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Münchner kunsttechnische Blätter — 4.1907/​1908

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Nr. 3
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Linde, Hermann: Ueber das Restaurieren alter Kunstwerke, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36594#0013
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München, 4. Nov. 1907.

Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

IV.Jahrg. Nr. 3.

Inhalt: Ueber das Restaurieren aiter Kunstwerke. Von Hermann Linde. (Schiuss.) — Bemerkung zur Ge-
schichte der Gaivanographie. Von Dr. Conrad Laar, Bonn a. Rh. — Die Zusammensteiiung der Paiette.
Von E. Berger. (Schluss.)

Ueber das Restaurieren alter Kunstwerke.
Von Hermann Linde. (ScMuss.)

Wäre es möglich, die Pinakothek noch ein-
mal in dem Zustande zu sehen, als die Düssel-
dorfer Gemälde hinzukam'en, wie anders würde
manches Bild wirken! Ich erinnere nur an die
begeisterte Beschreibung E. Frosters über den
Johannis Nr. 1093, welches Bild letzterer als
grösstes koloristisches Meisterwerk pries. Heute,
wo nur noch die farblose Untermalung davon
vorhanden, und auch diese an Stellen (Kniee)
bis auf die Leinewand abgerieben ist, kann
man von Kolorismus nicht mehr bei diesem
Bilde reden. Anderen Bildern, die nur noch
Untermalungen zeigen, wie die Florentiner Nr.
996, 997 usw., ist es in neuerer*) Zeit nicht
besser ergangen. Weder Patinir noch Memm-
ling noch Holbein d. Aelteren würde man nach
den Münchener Bildern für die bedeutenden Ko-
loristen halten, die sie in Wirklichkeit sind.**)
Wenn derartiges in der Kunststadt München ^mög-
lich ist, so ist es allerdings kein Wunder, dass
es in Museen anderer Städte nicht besser aussieht.
Doch nicht nur in die Museen, auch in die

*) Genau anzugeben, wann die verschiedenen
Bilder restauriert sind, bin ich nicht in der Lage; es
ist mir auch bekannt, dass in früheren Zeiten sogar
Galleriedirektoren, die Maler waren, an den Bildern
gesündigt haben; es soll daher ausdrücklich be-
tont werden, dass nicht für alles, was in der Pina-
gothek in schlechter Verfassung ist, das jetzige Re-
kime verantwortlich gemacht werden kann; es soll nur
gezeigt werden, dass das Hineinarbeiten in die alten
Gemälde immer zu deren Nachteil geschieht und ich
meine, dass Konservieren und Restaurieren nicht ver-
wechselt werden darf.
**) Siehe die unrestaurierten Patinir in Madrid,
Memmlings in Lübeck, Brügge und Antwerpen und
Holbeins im Augsburger Dom.

Schlösser und Kirchen ist der restaurationslüsterne
Geist der neuen Zeit eingezogen. So fallen z. B.
in Sanssouci die Bilder, welche so herrlich in
den Rahmen des alten Schlosses hineingewachsen
waren, jetzt teilweise restauriert, auf. So
wurde zum Nachteil der Bilder in Herrenhausen
bei Hannover manchen, in Schleissheim allen
alten Porträts die Lackschicht genommen; so
wurden in den meisten norddeutschen Städten
die Kirchenbilder restauriert. In Ansbach wurde
das kostbare Kelterbild von Hans Baidung in der
Ritterkapelle der Gumbertuskirche schändlich mit-
genommen, in Augsburg die Goldschmiedekapelle
im St. Annakloster mit den alten gotischen Fresken
in unglaublich unkünstlerischer Weise wieder aus-
gemalt. In der Bürgersaalkirche in München das
grosse Deckengemälde (durch Abwaschen mit
Säure ?) ruiniert und die Holzplastiken dort und
in der St. Annahospitalkirche grausam pietätlos
angestrichen. In Nürnberg wurde vor ein paar
Jahren das grosse Renaissancegemälde im Rat-
haussaal vollständig übermalt.
Die Zahl der alten Kunstwerke, die unter
demVorwande derErhaltung oder Wider-
herstellung in den früheren Zustand trotz
aller Gelehrtenkommissionen mindestens
stark entwertet wurden, Hesse sich endlos
weiterführen.
Immerhin gibt es noch Schätze in Deutsch-
land, sowohl Gemälde wie Schnitzereien, die un-
berührt geblieben sind. Ich erinnere nur an das
National-Museum in München mit vielen unrestau-
rierten Bildern, die, obgleich von Meistern zweiten
Ranges, Qualitäten aufweisen, die man bei den
ewig bearbeiteten Bildern der alten Pinakothek
 
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