Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/1913
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4. Heft
DOI Artikel:Haenel, Erich: Moderne Monumentalmalerei
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Von Erich Haenel.
[Nachdruck verboten.]
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•. n dem Kampfe, den die Künste im Hasten und
fJ®|| Treiben des Jahrhunderts der Maschine um
einen Platz ao der Sonne unserer Kultur führen,
wurde das Schlachtfeld der Zeit gleichsam durch güt-
liche Abmachung in zwei große Gebiete geteilt. Der
Winter gehört den tönenden und darstellenden Künsten,
die uns nach der Erwerbsarbeit des Tages am Abend
auf einige Stunden in ihre weichen Arme nehmen, der
Sommer den zeichnenden Künsten, die in gewaltigen
Heerschauen ihre Scharen vor uns aufstellen. Eine
so wichtige Rolle aber auch die Kunstausstellungen
als wirtschaftliche Erscheinung, als Vermittler zwischen
dem Produzenten und dem Konsumenten, spielen, so
viel sie auch als Moment der Anregung ästhetisch,
als Querschnitte durch das Schaffen der Gegenwart
entwicklungsgeschichtlich bedeuten: die Klagen über
ihre künstlerischen und organisatorischen Mängel sind
mit jedem Jahre neu. Wer diese ungeheuren Bilder-
märkte, diese Reihen von Sälen durchwandert, in
denen sich Leinwand an Leinwand, Bild an Bild in
unabsehbarer Folge drängt, der muß wohl fürchten,
einer solchen Fülle von Gesichten niemals ganz Herr
werden zu können. Tausend Formate, tausend Indi-
vidualitäten, die in unzähligen Dialekten sprechen,
jede einzelne eifrigst bemüht, die Schätze ihres Innern
möglichst wirkungsvoll, möglichst erschöpfend vor
uns auszubreiten! Lhid das Ergebnis ist ein Chaos
von Formen und Farben, ein Mosaik von unzähligen
Steinen und Steinchen, dem keine noch so feste
Meisterhand Maß und Ordnung schaffen kann. —
Unter diesem Eindrucke seufzend, wird auf der
Dresdner Ausstellung des vergangenen Sommers der
Kunstwanderer in einem großen Saale, den er links
neben der Vorhalle betrat, das müde Auge wohl mit
einer gewissen Erleichterung zu den Wänden empor-
gehoben haben. Das Dureheinander der Stimmen
schien einer feierlichen und ruhigen Harmonie zu
weichen. In die rauhe Putzwand waren hier große
Flächen eingelassen, auf denen mächtige Gestalten sich
in bedeutenden Bewegungen ergingen. In breiten Fan-
.. faren tönten Akkorde von ungeahnter Ivraft in Form
und Farbe. Wenn auch hier einmal eine Melodie von
seltsamen Grundwerten ein Ton schrill und eigen-
willig hervorbrach: die Verschiedenheit der Persön-
lichkeiten, die so zum Ausdruck lcam, war doch mit
einem gemeinsamen Band umschlungen, ein einziger
gewaltiger Rhvthmus schien in dem Lebenssaft dieser
Schöpfungen zu pochen. Es war die Abteilung der
monumentalen Malerei, die diese Wirkung auslöste.
Selten hat ein Unternehmen, das über das Einerlei
der alljährlichen Bilderschau hinaus den Stoff einem
neuen und wertvollen Gesichtspunkt unterzuordnen
bestrebt ist, größere Schwierigkeiten auf dem Wege
zum Ziele vorgefunden als die Dresdner Ausstellung der
Monumentalmalerei der Gegenwart. Diese Schwierig-
keiten ganz zu ermessen, genügt nicht der Hinweis
auf die ungewöhnlichen äußeren Dimensionen, die
ein monumentales Werk der Flächenkunst nun einmäl
mitzubringen pflegt. Auch die Tatsache, daß viele
Monumentalbildwerke ihrer technischen Besonderheit
halber, , als Wandbilder in Fresko, nicht von ihrem
Platze zu bewegen sind, man müßte denn die Mauer
selbst, die ihre Heimat ist, auf Räder setzen, kann
allein das Seltene des Unternehmens noch nicht er-
klären. Ein Monumentalgemälde ist von dem Tafel-
bilde nicht nur durch seine Maße und seine Technik
verschieden. Sein Wesen ist bedingt durch die Um-
gebung, in die hinein es geschaffen ist. Und zwar
sind diejenigen konstruktiven und ästhetischen Gesetze,
welche dem Raurn, in den es gebannt ist, sein beson-
deres Gepräge verliehen haben, auch für seine Er-
scheinung maßgebend. Die Monumentalmalerei hat
nicht nur die Aufgabe, einem Künstler Gelegenheit zu
geben, die Gebilde seiner Phantasie in größerer und
dauernder Form zu versinnlichen, als er das mit dem
Pinsel auf der, von einem neutralen Rahmen umgrenzten
Leinwand oder Holztafel vermöchte. Sie ist, ihrem
innersten Wesen nach, Dienerin, und mehr als das,
Gefährtin der Architektur. Wie es dieser gegehen ist,
ihrer Aufgabe als Raumschöpferin gemäß die ganze
ungeheure Skala der Empfindungen, vom Erhabenen
zum Frivolen, vom Lyrischen zum Pathetischen, in ihren
Werken anklingen zu lassen, wie sie auf Grund der
Proportionsverschiebungen, der Kunst der Verhält-
Karl Larsson: Ländliches Fest. Große Kunstausstellung Dresden 1912.
XXVII. 11.
Von Erich Haenel.
[Nachdruck verboten.]
(Cr|'? r r . T r
•. n dem Kampfe, den die Künste im Hasten und
fJ®|| Treiben des Jahrhunderts der Maschine um
einen Platz ao der Sonne unserer Kultur führen,
wurde das Schlachtfeld der Zeit gleichsam durch güt-
liche Abmachung in zwei große Gebiete geteilt. Der
Winter gehört den tönenden und darstellenden Künsten,
die uns nach der Erwerbsarbeit des Tages am Abend
auf einige Stunden in ihre weichen Arme nehmen, der
Sommer den zeichnenden Künsten, die in gewaltigen
Heerschauen ihre Scharen vor uns aufstellen. Eine
so wichtige Rolle aber auch die Kunstausstellungen
als wirtschaftliche Erscheinung, als Vermittler zwischen
dem Produzenten und dem Konsumenten, spielen, so
viel sie auch als Moment der Anregung ästhetisch,
als Querschnitte durch das Schaffen der Gegenwart
entwicklungsgeschichtlich bedeuten: die Klagen über
ihre künstlerischen und organisatorischen Mängel sind
mit jedem Jahre neu. Wer diese ungeheuren Bilder-
märkte, diese Reihen von Sälen durchwandert, in
denen sich Leinwand an Leinwand, Bild an Bild in
unabsehbarer Folge drängt, der muß wohl fürchten,
einer solchen Fülle von Gesichten niemals ganz Herr
werden zu können. Tausend Formate, tausend Indi-
vidualitäten, die in unzähligen Dialekten sprechen,
jede einzelne eifrigst bemüht, die Schätze ihres Innern
möglichst wirkungsvoll, möglichst erschöpfend vor
uns auszubreiten! Lhid das Ergebnis ist ein Chaos
von Formen und Farben, ein Mosaik von unzähligen
Steinen und Steinchen, dem keine noch so feste
Meisterhand Maß und Ordnung schaffen kann. —
Unter diesem Eindrucke seufzend, wird auf der
Dresdner Ausstellung des vergangenen Sommers der
Kunstwanderer in einem großen Saale, den er links
neben der Vorhalle betrat, das müde Auge wohl mit
einer gewissen Erleichterung zu den Wänden empor-
gehoben haben. Das Dureheinander der Stimmen
schien einer feierlichen und ruhigen Harmonie zu
weichen. In die rauhe Putzwand waren hier große
Flächen eingelassen, auf denen mächtige Gestalten sich
in bedeutenden Bewegungen ergingen. In breiten Fan-
.. faren tönten Akkorde von ungeahnter Ivraft in Form
und Farbe. Wenn auch hier einmal eine Melodie von
seltsamen Grundwerten ein Ton schrill und eigen-
willig hervorbrach: die Verschiedenheit der Persön-
lichkeiten, die so zum Ausdruck lcam, war doch mit
einem gemeinsamen Band umschlungen, ein einziger
gewaltiger Rhvthmus schien in dem Lebenssaft dieser
Schöpfungen zu pochen. Es war die Abteilung der
monumentalen Malerei, die diese Wirkung auslöste.
Selten hat ein Unternehmen, das über das Einerlei
der alljährlichen Bilderschau hinaus den Stoff einem
neuen und wertvollen Gesichtspunkt unterzuordnen
bestrebt ist, größere Schwierigkeiten auf dem Wege
zum Ziele vorgefunden als die Dresdner Ausstellung der
Monumentalmalerei der Gegenwart. Diese Schwierig-
keiten ganz zu ermessen, genügt nicht der Hinweis
auf die ungewöhnlichen äußeren Dimensionen, die
ein monumentales Werk der Flächenkunst nun einmäl
mitzubringen pflegt. Auch die Tatsache, daß viele
Monumentalbildwerke ihrer technischen Besonderheit
halber, , als Wandbilder in Fresko, nicht von ihrem
Platze zu bewegen sind, man müßte denn die Mauer
selbst, die ihre Heimat ist, auf Räder setzen, kann
allein das Seltene des Unternehmens noch nicht er-
klären. Ein Monumentalgemälde ist von dem Tafel-
bilde nicht nur durch seine Maße und seine Technik
verschieden. Sein Wesen ist bedingt durch die Um-
gebung, in die hinein es geschaffen ist. Und zwar
sind diejenigen konstruktiven und ästhetischen Gesetze,
welche dem Raurn, in den es gebannt ist, sein beson-
deres Gepräge verliehen haben, auch für seine Er-
scheinung maßgebend. Die Monumentalmalerei hat
nicht nur die Aufgabe, einem Künstler Gelegenheit zu
geben, die Gebilde seiner Phantasie in größerer und
dauernder Form zu versinnlichen, als er das mit dem
Pinsel auf der, von einem neutralen Rahmen umgrenzten
Leinwand oder Holztafel vermöchte. Sie ist, ihrem
innersten Wesen nach, Dienerin, und mehr als das,
Gefährtin der Architektur. Wie es dieser gegehen ist,
ihrer Aufgabe als Raumschöpferin gemäß die ganze
ungeheure Skala der Empfindungen, vom Erhabenen
zum Frivolen, vom Lyrischen zum Pathetischen, in ihren
Werken anklingen zu lassen, wie sie auf Grund der
Proportionsverschiebungen, der Kunst der Verhält-
Karl Larsson: Ländliches Fest. Große Kunstausstellung Dresden 1912.
XXVII. 11.