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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Die Breslauep Jahrhundertausstellung.

Draußen vor den Toren Breslaus, noch ein gutes
Stück hinter der kühn die Oder überspannenden Kaiser-
brücke, hat die „Breslauer Jahrhundertausstellung“, ganz
in Grün gebettet, ihre Pavillons und Erinnerungstempel
aufgebaut. Schon von fern grüßt, im Näherkommen
immer wuchtiger, ein ungeheures, jäh in den Himmel
emporkletterndes Rund, das das Außenbild der Aus-
stellung ganz selbstverständlich beherrscht: die von
dem begabten Breslauer Stadtbaurat Berg geschaffene
Festspielhalle, in der als erstes Werk Gerhart Haupt-
manns „Jahrhundertfestspiel“ die Urtaufe unter Max
Reinhardts verschwenderischer Regie empfing. Sicher-
lich ist sie die größte deutsche Theaterhalle überhaupt.
Ihre Maße überfliegen mühelos jeden gewohnten
zirzensischen Umfang. Und just darin lag für den Er-
bauer das Problem, daß er in einem fast abenteuerlich
anmutenden Raum, der im ansteigenden Amphitheater
etwa sechstausend Menschen beherbergte und in der
Arena, überdies auf der Bühne noch einmal zweitausend
Darsteller aufbot, mit der natürlich geforderten Leichtig-
keit der Forrnen eine völlig einheitliche, künstlerische
Geschlossenheit erzielen sollte. Die Art, wie der Bau-
meister sich half, ist originell genug: er zog über kräftigen
Unterbau Ring um Ring zur Höhe empor, stufenförmig,
kleiner von Ring zu Ring, und eine Kuppel ward züm
krönenden Ausklang. Solch architektonische Entschei-

dung hatte doppelte ästhetische Wirkung. Man sah die
Riesenhalle von außen fast wie im Spiel zu ihrent Gipfel
streben, ohne alle Gefahr der Plumpheit trotz ungeheuren
Aufwands von Materiai, indes das Innere die Ähnlich-
keit einer Domhalle empfing. Gewaltige Rippen, die
vom Ende des Amphitheaters zur Spitze ansteigen, halten
ein feierlich schlankes Kuppeldach empor. Und der
Bau wirkt lediglich durch Form und Linie. Sieht man
von einer sparsamen Plastik ab, die einen kleinen, unauf-
dringlichen Vorbau an der Hauptfront ziert, so hat man
auf alles schmückende Beiwerk außen wie innen weise
verzichtet. Zur Sprache der Formen kommt noch die
Wucht des Materials. Der ganze Bau hat den Rhythmus
gebändigter Macht, er strömt
zugleich die Weihe aus, die
die Vertiefung in eines Dich-
ters Kunstwerk heiligt. Kein
Theater in Deutschland ver-
möchte heute ein Bild zu
schenken, wie es Reinhardt
etwa auf den drei überein-
andergetürmten Bühnen der
Halle — zunächst die Arena;
dann ein paar Stufen, die zu
einer neuen, vorhangver-
steckten Szene führen, die
abermals ein wenig höher
durch einen dritten, lose ver-
hangenen Schauplatz ergänzt
wird — mit der Friedens-
hochzeit aus Hauptmanns
Festspiel schuf. Alle
kungen fließen nach raffiniert
ausgedachtem Plan hier
plötzlich ineinander: die drei
Schauplätze lassen sich ohne
leiseste Schwierigkeit in eine
einzige Riesenbühne ver-
einigen, deren Darsteller-
massen unmittelbar in die
Tausende der Zuschauer-
massen überfluten, — unter

der hohen, kühlen Domkuppel empfangen Spiel und
Zuhörerschaft in der Tat eine Verklärung, die aus dem
Spiel Gottesdienst und aus dem Lauschen weltverlorene
Andacht macht . . .

Überhaupt scheinen künstlerisches Verständnis,
sicherer Geschmack und kluge Dispositionsfähigkeit die
Regisseure dieser Breslauer Jahrhundertausstellung ge-
wesen zu sein, die man ruhig den glücklichsten Unter-
nehmungen der ganzen Art beizählen darf. Man hat nicht
wahllos Pavillon an Pavillon gedrängt in üblicheni,
marktschreierischem Ausstellungsgedränge, in dem
immer der eine Aussteller besser und schneller beachtet
sein soll als sein Nachbar: man war sparsam mit den
Bauten, um so freigebiger mit erfrischender Natur. Und
hat es vor allem verstanden, jene Ausstellungsermüdung,
die unwillkürlich nach dem zehnten oder zwölften Saale
sich einstellt, durch Festbannen der Besucher in inter-
essant ausgebreitete Natur im Aufkeimen schon wieder
zu verscheuchen. Gartenhistoriker können sich in die
verschollenen, aber hier neu ausgespannten Reize eines
Gartens aus dem Mittelalter verlieren. Man sieht ein
Gärtchen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, altfran-
zösische Parkbaumeister lassen ihre Kunst erstehen, man
kann die Rhythmik eines Barockgartens, die Zierlichkeit
der Rokokogärtner bestaunen. Aus einem Rosengarten
führt der Weg in ein japanisehes Gärtchen. Man streift
die weite Pergola entlang, an englisch freien, schimmern-
den Wiesen und Weihern... Und ist man aufs angenehmste

erfrischt, kehrt man zum
eigentlichen Kern der Aus-
stellung, zu den Historie-
sälen wieder zurück.

Auch das war ein
kluger Gedanke: alle Re-
liquien, alle Andenken an
1813 in einem einzigen,
einheitlichen Bau zu ver-
einen, wenngleich ein hal-
bes Hundert von Sälen
notwendig war, um alles
unterzubringen. Die tibli-
che Pavillonbauart ver-
meidet auch der Raum
historischer Denkmäler.
In lachende, blütenschim-
merndeBeete gesetzt, wirkt
er mit seinen Türmen und
Kuppeln, mit seinen breit
bis zum Boden herab-
gezogenen Glastüren, die
ein unmittelbares Ilinaus-
promenieren in den Park
zu gestatten scheinen, fast
wie ein Adelssitz, fast wie
das. Sommerschloß eines
Fürsten. Von Saal zu Saal
aber im Innern sind die
Ruhmeszeugen der Zeit versammelt, die hier nachdenk-
lich und festlich zugleich noch einmal die Erinnerung
eines Volkes umspannt.

Heimlich klingen die Fanfaren von allen Wänden.
Das Schlachtenrüstzeug von ganz Europa ist hier auf-
gerichtet: Kanonen und Haubitzen, Fronten starrender
Gewehre, ein Heer von Lanzen und ein Wald von
blitzenden Säbeln. Man kann die Geschütze an kleinen,
goldfunkelnden Miniaturmodellen studieren und steht vor
den alten, ausgedienten Veteranen, die aus ihren Erz-
schlünden wahrhaftig bei Leipzig und Waterloo brüllten.
In allen Ecken und Winkeln die Soldaten der Epoche,
Soldaten aller Reiche und Fürsten, die gegen den eiuen

Die Breslauer Jahrhundertaussteliung: Auf der Probe zum
J u b i 1 äum s I e s tsp i ci.

Von links nach rechis: Baurat Berg, Rosa Bertens, Dekorations-
maler Stern, Max lleinhardt, Gerhart Ilauptmann, Regisseur Held.

Phot. Zander & Labiscli, Berlin.

Unüberwindlichen zur äußersten, letzten Entscheidung
aufstanden. Preußische Grenadiere halten gute Nach-
barschaft mit wilden Kosakenreitern, buntscheckig und
ein wenig landsknechthaft in ihren farbigen, weiten Ge-
wändern wirken die Tamboure und Trompeter des treu-
losen Bernadotte. Natürlich fehlen all die glanzvollsten
Helden der Erhebungszeit nicht: das Kleid der Schill-
schen Kämpfer mahnt an den Märtyrertod in schwersten
Tagen, dicht neben ihnen künden Waffen und Wehr
der Lützower vom losbrechenden Volkssturm . . . Und
man wird das Soldatenkleid, den Degen des tapferen
Fürsten Wrede ehren, dann wird die Historie noch stärker,
noch unmittelbarer zu sprechen beginnen, wenn man vor
des HaudegenBlüchersSchlachtbeute bei Waterloosteht...

Napoleons breiträdrige, ein wenig schwerfällige und
völlig schmucklose Reisekutsche ragt wie ein Symbol
gleich unterm Eingangsportal zur historischen Abteilung.
Es ist die Kutsche, darin der Kaiser der Franzosen
jenen ganzen an Glanz und Abenteuern fast unwahr-
scheinlichen Imperatorenweg fuhr, der bei Austerlitz
und Jena die Höhe erreichte, 1812 ins Land der Ka-
tastrophen reiste, um dann auf den belgischen Feldern
für immer den Passagier zu verlieren. Vielleicht war
nichts mit Napoleons Schlachtplänen so eng verknüpft
wie diese einfache, anspruchslose Kutsche, aus deren
Fenstern unablässig die Befehle, die Depeschen an die
fernsten Armeekorps zu den Füßen der nebenher galop-
pierenden Ordonnanzen niederzuschwirren pflegten . . .
Und noch mehr hat Blücher damals erbeutet: man sieht
des Kaisers silbernes Feldgeschirr, sein Rasierzeug, seine

Schreibfedern sind da, alles
in der fiebernden Eile der
Flucht zurückgelassen. Der
dunkle, prunkloseste aller
Soldatenröcke stellt das
Kleid dar, das der Kaiser
in der furchtbarsten seiner
Schlachten trug: darunter
der kaiserliche Degen, der
letzte, den er in Freiheit trug.

Natürlich ist mancherlei
auch aus Bonapartes Sonnen-
glanztagen noch da. Die aus
massivem Gold getriebene
Prunkwiege des Königs von
Rom, die die Wiener kaiser-
liche Schatzkammer der
Breslauer Ausstellung bei-
steuerte, ist die tragischste
Erinnerung an die Dynasten-
träume des emporgestiege-
nen Advokatensohnes aus
Ajaccio. Nicht weit von ihr
ist das Gemälde seiner feier-
lichen Hochzeit mit Maria
Luise in der Augustiner-
kirche zu Wien, wobei
Berthier den fernen Bräu-
tigam vertritt. Hart und ver-

Die Breslauer Jahrhundertausstellung: Inneres der Festspielhalle.

XXVII 22. B.
 
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