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MODERNE ICUNST.
MODERNE KUNST.
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Jean Joseph Weerts: Redner-Wettbewerb vor dera Kaiser Caligula in Lyon
eine Schöpfung des neunzehnten Jahrhunderts. Anfänge mögen schon vorhanden
gewesen sein, so in einigen Städten Italiens und in Paris, wo der Jardin des plantes
unter Buffons Leitung bereits zur Zeit Ludwigs XV. und XVI. einige wenige Tiere
aufzuweisen hatte, aber sonst sind sie selten. In manchen Städten bestand wohl ein
Bärenzwinger, auch wohl an irgendeinem Fürstenhofe, wie an dem zu Versailles und
an dem des Landgrafen Karl von Hessen zu Kassel, eine Mcnagerie mit einigen
Löwen, Tigern, Leoparden und mit exotischem Gefliigel, doch von einer ausgiebigen
Gelegenheit, wilde Tiere, ausgenommen Bären, genauer kennen zu lernen und in
ihrem Tun und Treiben zu beobachten, konnte nicht die Rede sein.
Der Elefant, der am Hoflager Karls des Großen in Aachen ain 20. Juli 802 als
Geschenk des Kalifen Harun al Raschid eintraf, war vielleicht der erste, der in
geschichtlicher Zeit den Boden Deutschlands betreten hat, und er hat dieses Vorrecht
noch lange Zeit behauptet. Welche Sensation ein von einem unternehmungslustigen
holländischen Schiffskapitän aus Bengalen nach Europa transportiertes Nashorn ini
Jahre 1747 in verschiedenen deutschen Städten, auch in Berlin, wo es für Geld
gezeigt wurde, bei der gesamten Bevölkerung und selbst bei Friedrich dem Großen
hervorrief, geht daraus hervor, daß in Niirnberg auf das Wundertier sogar eine
Medaille geschlagen wurde. Da Gellert an dieses Tier, das in Leipzig gelegentlich
der Messe großen Empfang hielt, eine hübsche Fabel geknüpft hat, so ist es als
„Gellertsches Nashorn" noch zu besonderem Ansehen gelangt. Nicht minderes Auf-
sehen erregten zwei Elefanten, mit denen im Jahre 1798 die Pariser beglückt wurden.
Nach dem Jardin des plantes, wo Jean und Marguerite Unterkunft gefunden hatten,
ergoß sich damals eine wahre Flut schaulustigen Publikums. Ebenso groß waren
der Andrang und das Staunen, als 1827 die erste Giraffe erschien. Die Begeisterung
über das noch nie gesehene herrliche Tier wurde sofort in eine Mode ä la girafe
umgesetzt. Alle diese und nocli manche andere Tatsachen legen für die geradezu
kindliche Naivetät, mit der man noch vielen vierbeinigen Gästen der Tropen gegen-
übertrat, hinreichendes Zeugnis ab.
Bei ailedem ist hervorzuheben, daß die christliche Kunst des Abendlandes, trotz
Mangels lebendiger Anschauung, bereits frühzeitig den Drang nach Darstellung ge-
wisser Tiere des Orients lebhaft verspürt hat. So weisen schon die karolingischen
Miniaturen Darstellungen des Löwen und Elefanten auf, die sogar ein gewisses Streben
des Miniators nach Naturwahrheit erkennen lassen. In der Folgezeit hat der Drang
noch zugenommen, denn der königliche Löwe vom Stamme Juda versinnbildlicht in
der christlichen Bildnerei den Heiland. Darum auch die von der Plastik mehrfach
geschaffenen Löwen a!s Träger der Kanzel, so jene des Niccolo Pisano aus dem
dreizehnten Jahrhundert inr Baptisterium zu Pisa. Auch spielt eine Rolle die Legende
vom heiligen Hieronymus, dem der vom Dorn befreite Löwe ein dankbarer und
treuer Gesellschafter wurde, ein Vorwurf, den am schönsten Dürer behandelt hat.
Überhaupt bilden Mystisches und Legendares seit jeher einen wesentlichen Antrieb
zur Tierdarstellung. Ganz natürlich! Denn die eigentliche Wesenheit des Tieres steht
dem Menschen geheimnisvoll gegenüber. Keine Brücke sprachlicher Verständigung
führt von einem zum andern hinüber. Eine ewige breite Kluft ist geöffnet, jenseits
welcher die menschliche Phantasie gern sich zu sonderbaren Vorstellungen versteigt.
Sie sind um so abenteuerlicher, je dämonischer das Tier mit seiner gewaltigen Kraft,
unbezähmbaren Wildheit und vernichtenden Grausamkeit erscheint. Aus diesem
Grunde auch die bevorzugte Stellung, welche dem Löwen in Mystik und Symbolik
zuteil geworden ist.
Die mohammedanische Symbolik verband mit dem schreitenden oder ruhig
stehenden Löwen den Herrscher. In antiker Zeit gilt er gleichfalls ais bevorzugtes
Geschöpf. Und wenn der Herrscher Assyriens, der gewaltige Aschschurnassirpal odcr
Salmanassar, zur Jagd zog, so kämpfte er nur mit dem königlichen Löwen, den er
gewissermaßen als ebenbürtig betrachtete. Die assyrische Kunst hat denn auch den
Löwen in den Jagdepisoden des königlichen Gebieters mit iebendigstem Naturalismus
geschildert. In mancheti Szenen erheben sich diese flachen Reliefdarstellungen aus
dem Königspalast in Ninive zur ergreifendsten Wirkung •—• so der vom Speer
getroffene Löwe, der in wildem Schmerz sein prächtiges, mähnenumwalltes Haupt
zur Erde beugt, und die sterbende Löwin, die im Krampf der Agonie ihren
mächtigen Leib lang ausstreckt, während ihre Hinterpranken kraftios eingeknickt
sind. Jahrlausende mußlen vergehen, ehe die Kunst wieder fähig war, deti König der
Tiere in gleich vollkommener Weise und ähnlich dramatischer Wirkung zur Dar-
stellung zu bringen.
Die Renaissance des Löwen und überhaupt der ganzen Tierplastik fällt ins
vergangene Jahrhundert und verknüpft sich mit einer Reihe hochbegabter französischer
Künstler, wie Fremiet, Barye, Cain und Mene. DieZeiten, in denen es an Studienmaterial
gefehlt hatte, waren überwunden und die Aufträge des Publikums für die kräftig
emporblühende Bronzeindustrie im Wachsen. Beide Ursachen hatten die beste Wirkung.
Vor allen war es Barye, der das Wesen der Tierdarstellung in seiner ganzen Tiefe
begriff. Er begnügte sich nicht mit der genauen Wiedergabe der äußeren Form,
nicht init der Beobachtung des Knochenbaues, der Muskulatur, der Sehnen und
Nerven, sondern betonte auch auf Grund eingehenden Forschens die intellektuellen
und seelischen Äußerungen der Tiere. Indem er die veraltete Auffassung vom blöden
Instinkt verwarf, verlieh er ihren Gestalten frisches individuelles Leben und eine solche
Anziehungskraft, daß sie im Pariser Salon von kundigen Zoologen und passionierten
Tierfreunden geradezu umlagert wurden. Die kriechende Geschmeidigkeit des nach
Blut lechzenden Tigers und die wilde Majestät und Grausamkeit des Löwen drückte
er ebenso vorzüglich wie die Geriebenheit des Affen, das Phlegma der Schildkröte
und die Schüchternheit des Vogels aus. Besonders zahlreich sind aus seinem Atelier
brillant modellierte kleine Tierfiguren hervorgegangen, von denen viele in Bronze
gegossen und ziseliert sind. Doch die ganze Größe seiner Kraft offenbarte er in
einigen Kolossalfiguren, von denen der in Bronze ausgeführte „Löwe beim Verzehren
einer Riesenschlange" im Tuileriengarten zur Aufstellung gelangte.
Daß die Tierplastik in unsern Tagen mehr und mehr Vertreter unter den
Künstlern findet, läßt sich in jeder Ausstellung erkennen. Aber nun ist auch zu
fordern, daß dementsprechend die Aufträge nicht ausbleiben. Jede Kunst, die lebens-
frisch bleiben soll, kann der fruchtbaren Arbeit nicht entbehren. Für den Schmuck
öffentlicher Anlagen und Brunnen ist die Tierplastik ausgezeichnet geeignet — sie
hat meist mehr Berechtigung als der Schwulst schwer verständlicher allegorischer
Figuren, die dem Volke plastische Rätsel sind. Der Löwe, der schon ziemlich ab-
gedroschen ist, braucht es ja nicht immer zu sein, bietet sich doch eine Ftille anderer
Motive, die alle Anwartschaft haben, volkstümlich, wie Prof. August Gauls Charlotten-
burger Entenbrunnen, zu werden.
Mehr Glück als in der Plastik hat das Tier in der Malerei gehabt. Was die
Niederländer des 16. und 17. Jahrhunderts in der malerischen Darstellung von jagd-
baren Tieren und Haustieren geleistet haben, beweist, daß sie diese Kunstgattung
mit vollendeter Meisterschaft getrieben haben. Die köstlichen Viehherden Paul Potters,
die brillanten Kühe, Schafe und Ziegen, mit denen Nikolaus Berchem seine italie-
nischen Landschaften bevölkert hat, die famosen Tierstücke Karel Dujardins, ins-
besondere seine langohrigen Grautiere, die vortrefflichen Hunde des Jacob Duck,
das tote Wild des Jan Weenix und des Pieter Neefs gehören zu den Perlen nieder-
ländischer Malerei. Die Art, wie viele dieser Künstler ein eng begrenztes Feld
beackerten, der eine nur Geflügel malte, wie der treffliche Hondecoeter, der andere
meist nur tote Hasen oder gar Fische, Hummern und Krebse, mag einen Zug der
Beschränktheit verraten, aber sie hat wesentlich zur Vertiefung des künstlerischen
Könnens beigetragen. Daß auch der Augsburger Johann Elias Riedinger in der
Darstellung unseres heituischen Wildes durch eine gewisse Einseitigkeit groß geworden
ist, läßt sich ebenfalls nicht leugnen. Im Gegensatze zu diesen Kleinmalern vertreten
Rubens und Snyders mit ihren mächtig und groß behandelten Löwen-, Bären-, Hirsch-
und Schwarzwildjagden das monumentale Tierbild. Daß Rubens eifrige Studien
nach Löwen, Tigern, Bären und anderem wilden Getier in Menagerien getrieben hat,
erweisen zahlreiche Blätter seines Skizzenbuches. Ihm, dem weitgereisten Künstler
und Diplomaten, hatte sich die Möglichkeit geboten, eine ganz andere Vorstellung
von der Kraft, Wildheit und imposanten Majestät der mächtigsten Vertreter des
Tierreichs zu gewinnen. Dem an der Scholle klebenden Kleinmaler war vor den
simplen Haustieren solch höherer Flug nicht vergönnt. So wirken denn Rubens’
Schöpfungen kühn, gewaltig und beherrschend, zumal die Breite und Wucht seines
Kolorits zum Vorwurfe harmonisch gestimmt sind.
Dem Tierbilde unserer Tage ist nachzurühmen, daß es sich zumeist auf Be-
obachtungen gründet, deren Schärfe kaum noch zu übertreffen ist. Die Moment-
photographie mit ihrer genauen Fixierung der schnellsten Bewegungen, der schwierigsten
Stellungen, der kleinsten Zufälligkeiten gewährt eine Kontrolle beim Arbeiten nach
der Natur, die irgendwelche Fehler fast ausschließt. Und dann die Möglichkeit,
selbst die wildesten Tiere nicht in der Menagerie, sondern in Freiheit beobachten
zu können.
Gewiß ist das Studium im Zoologischen Garten oder in der Menagerie dem
Künstler in hohem Grade förderlich und notwendig, aber das läßt sich doch
nicht leugnen, daß ein Tier in der Gefangenschaft, noch dazu ein solches, dem die
Freiheit angeboren ist, an gebrochener Kraft leidet. Der Löwe, der Tiger, der
Leopard und alle die anderen mächtigen Vertreter der Tierwelt führen hinter den
Eisenstäben eine tragische Existenz, deren Trostlosigkeit sich auch aus ihrem ganzen
Gebahren und ihrer griesgrämigen Physiognomie zu erkennen gibt. Zu alledem fehlt
die passende landschaftliche Szenerie, fehlt die Atmosphäre und das Licht des Südens,
fehlen noch so viele zur vollkommenen Harmonie notwendigen Einzelheiten, daß
wirklich Zutreffendes nicht entstehen kann, es sei denn, daß die Phantasie ihre
Wundermacht bewirke. Doch ein Trost ist vorhanden, der wie mildernder Balsam
wirkt: die Hauptmacht wird immer der Genius des Künstlers bleiben, wird nicht
ein mehr oder minderes Maß von Ähnlichkeit, sondern die Auffassung und der
Vortrag sein. Das Recht, in Farben zu dichten, ist dem Maler gegeben, und kraft
desselben steht es ihm frei, seinem Empfinden zu folgen und selbst der Natur zu
trotzen, wenn er Großes und Schönes aus seinem eigenen Ich zu geben vermag.
MODERNE ICUNST.
MODERNE KUNST.
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Jean Joseph Weerts: Redner-Wettbewerb vor dera Kaiser Caligula in Lyon
eine Schöpfung des neunzehnten Jahrhunderts. Anfänge mögen schon vorhanden
gewesen sein, so in einigen Städten Italiens und in Paris, wo der Jardin des plantes
unter Buffons Leitung bereits zur Zeit Ludwigs XV. und XVI. einige wenige Tiere
aufzuweisen hatte, aber sonst sind sie selten. In manchen Städten bestand wohl ein
Bärenzwinger, auch wohl an irgendeinem Fürstenhofe, wie an dem zu Versailles und
an dem des Landgrafen Karl von Hessen zu Kassel, eine Mcnagerie mit einigen
Löwen, Tigern, Leoparden und mit exotischem Gefliigel, doch von einer ausgiebigen
Gelegenheit, wilde Tiere, ausgenommen Bären, genauer kennen zu lernen und in
ihrem Tun und Treiben zu beobachten, konnte nicht die Rede sein.
Der Elefant, der am Hoflager Karls des Großen in Aachen ain 20. Juli 802 als
Geschenk des Kalifen Harun al Raschid eintraf, war vielleicht der erste, der in
geschichtlicher Zeit den Boden Deutschlands betreten hat, und er hat dieses Vorrecht
noch lange Zeit behauptet. Welche Sensation ein von einem unternehmungslustigen
holländischen Schiffskapitän aus Bengalen nach Europa transportiertes Nashorn ini
Jahre 1747 in verschiedenen deutschen Städten, auch in Berlin, wo es für Geld
gezeigt wurde, bei der gesamten Bevölkerung und selbst bei Friedrich dem Großen
hervorrief, geht daraus hervor, daß in Niirnberg auf das Wundertier sogar eine
Medaille geschlagen wurde. Da Gellert an dieses Tier, das in Leipzig gelegentlich
der Messe großen Empfang hielt, eine hübsche Fabel geknüpft hat, so ist es als
„Gellertsches Nashorn" noch zu besonderem Ansehen gelangt. Nicht minderes Auf-
sehen erregten zwei Elefanten, mit denen im Jahre 1798 die Pariser beglückt wurden.
Nach dem Jardin des plantes, wo Jean und Marguerite Unterkunft gefunden hatten,
ergoß sich damals eine wahre Flut schaulustigen Publikums. Ebenso groß waren
der Andrang und das Staunen, als 1827 die erste Giraffe erschien. Die Begeisterung
über das noch nie gesehene herrliche Tier wurde sofort in eine Mode ä la girafe
umgesetzt. Alle diese und nocli manche andere Tatsachen legen für die geradezu
kindliche Naivetät, mit der man noch vielen vierbeinigen Gästen der Tropen gegen-
übertrat, hinreichendes Zeugnis ab.
Bei ailedem ist hervorzuheben, daß die christliche Kunst des Abendlandes, trotz
Mangels lebendiger Anschauung, bereits frühzeitig den Drang nach Darstellung ge-
wisser Tiere des Orients lebhaft verspürt hat. So weisen schon die karolingischen
Miniaturen Darstellungen des Löwen und Elefanten auf, die sogar ein gewisses Streben
des Miniators nach Naturwahrheit erkennen lassen. In der Folgezeit hat der Drang
noch zugenommen, denn der königliche Löwe vom Stamme Juda versinnbildlicht in
der christlichen Bildnerei den Heiland. Darum auch die von der Plastik mehrfach
geschaffenen Löwen a!s Träger der Kanzel, so jene des Niccolo Pisano aus dem
dreizehnten Jahrhundert inr Baptisterium zu Pisa. Auch spielt eine Rolle die Legende
vom heiligen Hieronymus, dem der vom Dorn befreite Löwe ein dankbarer und
treuer Gesellschafter wurde, ein Vorwurf, den am schönsten Dürer behandelt hat.
Überhaupt bilden Mystisches und Legendares seit jeher einen wesentlichen Antrieb
zur Tierdarstellung. Ganz natürlich! Denn die eigentliche Wesenheit des Tieres steht
dem Menschen geheimnisvoll gegenüber. Keine Brücke sprachlicher Verständigung
führt von einem zum andern hinüber. Eine ewige breite Kluft ist geöffnet, jenseits
welcher die menschliche Phantasie gern sich zu sonderbaren Vorstellungen versteigt.
Sie sind um so abenteuerlicher, je dämonischer das Tier mit seiner gewaltigen Kraft,
unbezähmbaren Wildheit und vernichtenden Grausamkeit erscheint. Aus diesem
Grunde auch die bevorzugte Stellung, welche dem Löwen in Mystik und Symbolik
zuteil geworden ist.
Die mohammedanische Symbolik verband mit dem schreitenden oder ruhig
stehenden Löwen den Herrscher. In antiker Zeit gilt er gleichfalls ais bevorzugtes
Geschöpf. Und wenn der Herrscher Assyriens, der gewaltige Aschschurnassirpal odcr
Salmanassar, zur Jagd zog, so kämpfte er nur mit dem königlichen Löwen, den er
gewissermaßen als ebenbürtig betrachtete. Die assyrische Kunst hat denn auch den
Löwen in den Jagdepisoden des königlichen Gebieters mit iebendigstem Naturalismus
geschildert. In mancheti Szenen erheben sich diese flachen Reliefdarstellungen aus
dem Königspalast in Ninive zur ergreifendsten Wirkung •—• so der vom Speer
getroffene Löwe, der in wildem Schmerz sein prächtiges, mähnenumwalltes Haupt
zur Erde beugt, und die sterbende Löwin, die im Krampf der Agonie ihren
mächtigen Leib lang ausstreckt, während ihre Hinterpranken kraftios eingeknickt
sind. Jahrlausende mußlen vergehen, ehe die Kunst wieder fähig war, deti König der
Tiere in gleich vollkommener Weise und ähnlich dramatischer Wirkung zur Dar-
stellung zu bringen.
Die Renaissance des Löwen und überhaupt der ganzen Tierplastik fällt ins
vergangene Jahrhundert und verknüpft sich mit einer Reihe hochbegabter französischer
Künstler, wie Fremiet, Barye, Cain und Mene. DieZeiten, in denen es an Studienmaterial
gefehlt hatte, waren überwunden und die Aufträge des Publikums für die kräftig
emporblühende Bronzeindustrie im Wachsen. Beide Ursachen hatten die beste Wirkung.
Vor allen war es Barye, der das Wesen der Tierdarstellung in seiner ganzen Tiefe
begriff. Er begnügte sich nicht mit der genauen Wiedergabe der äußeren Form,
nicht init der Beobachtung des Knochenbaues, der Muskulatur, der Sehnen und
Nerven, sondern betonte auch auf Grund eingehenden Forschens die intellektuellen
und seelischen Äußerungen der Tiere. Indem er die veraltete Auffassung vom blöden
Instinkt verwarf, verlieh er ihren Gestalten frisches individuelles Leben und eine solche
Anziehungskraft, daß sie im Pariser Salon von kundigen Zoologen und passionierten
Tierfreunden geradezu umlagert wurden. Die kriechende Geschmeidigkeit des nach
Blut lechzenden Tigers und die wilde Majestät und Grausamkeit des Löwen drückte
er ebenso vorzüglich wie die Geriebenheit des Affen, das Phlegma der Schildkröte
und die Schüchternheit des Vogels aus. Besonders zahlreich sind aus seinem Atelier
brillant modellierte kleine Tierfiguren hervorgegangen, von denen viele in Bronze
gegossen und ziseliert sind. Doch die ganze Größe seiner Kraft offenbarte er in
einigen Kolossalfiguren, von denen der in Bronze ausgeführte „Löwe beim Verzehren
einer Riesenschlange" im Tuileriengarten zur Aufstellung gelangte.
Daß die Tierplastik in unsern Tagen mehr und mehr Vertreter unter den
Künstlern findet, läßt sich in jeder Ausstellung erkennen. Aber nun ist auch zu
fordern, daß dementsprechend die Aufträge nicht ausbleiben. Jede Kunst, die lebens-
frisch bleiben soll, kann der fruchtbaren Arbeit nicht entbehren. Für den Schmuck
öffentlicher Anlagen und Brunnen ist die Tierplastik ausgezeichnet geeignet — sie
hat meist mehr Berechtigung als der Schwulst schwer verständlicher allegorischer
Figuren, die dem Volke plastische Rätsel sind. Der Löwe, der schon ziemlich ab-
gedroschen ist, braucht es ja nicht immer zu sein, bietet sich doch eine Ftille anderer
Motive, die alle Anwartschaft haben, volkstümlich, wie Prof. August Gauls Charlotten-
burger Entenbrunnen, zu werden.
Mehr Glück als in der Plastik hat das Tier in der Malerei gehabt. Was die
Niederländer des 16. und 17. Jahrhunderts in der malerischen Darstellung von jagd-
baren Tieren und Haustieren geleistet haben, beweist, daß sie diese Kunstgattung
mit vollendeter Meisterschaft getrieben haben. Die köstlichen Viehherden Paul Potters,
die brillanten Kühe, Schafe und Ziegen, mit denen Nikolaus Berchem seine italie-
nischen Landschaften bevölkert hat, die famosen Tierstücke Karel Dujardins, ins-
besondere seine langohrigen Grautiere, die vortrefflichen Hunde des Jacob Duck,
das tote Wild des Jan Weenix und des Pieter Neefs gehören zu den Perlen nieder-
ländischer Malerei. Die Art, wie viele dieser Künstler ein eng begrenztes Feld
beackerten, der eine nur Geflügel malte, wie der treffliche Hondecoeter, der andere
meist nur tote Hasen oder gar Fische, Hummern und Krebse, mag einen Zug der
Beschränktheit verraten, aber sie hat wesentlich zur Vertiefung des künstlerischen
Könnens beigetragen. Daß auch der Augsburger Johann Elias Riedinger in der
Darstellung unseres heituischen Wildes durch eine gewisse Einseitigkeit groß geworden
ist, läßt sich ebenfalls nicht leugnen. Im Gegensatze zu diesen Kleinmalern vertreten
Rubens und Snyders mit ihren mächtig und groß behandelten Löwen-, Bären-, Hirsch-
und Schwarzwildjagden das monumentale Tierbild. Daß Rubens eifrige Studien
nach Löwen, Tigern, Bären und anderem wilden Getier in Menagerien getrieben hat,
erweisen zahlreiche Blätter seines Skizzenbuches. Ihm, dem weitgereisten Künstler
und Diplomaten, hatte sich die Möglichkeit geboten, eine ganz andere Vorstellung
von der Kraft, Wildheit und imposanten Majestät der mächtigsten Vertreter des
Tierreichs zu gewinnen. Dem an der Scholle klebenden Kleinmaler war vor den
simplen Haustieren solch höherer Flug nicht vergönnt. So wirken denn Rubens’
Schöpfungen kühn, gewaltig und beherrschend, zumal die Breite und Wucht seines
Kolorits zum Vorwurfe harmonisch gestimmt sind.
Dem Tierbilde unserer Tage ist nachzurühmen, daß es sich zumeist auf Be-
obachtungen gründet, deren Schärfe kaum noch zu übertreffen ist. Die Moment-
photographie mit ihrer genauen Fixierung der schnellsten Bewegungen, der schwierigsten
Stellungen, der kleinsten Zufälligkeiten gewährt eine Kontrolle beim Arbeiten nach
der Natur, die irgendwelche Fehler fast ausschließt. Und dann die Möglichkeit,
selbst die wildesten Tiere nicht in der Menagerie, sondern in Freiheit beobachten
zu können.
Gewiß ist das Studium im Zoologischen Garten oder in der Menagerie dem
Künstler in hohem Grade förderlich und notwendig, aber das läßt sich doch
nicht leugnen, daß ein Tier in der Gefangenschaft, noch dazu ein solches, dem die
Freiheit angeboren ist, an gebrochener Kraft leidet. Der Löwe, der Tiger, der
Leopard und alle die anderen mächtigen Vertreter der Tierwelt führen hinter den
Eisenstäben eine tragische Existenz, deren Trostlosigkeit sich auch aus ihrem ganzen
Gebahren und ihrer griesgrämigen Physiognomie zu erkennen gibt. Zu alledem fehlt
die passende landschaftliche Szenerie, fehlt die Atmosphäre und das Licht des Südens,
fehlen noch so viele zur vollkommenen Harmonie notwendigen Einzelheiten, daß
wirklich Zutreffendes nicht entstehen kann, es sei denn, daß die Phantasie ihre
Wundermacht bewirke. Doch ein Trost ist vorhanden, der wie mildernder Balsam
wirkt: die Hauptmacht wird immer der Genius des Künstlers bleiben, wird nicht
ein mehr oder minderes Maß von Ähnlichkeit, sondern die Auffassung und der
Vortrag sein. Das Recht, in Farben zu dichten, ist dem Maler gegeben, und kraft
desselben steht es ihm frei, seinem Empfinden zu folgen und selbst der Natur zu
trotzen, wenn er Großes und Schönes aus seinem eigenen Ich zu geben vermag.