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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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1. Heft
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Filia hospitalis
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0016

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MODERNE KUNST.

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pilict bospitalis.

j)er Philister geworden ist, sehnt sich nach der Studentenzeit zurück,
möchte von der Höhe des Amtes und der Würden wieder zum
Burschen herabsteigen, kraftvoll und gewandt Quarten und Terzen
schlagen, Chargierter in Koller und Wichs werden und beim Landesvater mit
blinkendem Schläger männerkräftig den Mützenhut durchbohren.

Frei ist der Bursch — der Himmel hängt ihm voller Kommersbücher, scharf
geschliffener Schläger, schäumender Seidel und lockender Ideale. Was macht’s,
daß mit dem Wandel der Kultur auch studentische Sitte und Brauch sich ändern.
Das Beste bleibt doch — Jugendmut, Tatendrang, Ritterlichkeit, Freude an den

[Nachdruck verboten.]

Er leistet sich allerlei anziigliche Redensarten und spricht begeistert vom Glück
des Familienlebens. Da ruft mit einem Male von draußen eine Stimme scharf
und befehlend: „Lore! Lore!“ Wie der Wind huscht die Lore hinaus, der
Philologus aber flucht: „Die Philöse soll der Teufel holen!“ Na, später fand
sich doch noch eine günstige Gelegenheit, vor dem hübschen Mädel ritterlich
niederzuknien und ihm die Geheimnisse des Herzens zu beichten. Wie die
Geschichte enden wird, ist schwer zu sagen, zumal die schriftlichen Arbeiten
zum Examen noch nicht beendet sind, und der Papa posttäglich schreibt: „Lieber
Sohn, bist fertig du?“ und energisch auf Rückkehr ins billigere Vaterhaus drängt.

Hans Stubenrauch: „Und keine ist aequalis der filia hospitalis".

Schlägern, Geselligkeitstrieb, Frohsinn und die stille Liebe zur filia hospitalis,
dem guten Genius der Bude.

Studentenbuden sind keine Prachtgemächer. Mit den vorhandenen Mobilien
iäßt sich gewöhnlich kein Staat machen, stammen sie doch von anno dazumal,
als der Großvater ins Gefilde der Seligen entfloh und die Großmutter mit dem
Inventar jammernd zurückließ. Seitdem haben Mediziner, Juristen, Theologen und
Philologen in Sitz und Rücklehne des Sofas tiefe und glänzende Spuren ihres
Daseins hinterlassen, auch auf der rot geblümten Tischdecke ein Mosaik von
Tintenklexen und Brandwunden gezeugt und ain Stehpult, wie die Milliarden
Tintenspritzer bezeugen, den Bazillus der Gelehrsamkeit in Reinkultur zu züchten
versucht. Nicht zu leugnen, die Bude ist zum Meditieren und Ochsen wie ge-
schaffen. Aber mit Sonnenglanz füllt sie sich, wenn erst die filia hospitalis die
wundernette Lore, auf der Bildfläche erscheint . . .

„Und keine ist aequalis der filia hospitalis.“

Freilich, die Lore kommt nicht oft, denn das Bedienen gebührt der Magd,
und die Frau Mama hält scharf Obacht. Ein schicklicher Vorwand muß schon
da sein, wenn die Lore höchstselbst morgens um sieben den Kaffee und die
beiden Semmel feierlichst überbringt. Unangenehm ist ihr die Stellvertretung
nicht, denn der Philologus ist ein netter Kerl, der sich schon längst seine Blutigen
auf der Mensur geholt hat und bald ins Examen steigt. Heute ist er sehr
lyrisch gestimmt, denn gestern beim Stiftungsfest wurde fürchterlich gekneipt.

Das ist heute wie ehemals. Nie war eine andere aequalis der filia hospitalis.
Vor ihr hat sich mancher der wilden Gesellen, die mit den schief aufgesetzten
Hüten und in langen Sürtouts mit kurzer und schmaler Taille oder im Reitkollet
mit Kanonen und Sporen, den Hieber an der Seite, so stark und herausfordernd
einherschritten, demütig geneigt und beim Abschied innig und leise geredet:

„Leb wohl, schwarzbraunes Mädchen,

Leb wohl und denk an mich! “

In der Zeit vor hundert Jahren hat das „Denlc an mich“ erst recht aus
jungen Herzen geredet. Der Sturm brach los, das Volk stand auf, um die
Schmach der Fremdherrschaft zu tilgen. Wer waffenfähig war, trat an zum
Kampf, nicht zuletzt die akademische Jugend. Pflicht- und Ehrgefühl, hoch-
gemuter Sinn, Freiheits- und Vaterlandsliebe feierten die schönsten Triumphe.
Keiner, der den Hieber geführt, wollte zurückstehen; jeden drängte es, im Feuer
der Schlacht sein Leben einzusetzen für das große Ziel der Befreiung. Die Hör-
säle leerten sich, die Kneipen verloren ihren Reiz, und als die Trommeln dumpf
durch die Gassen zum Auszug wirbelten, wurden auch die Buden leer. Das war
ein Abschiednehmen! Der greise Philister wackelte gerührt mit dem Haupte,
die Philöse jammerte, aber die filia hospitalis wischte heimlich die Tränen fort,
gab dem wackern Bursch, der zu den Lützowern zog, vor der ganzen Runde
den Abschiedskuß und flüsterte schmerzbewegt:

„Gott schütze dich, — Und denk an mich!“ G. B.


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