja alle lieben!

Und sie ist auch manchmal schön, die Weihnachts- und
die Winterszeit!

Wie herrlich ist es anzuschauen, wenn die Erde gleichsam
mit einem weißen Tafeltuche bedeckt ist, wenn die Bäume
überhängt sind mit Schnee, und die Eiszapfen an den Zweigen
hängen und im Sonnenstrahle glitzern, als wären sie Diamanten.

Wenn man da in warme Pelze gehüllt im Schlitten sitzt,
von feurigen Pferden gezogen, dahinsaust auf weicher Schnee-
bahn und über sich den blauen Himmel hat, wenn zwischen
Feld und Wald alles weiß ist, der Schnee schimmernd und
glänzend leuchtet. O! das ist ein Hochgenuß — da röten sich
die Wangen, das gibt gesundes Blut! Und welches Behagen,
nach solcher Schlittenpartie ausgepackt zu werden, in angenehm
temperierten Räumen, vor sich eine gedeckte Tafel mit allem,
was den Magen erfreut, dazu ein gutes Glas feurigen Weines:
„Herz, was willst du mehr?“

Die Rodel- und Skifahrer erhöhen diesen Elfekt nach
kräi'iger Übung ihrer Muskelkraft, doch diese Vergnügungen
sind eben nur jungen, starken und geübten Leuten vorbehalten. —

Ganz anders ist der Winter aber, wenn es nicht mehr
friert und schneit, wenn der Schnee erweicht und sich mit der
Straßendecke in eine schokoladenähnliche Sulze vermischt und
dadurch die Wege ungangbar macht, wenn trüber Himmel und
rauhe Winde blasen, wenn dunkle Nebel mit Rauch und Ruß

vermischt durch die Straßen der Großstädte ziehen und die
Landschaft verschleiern. Ach! das ist eine garstige, eine un-
gesunde Zeit; wer da kann, macht sich auf und davon — aber
wohin sollen wir zieh’n? — am besten wohl dahin, wo die
Zitronen blüh’n?

Unsere Verkehrsanstalten vermitteln uns den Wechsel des
Aufenthalts so rasch und so billig, daß es gar keine große
Sache mehr ist, vom hohen Norden bis an die Ufer des Mittel-
ländischen Meeres zu reisen, man brauchtja nur zirka 24 Stunden
Reisezeit. Post und Telegraph vermitteln und unterrichten uns
täglich durch Zeitungen, Briefe und Depeschen von den Er-
eignissen der Heimat, also packen wir die Koffer und auf zur
Bahn ; — aber wiederum stellt sich uns die Frage entgegen:
wohin? An die italienische oder an die französische Riviera?

Nun wir können am besten unsere Leser beraten, wenn wir
hier eine Reisebeschreibung folgen lassen, die uns ein befreun-
deter Herr im Frühjahre zugehen ließ.

P. P. Alle Jahre, wenn das Christkind seinen Segen unter
den Baum gelegt hat, rüsten wir uns zur Reise nach dem Süden.
Der Winter mit seinen Gefahren, die das rauhe Klima für uns Alte
im Gefolge hat, ist uns nicht mehr der sehnsüchtig erwartete
Freund wie dereinst in jüngeren Jahren. Den Bällen, Gesell-
schaften weichen wir jetzt gern aus — Rodeln und Skifahren paßt
nicht mehr für uns, und so suchen wir uns halt ein Plätzchen im
Sonnenlande, wo wir bleiben, bis die Schwalben wiederkommen !

Anfänglich glaubte man das südliche Tirol hierfür aus-
ersehen zu sollen, allein selbst Lugano — die oberitalienischen
Seen haben ihre Mucken im Winter; — wir machen nach
diesen Erfahrungen uns weiter hinunter an die schönen Gestade
des Mittelländischen Meeres.

Nach vielen Proben da und dort blieben wir an dem nach
unserer Ansicht schönsten, wärmsten und angenehmsten Platze
hängen, er heißt „Menton“ und ist die Perle der Städte
an der Riviera! Wenn ich diese Bezeichnung anwende,
welche schon viele vor mir ausgesprochen haben und nach mir
wiederum bestätigen werden, so kann ich auch den Beweis
dafür liefern, und im Interesse meiner Landsleute, die sich

rühmten Hanburyschen Gärten, welche fast alle Blumen, Pflanzen
und Bäume der Welt in sich fassen und zur Schau bringen.

Die Hotels sind durchweg gut, die Preise mäßig, es empfiehlt
sich jedoch, vor der Ankunft Platz zu sichern, denn in der Haupt-
reisezeit von Mitte Januar bis Mitte April ist der Andrang sehr stark.

DerSammelpunkt allerFremden ist aber das im Dezember 1 909
eröffnete „Kasino Municipal“, ein ebenso prächtiges wie prak-
tisch und großzügig angelegtes Bauwerk, das seinesgleichen sucht.

Von den an der Hauptpromenade gelegenen Jardins public
aus betritt man die monumentale Doppel-Freitreppe, die nach
der hochgelegenen ersten Etage führt (im Parterre-Innern ist
Lift und ebenfalls ein Vestibül angebracht), das Entree läßt allda
den Blick in den Festsaal frei, dieser, von einer Höhe von
1 5 Metern, durch eine Glaskuppel bedeckt, macht einen imposanten
Eindruck, zwei Treppenanlagen führen hinauf zu der an den Seiten
des Saales sich hinziehenden Galerie sowie nach den großen
Restaurationsräumen, welche von Terrassen flankiert werden,
die eine großartige Aussicht auf Meer und Gebirge gewähren.

Direkt an den Festsaal angegliedert ist ein modern ein-
gerichtetes Theater nach der einen und die Klub-, Spiel- und
Unterhaltungssäle nach der andern Seite.

Das Leben, welches sich in diesen eleganten Räumen in
letzter Saison abspielte, hat manchen in Erstaunen gesetzt.

Vormittags finden im großen Saale Rollschuhübungen
statt mit Konzert von 9 bis 12 Uhr, nachmittags obligater
Tee bei Vorträgen aller Art mit kinematographischen Darbie-
tungen zum Schlusse. — Im Theater werden abwechselnd Oper,
Operette, Schau- und Lustspiel geboten, als Matinee öfters
klassisches Konzert. Die Theätervorstellungen, von ersten
Kräften unterstützt, waren immer gut besucht. Villen und
Privatwohnungen sind in großer Auswahl zur Miete angeboten.
In den Geschäften können alle Bedürfnisse gedeckt werden, auch
hat Menton eine große Anzahl guter Arzte, die sprachenkundig
sind, zur Verfügung. Die Vervollkommnung dieses begünstigten
Platzes wächst ständig fort. Den religiös veranlagten Gemütern
steht ein Gottesdienst in jeder Religion und in allen Sprachen,
französisch, deutsch, englisch und russisch, zur Verfügung.

Meerbäder sind im Freien sowie verschiedene Heil- und
warme Meerbäder in sauber eingerichteten Badehäusern zu haben.
Dann finden wir im nahen Monte Carlo eine großartig einge-
richtete Anstalt für römische, irische und elektrische Bäder,
verbunden mit Heilgymnastik, seit einigen Jahren in Betrieb.

Wer aber einer sorgsamen Pflege bedarf, findet in dem
5 Kilometer entfernten und 300 Meter hoch mitten in einen
Fichtenwald hineingebauten Kurheim Go rbio Unterkunft (aller-
dings werden da infektiöse Kranke nicht aufgenommen). Die
Anstalt steht unter- einer ausgezeichneten Leitung von franzö-
sischen und deutschen Arzten.

Zur kommenden Wintersaison hat die Hamburg-Amerika-
Linie einen ihrer komfortabelsten Turbinendampfer „Kaiser“
für den Rivieradienst Genua—Menton—Nizza bestimmt und
bereit gestellt, was die große Beliebtheit dieser kleinen See-
reisen gewiß noch erhöhen wird.

Der Turbinendampfer „Kaiser“ im Hafen von Menton.

herbeilassen, meine Be-
schreibung zu lesen, gebe
ich von dieser Stadt fol-
gende Schilderung:

Wenn erfahrene Leute
Häuser bauen, so trachten
sie stets danach, daß die-
jenigen Räume, in welchen
sie die rneisteZeit zubringen,
insbesondere die Schlaf-
zimmer, nach Süden zu
liegen kommen. Der Er-
bauer der Stadt Menton hat
jedenfallsdem selbenPrinzip
gehuldigt und hat sich da-
bei noch von manch andern
günstigen Beobachtun gen
leiten lassen, indem er die-
sen überaus bevorzugten
Platz zu seiner Nieder-
lassung erwählte und die
Stadt direkt nach Süden
aufbaute. Betrachten wir
vom Meer aus die Lage der
Stadt, so erblicken wir
eine weite Bucht, tiefhinein
in die Erde geschnittcn.

Vom blauen Meere bespült,
auf einem sanft ansteigen-
den Terrain, das kaum bis
zu 200 m sich an die Hügel
hinzieht, liegt der neue Teil der Stadt, während der ältere steil an
einem in der Mitte der Bucht aufsteigenden Hügel angebaut ist.
Vom Meer aus sehen wir aber noch mehr: Burgen- und Kloster-
ruinen, dann Villen, Schlösser und Dörfer, die in den höheren
Lagen die Bucht malerisch ausfüllen und welche auch große
Anziehungspunkte für Spaziergänger sind. Auch dem wag-
halsigen Touristen sind Aufgaben geboten, denn die hochalpine
Landschaft hinter uns, die bis zu 1400 m hinaufreicht, reizt zu
schönen, anstrengensen Touren, sodann kommen auch Botaniker,
Schmetterlingssarnmler und Geologen hier auf ihre Rechnung.

So liegt, Genüsse jeglicher Art in schönster Harmonie

bietend, die herrliche Stadt
Menton vor uns, aber es
kommt noch ein Haupt-
moment dazu, das ist die
eigenartige Luft! Merk-
würdig ist es, wie diese
doch mildeste, niedere Lage
kräftigend auf Nerven und
heilsam für Zuckerleidende
wirkt.

Der Wechsel der salz-
haltigen Niederschläge
durcli den starken Wellen-
schlag des Meeres mit der
durch die Nähe der Ge-
birge gebotenen frischen,
kräftigen Luft nniß durch
glückliche Mischung diese
Vorzüge herbeiführen.

Es wäre nun ein großer
Schaden, wenn an einem
so von der Natur bevor-
zugten Platze von behörd-
licher Seite keine Aufmerk-
samkeit geschenkt würde,
in dem Sinne, daß für
Hygiene, gute Verpflegung
und Unterhaltung genügend
Sorge getragen würde.
Dies ist aber Gott sei Dank
nicht der Fall; im Gegen-
teil, die Stadtgemeinde und
die Hotelbesitzer haben alles
aufgeboten, was in dieser
Art geschehen mußte, um
eine wirklich mit modernem
Komlort ausgestattete Fremdenstadt par excellence garantieren
zu können.

Die Stadt ist kanalisiert, Klosettspülung obligatorisch durch-
geführt, die Straßen sind geteert, daher staubfrei, werden über-
dies mit Wasserbesprengung und Kehrmaschine täglich be-
arbeitet; kurz, man sielit auf Ordnung und Reinlichkeit.

Die Hoch-Quellwasser-
leitung wurde vor kurzer
Zeit vergrößert und ge-
sichert, elektrisches Licht
ist überal vorhanden.

Große, stundenlange
Meerpromenaden führen an
schönen Gärten vorbei, einer
der schönsten Spaziergänge,
das „Boulevard Garavan“,
zieht sich vom hochge-
legenen romantischen Fried-
hof an Olivenhainen vor-
bei nach der gigantischen
Schlucht, welche die Grenze
zwischen Frankreich und
Italien bildet und von der
Pont St. Louis überbrückt
ist. An dieser Straße findet
man auch die schönsten
Villen Mentons mit herrli-
chen Gärten und tropi-
scher Vegetation, und der
Blick auf den tief unten
liegenden Hafen sowie die
ihn umgebende Landschaft
erwecken dasEntzücken des
Natur- und Blumenfreun-
des, weiter nach Osten, ca.

3 Kilometer von der Brücke
entfernt sind, die weltbe-

Gesamtansicht von Menton.

Menton: öffentliche Anlagen mit dem städtischen Kasino.

XXVII. W.-No. B. 1.
 
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