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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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26. Heft
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Boerschel, Ernst: Leier und Schwert: die Dichtung der Befreiungskriege
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0798

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340

MODERNE KUNST.

sondern daß sie zu einer eignen Kunst sich auswuchs, die eine ganz besondere Stelle
in unserer deutschen Literatur beansprucht. Zu welcher dämonischen Höhe erhebt
sich Kleist in der „Hermannsschlacht", wie verkörpert er das sittliche Maß vater-
ländischer, Tugenden im Prinzen von Homburg. In der „Hermannsschlacht" gebiert
der innere Aufruhr, der nicht bloß die Galle, sondern das Gewissen ergriffen hat, den
fanatischen Haß gegen den Feind, und im „Prinzen vom Homburg“ triumphiert das
Gebot der Pflicht, das jetzt wieder alle zu den Fahnen ruft. Wir wissen, daß diese
beiden Dramen Kleists ihre Wirkung auf die Nation nicht ausüben konnten, weil sie
damals nicht aufgeführt wurden und auch nicht im Druck erschienen. Sie sind die
großartigsten Schöpfungen in der Dichtung der Befreiungskriege. An ihren Geist
reichen keine anderen heran. Ihr Dichter aber ist mit daran zugrunde gegangen, daß
ihm die Kehle zugeschnürt wurde und seine Stimme in Winde verhallte, anstatt die
Deutschen zum Sammeln aufzurufen.

Wir werden nachher von Arndt, Theodor Körner und Max von Schenkendorf
sprechen. Doch in diesen Jahren schienen alle mit feurigen Zungen zu reden. Selbst
den kurz angebundenen Redeton der Soldaten erraffte der poetische Schwung. In
Iapidarem Stil schreibt der Bauernsohn Scharnhorst seine Denkschriften. Der General
Yorck spricht im Februar 1813 in Königsberg zu den ostpreußischen Ständen, wie kein
Volkstribun es jemals vermochte. Mirabeau steht wie ein geleckter Komödiant da
neben diesem Preußen, der Worte wie gehacktes Eisen hervorbringt. Gneisenau
schöpft aus geistigen und seelischen Tiefen und faßt das Gewonnene in einen Stil,
der von goethischer Ruhe umflossen ist. Blücher, den oberflächliche Beobachter sich
aus seinem „Vorwärts, Kinder, vorwärts!", aus seiner fehlerhaften Orthographie und
der Verwechslung des mir und rnich vorstellen, hält nach der Schlacht an der Katz-
bach dem toten Scharnhorst eine Gedächtnisrede, vor deren Innigkeit und schlichter
Größe wir heute noch erbeben. Und die andern! Stein gießt heiliges Feuer in seine
VVorte, die Kraft seiner Rede läßt den anmaßenden Hof in Petersburg verstummen.
Schleiermachers Predigten in der Dreifaltigkeitskirche in Berlin raffen in edelster Form
alles zusammen, was diese Volkserhebung sittlich bewegt; Mütter, die keine Söhne
haben, sie dem Vaterlande zu opfern, schluchzen auf. Fichte in Berlin, Luden in
Jena, Steffens in Breslau; auf einmal scheint sich die deutsche Sprache verändert zu
haben. Der Wortschatz bereicherte sich, Gedankenfülle brach sich Bahn, volle und
gesunde Empfindungen fanden ihren prächtigen Ausdruck, und nachdem das vater-
ländische Drama durch Kleist in unübertrefflicher Vollendung der erste große poetische
Gewinn dieser Jahre gewesen war, erklang jetzt das vaterländische Lied, das kein
Volk so fröhlich und draufgängerisch und künstlerisch so meisterhaft besitzt wie das
unsere. Die Gelegenheit, die es hervorbrachte, war so groß, daß es nicht an die
Gelegenheit gebunden ist, sondern noch heute durch seinen Schwung, seine innere
Wahrhaftigkeit nnd seine Kunst uns mit fortreißt.

Arndt, Max von Schenkendorf, Theodor Körner. Daneben Fouque, Friedrich
Förster, Riickert. Arndt war der wuchtig dreinschlagende Pommer, der gern in der

Sprache Luthers die Zuchtrute schwang. „Denn wer Tyrannen bekämpft, ist ein heiliger
Mann, und wer Übermut steuert, tut Gottes Dienst. Wer aber unter den Tyrannen
ficht und gegen die Gerechtigkeit das mordische Schwert zieht, deß Name ist verflucht
bei seinem Volke, und sein Gedächtnis blüht nimmer unter den Menschen“, heißt’s in
seinem „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann." Er liebt das Wort
„Knecht" und „knechtisch". „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine
Knechte" . . . es ist Arndts feurigstes Gedicht mit der herrlichen vierten Strophe:
„Laßt brausen, was nur brausen kann, Und hebt die Herzen himmelan,

In hellen, lichten Fiammen! Und himmelan die Hände,

Ihr Deutschen alle, Mann für Mann, Und rufet alle, Mann für Mann:

Zum heil’gen Krieg zusammen! „Die Knechtschaft hat ein Ende!"

Das mußte wirken, und es wirkte. Stein konnte keinen Besseren finden als
Arndt, der ihm seine Pläne und Entschlüsse zum Fanfarenstoß umwandelte. Die Flug-
schriften mit so eindringlichen, kernigen Sätzen, wie „Der Rhein Deutschlands Strom,
nicht Deutschlands Grenze", Lieder wie „Was ist des Deutschen Vaterland?" oder „Was
blasen die Trompeten, Husaren heraus!", sie trug der Soldat im Tornister, und
auf dem Marsche wurden sie hervorgeholt und gesungen. Und sie bedeuteten mehr
als nur die Wiikung auf Wochen und Monate. Sie gossen das Gefühl der Zeit zu
nationalen Begriffen um und schufen so aus der Erinnerung ein unvergängliches
Besitztum für unser Volk.

Max von Schenkendorf war nicht so derbe als Arndt. Er, der geborene
Ostpreuße, war jünger wie Arndt und war, im Ideenkreise 'Herders und Kants
stehend, nicht so unbefangen wie der Bauernsohn von Rügen. Was er dichtete, war
geschliffener. „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt" oder „Erhebt euch
von der Erde, ihr Schläfer aus der Ruh!“ sind kostbare Perlen unter den Liedern
der Befreiungskriege. Wie wundervoll ist sein Lied aüf Scharnhorst; er ist viel feiner
als Arndts Ianges Gedicht. Schenkendorf ist 1817 sehr jung, mit dreiunddreißig
Jahren, als Regierungsrat in Koblenz gestorben. Seine Gestalt umfließt etwas Träume-
risches. Unvergessen wird uns dieser junge Ritter bleiben.

Der populärste aber bleibt von den Dichtern der Befreiungskriege Theodor
Körner. Er, der Sohn des Freundes Schillers, hat sich der Welt und Nachwelt ins
Herz geschrieben durch seinen jugendlichen Schwung, seine begeisterte Hingabe an
die Sache und durch seinen verklärenden Heldentod. So frisch, unbekümmert und jung
wie er war, waren auch seine Lieder. Schwingend in Begeisterung trugen sie auf
ihren Flügeln, was die Sehnsucht des Volkes war und den Sturm der mitkämpfenden
Jugend beschwor. Mit erhobenem Pathos, dabei ehrlich empfunden und innig geformt,
redete er die Sprache des Herzens, und da er sie leicht, rhythmisch und singbar ins
Lied faßte, durchdrang sie alle Schichten des Volkes.

„Vater, ich rufe dich", „Lützows wilde Jagd", „Du Schwert an meiner Linken",
„Kommt, Brüder, trinket froh mit mir" — sie sind deutsche Lieder geworden, so
allgemein gültig für die Nation ist ihr Wesen.

Unsere ßilder.

F. Albertis Gemälde: „Die Welt ist rund und muß sich drehen“ gibt
einen fröhlichen Ausschnitt aus dem bunten Treiben der Jahrmärkte und Ver-
gnügungsparks. Eine Schar junger Mädchen hat auf den Pferden und in den
Wagen eines Karussells Platz genommen — halb in kindlicher Lust an der
Bewegung, halb aus Koketterie, die einen als Rädelsführerinnen des Vergnügens,
die andern nur von ihnen mitgezogen. Nun ertönt das Klingelzeichen, die Musik
setzt ein, und die Stäbe, an denen Pferde und Wagen vom Karusselldach herab-
hängen, der ganze Glitzertand und die lachenden Gesichter fliegen immer schneller
an den Zuschauern vorüber, die ihre Scherze hinaufrufen. Denn um die Frauen
und Mädchen dreht sich die Welt des Mannes immer wieder.

* *

*

„Dem Glück entgegen“ ist das Gemälde des bekannten englischen Malers
L. Kemp Welch zubenannt, eine Szene voller starker innerer und äußerer
Bewegung. Über die weite Heide, die unter verhülltem Wolkenhimmel liegt,
jagen die zwei Gestalten eines Reiters und einer Reiterin in gestrecktem Galopp.
Man glaubt das Schwappen des Hufschlages zu hören, mit dem der Rappen
und Schimmel den Weg hinter sich legen. Aber der Reiter, der mit fragendem
Ausdruck auf seine Begleiterin blickt, und die Reiterin selbst rnerken hiervon
nichts. Sie sieht nur mit weitem glücklichen Auge vor sich hin, ohne noch
die Antwort zu finden, die sie ihm geben wird. Aber sie fühlt, daß sie Seite
an Seite mit ihm bis ans Ende der Welt reiten möchte. Und der gleichmäßige
Gaioppsprung beider Pferde erfüllt sie mit tiefern Glück.

* *

*

An einen der schönsten Punkte der Südtiroier Alpen, hart an die Grenze
Italiens, dessen Sprachgrenze hier bereits überschritten ist, führt R. Reschreiter
mit seinem Blick auf die „Adamellogruppe und Mandronsee gegen Man-
dron- und Lobbia-Gletscher“. Von Madonna di Campiglio, wohin Eisenbahn
und Automobil westlich von der bekannten alten Heerstraße der Germanen
Bozen—Rovereto über die Mendel führen, erreicht man diesen herrlichen Punkt
durch das Val di Genova. Der Weg geht an der Kirche Santo Stefano vorüber,
die auf vorspringender Höhe liegt und mit Fresken aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts geschmückt ist, die u. a. auch einen Totentanz mit Versen dar-
stellen. Zur Linken eröffnet sich dann das Val Seniciaga mit seineti Wasserfällen,
die weiß aus dunklem, dichtem Waldhintergrunde schießen, und mit dem Lago San

Giuliano, an dem der heilige Julian einst Buße getan haben soll. Später erschließt
sicli der Blick auf die Brentagruppe, und bald über der Waldgrenze erblickt man
den Mandron- und Lobbia-Gletscher, deren Eis bläulich-lockend herüberstrahlt.
Den größten Eindruck erhält man wohl von der Mandronhütte aus, die oberhalb
der kleinen Mandronseen gelegen ist. Hier hat man die beiden gewaltigen Gletscher
in unmittelbarer Nähe, und darüber ragen Lobbia Bassa und Lobbia Alta. Links
sieht man Crozzon di Fargorida, Crozzon di Lares und Corno di Cavento, zur
Rechten den Monte Mandrone. Wenn auch der Adamellogipfel selbst von der Hütte
nicht sichtbar wird, ist dieses Panorama von seltener Größe und Mannigfaltigkeit.

* #

Lange war Rom nur eine Landmacht gewesen, die sich freilich nicht nur
Italien längst unterworfen hatte, sondern vor der auch schon Afrika und Asien
zitterten. Aber das ständige Anwachsen des Reiches erforderte auch eine
Flotte, um mit andern Seemächten auf dem Meere die Entscheidungsschlachten
liefern zu können, um Truppen sicher zu landen und den Handel zu schützen.
Der war damals vor allem durch die Seeräuber bedroht, die auch ihrerseits
eine Seemacht, und zwar eine sehr beachtenswerte, bildeten. So atmete ganz
Rom auf, als Pompejus in dem Kriege gegen die Seeräuber endlich ihre Haupt-
macht brach und Sicherheit schuf. Ein Jubel, wie ihn damals die „ITeimkehr
der siegreichen Flotte“ in der römischen Hafenstadt Ostia hervorrief, mag
C. W. Wyllie bei seinem Gemälde vorgeschwebt haben.

* *

*

„Badende Venetianerinnen“ hat A. Fangeron wiedergegeben. Ebenso
wie diese Meeresbraut zur Zeit ihrer Blüte, die in das fünfzehnte Jahrhundert fällt,
den Reichtum des Morgen- und Abendlandes in ihre Mauern lenkte, waren auch die
venetianischen Frauen mit allem Luxus und Glanz des Lebens umgeben. Giorgione
und Palma Vecchio haben uns die Schönheit der venetianischen Frau in ihren
Gemälden überliefert. In jene Blütezeit Venedigs versetzt auch Fangeron.

* *

*

Der stimmungsvolle Reiz, den ein Eckchen einer „oberbayrischen Bauern-
stube“ ausübt, hat LI. von Laurens festgehalten. Gebirgsvölkern ist fast stets
ein besonderer Sinn für das Malerische zu eigen. Das kann man schon im Harz,
weit mehr noch in Tirol und Oberbayern sehen. Darin liegt eine der Ursachen,
weshalb sich der Fremde hier immer wieder wohl fühlt.
 
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