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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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20. Heft
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Saltzwedel, Hans von: Frau Mytala, [3]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0604

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2ÖO

MODERNE KUNST.

Wie eigen mich der fremde Klang dieses Namens berührte! Dieses
Namens, der nur für die Eine erdacht sein konnte, so gut paßte er zu
ihrem eigenartigen Wesen.

Und sie, der er galt, dankte dem Sprecher mit einem Blicke zärt-
lichster Hingebung. Da atmete dieser wie von einer Last befreit auf und
sagte schlicht:

„Komm’, mein Lieb, wir wollen heim!“ und ebenso schlicht er-
erwiderte sie:

„Ja, meinSepp, das wollen wir!“ Und gleich darauf fügte sie hinzu:
„Und deinen Freund nehmen wir mit uns! — Nicht wahr, Herr von Pro-
berg, Sie machen uns die Freude und sind heute unser Gast? —- Freilich,
auf große Genüsse dürfen Sie bei
uns nicht rechnen. — Eine Butter-
schnitte und Tee sind alles, was
unsere Küche zu bieten vermag.“

Hätte eine Fürstin mich zur
Tafel befoblen, ich hätte nicht
stolzer sein können, wie auf diese
Einladung zu einer Butterschnitte.

So gingen wir nun zu dritt
heimwärts durch den lauen, däm-
mernden Lenzesabend. Ge-
sprochen wurde nur wenig; dazu
waren die Herzen zu voll und die
Gedanken zu ernst und zu schwer.

Erst bei dem milden Schein
der Lampe im behaglichen Wohn-
zimmer des Freundes wurde die
Stimmung allmählich freier. Das
anmutig hausfrauliche Walten
unserer jungen Wirtin zerstreute
sieghaft alle Schwermutswolken,
und bei dem einfachen Mahle war
denn auch bald der letzte Rest
meiner scheuen Befangenheit so
weit geschwunden, daß ich dem
Freunde rückhaltlos zu sagen
vermochte, was ihm zu sagen ich
mir vorgenommen hatte.

Ich stellte ihm vor, wie ge-
rade seine Absonderung von den
Kameraden dazu beitrug, deren
Aufmerksamkeit auf sein Leben
und Treiben zu lenken, und um
wieviel klüger er handeln würde,
wenn er sich ihnen wieder mehr
widmen und ab und an auch ganz
harmlos an unserem abendlichen
Stammtisch erscheinen würde.

Frau Mytala — so nur nannte
ich sie bei mir selber fortan nur
noch — sah meine Gründe sofort ein, dankte mir mit einem lieben Blick ihrer
wunderbaren Augen und unterstützte meine Ratschläge so nachdrücklich,
daß Lankwitz mir nach einigen Einwendungen deren Befolgung versprach.
Dann bat ich sie, uns nacb dem Essen auf ihrer Geige vorzuspielen,
wozu sie sich auch ohne jede Ziererei sofort bereit erklärte.

Das große Balkonzimmer, in welchem das Ivlavier stand, war durch
einen bis zur Decke reichenden Vorhang geteilt, hinter welchem Frau
Mytala jedenfalls wohl schlief, während cler vordere Teil geschmackvoll
als Damenzimmer eingerichtet war. — —

Der Mond schien so hell in den weiten stillen Raum, daß jede andere
Beleuchtung überflüssig war, zumal beide Spieler keiner Noten bedurften.
Während diese sich zum Spiele vorbereiteten, setzte ich mich leise auf
den kleinen Ledersessel am Fenster und schaute sinnend auf die alte
mondbeschienene Stadt herab. Alles um mich her erschien mir so
unwirklich, als wäre ich von einem wohlig schweren Traume umfangen und
erwartete in ihm in atemloser Spannung das Geschehen eines Wunders.

Da zitterte fein und süß der erste Geigenton durch die tiefe Abend-
stille. Und von diesem leise zitternden Tone wurden meineBlicke dort-
hin gelenkt, woher er kam, und dann ruhten sie wie gebannt auf der
hohen Frauengestalt neben dem Klavier. Ihr edles Antlitz leuchtete in
dem hellen Mondenscheine wie schimmernde Perlmutter und wie weißes
Elfenbein die in anmutsvollem Schwung auf und nieder gleitende Hand.

Sie spielte dieselben zaghaft fragenden und dann trotzig klagenden
Weisen, wie ich sie vor wenigen Abenden erlauscht, um dann auch
in dieselbe fremdartige, weich sehnsüchtige Melodie überzugehen wie
damals. —

O, diese gefährlich lockenden Töne — diese süß sehnsüchtigen

Geigentöne! — Wie sie meine
Seele aufwühlten bis in die letzten
Tiefen! — Wie sie das alte,
dürrre Herz erbeben ließen und
die Brust weiteten, als wollten
sie deren Enge auseinander-
sprengen! — Wozu nur mußtet
ihr argen Geigentöne mir solches
antun?

In dem schier unerträglichen
Ubermaße des unverstandenen
Empfindens preßte ich laut auf-
stöhnend das Gesicht in die

Hände.-Das Geigenspiel

war verstummt und in leisem
Akkorde klang das Klavier aus. —
Wie still — wie lautlos still es
in dem mondbeschienenen Ge-
mache war!

„Mein Mytala!“

Hatte ich Wahnwitziger die
Worte aus der wild erregtenTiefe
meines Flerzens heraus ge-
sprochen? — Gottlob nein, nur
die weiche Stimme des Freundes
vermochte so zarte Innigkeit in
diesen Namen zu legen.

Während des ganzen Abends
hatte er die Geliebte stets „mein
Kleines“ oder auch „Mika“ ge-
nannt, das so wundersam ein-
schmeichelnde „Mytala“ war also
wohl für die besonderen Augen-
blicke höchster Feierstimmung
vorbehalten.

Wie sie eigentlich heißen
mochte, wußte ich nicht undwollte
ich auch nicht erfragen. — Für
mich war sie ein für allemal
„Frau Mytala“. Sie innerlich
anders zu nennen, hätte ich ja doch nicht vermocht.

Als ich jetzt mein Gesicht aus meinen Händen hob, sah ich sie mit
ihren anmutig leichten und doch so sicheren Bewegungen sorgsam wie ein
Kleinod die geliebteGeige verwahren. Lankwitz hatte das Zimmer verlassen.

Nachdem sie den Geigenkasten abgeschlossen hatte, wandte sie sich
zu mir und sagte mit halber Stimme, als scheute sie sich, den stillen
Abendfrieden zu stören:

„Der Abend ist so wunderschön — so warm, daß wir wohl auf dem
Balkon sitzen könnten.“

Ohne ein Wort der Erwiderung trat ich mit ihr hinaus. In Sinnen
und Schauen versunken standen wir schweigend nebeneinander, bis Freund
Lankwitz hinzukam und mir eine Kiste Zigarren darbot. — Rauchend
ließen wir uns dann auf die bequemen Korbsessel nieder, und auch Frau
Mytala setzte sich zu uns. Das Gespräch schleppte sich zunächst etwas
gezwungen hin, wurde allmählich aber lebhafter, und ging bald wie von
selber von der Musik auf meine Person über.

C. Becker: Der Kaiser besichtigt in Potsdam die Verstärkung der Schutztruppe für Südwestafrika.
 
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