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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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9. Heft
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Kohlrausch, Robert: München zur Neujahrszeit: Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0259
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München

zur

hleujahrszeif.

Plauderei von Robert Kohlrausch.


zu, diesem ersten Winterschnee, und vor ihren leuchtenden Augen zeigen sich Bilder
von langen Schneeschuhen, wärmenden Sweaters und koketten Pelzmützen für frohe
Fahrten ins nahe, verschneite Qebirge.

Sie sind alle vergniigt, plaudern und lachen ohne Aufhören in ihrem gemütlich-
heiteren Dialekt. Und wie sie vorübergehen, hebt unter dem Torweg, in dessen
Pfeilerschutz er sich eingenistet hat, ein junger, schwarzhaariger und schwarzäugiger
Italiener den Deckel von seinem Kessel mit gebratenen Maronen und schaut mit
lächelnder Einladung her. Auch er ist ein Bote des Winters, dieser italienische Bursch.
Er ist mir gut bekannt, er und seine ganze Familie. Seine Großmutter schon ist nach
München gekommen als Modell für die Herren Kunstmaler. Sie hat ein anderes
italienisches Modell geheiratet und elf Kinder nach und nach zur Welt gebracht, lauter
kleine Münchner Italiener, die niemals ihre sonnige Heimat gesehen haben. Die
älteste von ihren Töchtern ist auch schon längst verheiratet und hat auch schon wieder
elf Kinder und wird nächstens das zwölfte haben. Wenn sie nicht in einer dieser
dringenden Familienangelegenheiten für ein paar Tage zu Hause bleiben muß, dann
steht sie gleich ihrer Mutter, beide noch immer in italienischer Volkstracht, an einer
Straßenecke und verkauft Blumen. Die Männer müssen zu Hause bleiben, miissen
putzen und kochen; die Frauen machen derweil das Geschäft und sorgen fürs Leben
mit ihrem Verdienst. Im Winter aber, wenn die Blumen knapp werden, verkaufen sie
auch hiibsch mit buntem Papier und goldener Nuß verzierte Ruten für den Sankt
Nikolaustag, an dem dieser Heilige nach altem Brauch in den Häusern umgeht, und
vor dem Barbaratag am vierten Dezember tragen sie große braune Bündel von Barbara-
zweigen herbei. Wohlausgewählte Knospenzweige von Kirsch- und Apfelbäumen sind
es; die muß man am Tage der Heiligen in lauwarmes Wasser und nahe bei dem Ofen
stellen, dann erschließen sich ihre Blüten gerade zum Weihnachtsfeste, zaubern den
Frühling in den Winter hinein und schimmern mit den Kerzen um die Wette. So
helfen sich die Frauen über die blumenarme Zeit hinweg, und jetzt muß auch Beppo
mitverdienen; er steht in seinem Torweg und bittet mit seinen großen Augen die
Vorbeigehenden, ihm fleißig von seinen Maronen abzukaufen.

An zwei Straßenecken von Schwabing stehen die beiden Frauen mit ihren Körben,
aus denen die Blumen, die Ruten, die Barbarazweige je nach der Jahreszeit hervor-
schauen. In diesem Schwabing, das vor nicht langer Zeit noch ein kleines Dorf mit
bescheidener Kirche war und jetzt in seinen hoch emporgeschossenen Häusern die
merkwürdigste Bevölkerungsmischung von ganz München beherbergt. Was in Berlin
im Westen wohnt, alles, was reich und elegant ist oder dafür gelten wili, haust in den


|orgen wieder lustiki" Ein fröhliches Wort ist es, das der König Jeröme
geprägt hat. Ein Wahlspruch, der ihn unsterblich gemacht hat als Lebens-
genießer. Aber ein Wunder ist's eigentlich, daß dieser König nicht in
München zur Welt kam. Denn München ist unter den deutschen Städten der König
Jeröme. In ihrem Wappen dürfte sie ruhig unter dem wohlgenährten Münchner
Kindl den Wahlspruch zeigen: „Morgen wieder lustik!“

Die Heitcrkeit ist hier unsterblich, mag auch einmal ein Dunkelmann glauben,
sie glücklich totgeschlagen zu haben. Sichtbar und hörbar flutet sie hin durch die
Straßen in hellen Farben und Klängen. Oder gibt es in Deutschland eine zweite
Stadt, wo sich das tiefe Blau des Himmels in allen Uniformen so freundlich wieder-
liolt, wo die Trambahnen so lustig weiß und blau durch die Straßen rasseln, wo die
Postillone noch so fröhlich blasend in blauem Frack und weißen Lederhosen auf ihrem
hohen Bocke thronen? Gibt es eine zweite Stadt, wo das Mädchenlachen so hell und
heiter ist, wo Musik schon in der Frühe des Vormittags aus den Wirtshäusern so ein-
ladend hervorklingt, wo der volle Strom des Lebens auch die Widerstrebenden so
mächtig mit sich fortreißt und alles in seine frischen, hellen Wirbel hineinzieht. Ja,
der Schnee sogar, der jetzt eben herabkommt als erster Bote des neuen Jahres, wirbelt
er unter dem Wehen des kräftigen Alpenwindes nicht auch in rascherem, vergnügterem
Tanze durch die Luft als anderswo? Die Münchner und Münchnerinnen lachen ihm

•3

Im

Odeonskasi.no.


XXVII. 28.
 
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