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Münchner kunsttechnische Blätter — 4.1907/​1908

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Nr. 8
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Zwei Zuschriften
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Linde, Hermann: In Angelegenheit des Knollerschen Fresko
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https://doi.org/10.11588/diglit.36594#0036
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Münchner kunsttechnische Btätter.

Nr 8.

32

die Feinheit und Vollendung ihrer Werke unter
den Händen der Nachkömmlinge verschwinden?
Könnten solche übermalten Bilder für die
Folge noch mit ihrem ursprünglichen Namen be-
legt werden? Doch wohl nicht mit vollem Recht!
Der erste, welcher den Mut hatte, auf die
für unsere Kunstdenkmäler bestehende Gefahr
öffentlich aufmerksam zu machen, ist Herr Linde,
ihm gebührt das grosse Verdienst, ihm gebührt
der Dank aller Kunstfreunde, ebenso wie der
Verwaltungen von Galerien.
Ich glaube, die Angelegenheit ist genügend
klargestellt, sie bedarf nicht mehr der Aeusserungen
dieser Verwaltungen.
Cöln, im Dezember 1907. Aug. Reith.
In Angelegenheit des Knollerschen
Fresko.
Ueber die Zerstörung des Deckengemäldes
in der Bürgersaalkirche zu München, welches an-
geblich durch das Restaurieren geschah, brachte
die „Mappe" im Februar 1906 einen Aufsatz, in
weichem die Schuld an dem Untergange dieses
gewaltigen Fresko dem Umstande zugeschrieben
wird, dass die Schicht Bauschutt, die in wohl-
berechneter Absicht über dem Deckengewölbe
gelagert war, entfernt wurde, sowie dass die
Neubedeckung des Daches mit weniger gutem
Material wie die alten Ziegel, mit Biberschwanz,
welche Regen und Schnee durchlassen, aus-
geführt wurde.
Der Bauschutt, der früher als Temperatur-
regulator diente, sowie eventuell von oben
kommende Feuchtigkeit aufsog, ist durch Dach-
pappe ersetzt worden, wodurch Ausdunstungen
verhindert werden, während durch Falze und Fugen
der Dachpappe die Feuchtigkeit bis zum Bilde
durchsickert.
Vor diesen baulichen Veränderungen ist das
Bild, wie die noch 189$ gemachten Photographien
zeigen, in guter Verfassung gewesen, wurde
aber innerhalb weniger Jahre unsichtbar. Der
Grund sei eine Ueberwucherung von Moos,
Flechten und Pilzen auf dem nun fast immer
feuchten Bilde gewesen; diese wurden durch den
Restaurator durch Zuhilfenahme verdünnter Salz-
säure 1902 entfernt. Da aber die baulichen Ver-
änderungen trotz aller Einwendungen der Maler
nicht wieder abgeändert seien, so haben Ueber-
wucherungen von Moosen und Flechten auf der
immer feuchten Decke in so rapider Weise über-
hand genommen, dass jetzt tatsächlich von dem
Bilde fast nichts mehr zu sehen ist. Unter dieser
Flora von Schmarotzerpflanzen soll das Bild,
wenigstens jetzt noch, wohlerhalten vorhanden sein.
Wenn diese Ausführungen, die von unter-
richteter Seite zu stammen scheinen, ihre Richtig-
keit haben, so ist es schwer einzusehen, warum

dann nicht dafür gesorgt wird, dass die früheren
baulichen Verhältnisse, unter denen das Bild sich
über IOO Jahre tadellos gehalten hat, wieder
hergestellt werden? Warum lässt man in der
Kunststadt München ein so wertvolles Kunstwerk
der Zerstörung entgegengehn?
Es sei noch bemerkt, dass es sich hier um
ein figurenreiches Gemälde von 320 qm Grösse
handelt, hergestellt vom Meister Knoller, dem
letzten grossen Freskomaler. Herrn. Linde.
Nachschrift der Redaktion. Vor zwei Jahren
haben wir in Nr. t2 des II. Jahrg. in einem besonderen
Aufsatz auf die Gefahr hingewiesen, die dem Knollerschen
Fresko droht, und hatten dabei den gleichen Artikel
der „Mappe" herangezogen, der auch der obigen Zu-
schrift des Herrn Linde zugrunde lag. Bei der
Wichtigkeit der Angelegenheit und da Gefahr im Ver-
züge ist, bringen wir die obige Zuschrift hier zum
Abdruck.
Im Anschluss daran wollen wir bemerken, dass
in der Tagespresse und in Fachschriften schon wieder-
holt auf den desolaten Zustand des „grössten Fresko-
gemäldes Münchens" hingewiesen wurde. Geschehen
ist aber bisher nichts. Auch im bayer. Landtage ist
von dem traurigen Verfall des Gemäldes die Rede
gewesen.
In der Sitzung vom 27. März 1906 hatte Abg.
Frank über den Zustand des Knollerschen Bildes sein
Bedauern zum Ausdruck gebracht wie über einen un-
widerbringlichen Verlust. Aber er hatte den Stand-
punkt des Redakteurs der „Mappe" vollständig miss-
verstanden, als er von „Vertuschungsversuchen" sprach
und die physikalischen Umstände ganz ausser acht
Hess, die eine Folge der baulichen Umänderungen ge-
wesen sind. Gerade durch die neugeschaffene
Sachlage (Entfernung des Bauschuttes, Deckung
der Zuglöcher, infolgedessen Temperaturdifferenz und
Niederschläge) wurde das Gemälde nach wenigen
Jahren eben in den Zustand der Restaurationsbedürftig-
keit versetzt! Als die Kruste von Kryptogamen ent-
fernt worden war, stellte sich das Uebel nach Jahres-
frist aus den gleichenGründen wievorherwieder
ein. Dass bei dieser Reinigung Salzsäure verwendet
wurde, was die Freskooberfläche lockerte und die aber-
malige Wucherung der Pilze begünstigte, war jedenfalls
ein Fehler. Aber jedes andere Mittel hätte hier ebenso
versagt, solange nicht die Grundursache der Pilzbildung
beseitigt war. Das ist eben nicht geschehen und seit-
her verfällt das Gemälde mehr und mehr.
Von der Einholung von Gutachten, von chemischen
Analysen, Verweisung an Sachverständigenkommission
war vor einiger Zeit wohl die Rede. Zunächst wurde
in der Behandlung mit Salzsäure die Hauptschuld er-
blickt, dann wieder in der Verwendung von Gips im
Malgrund, den Knoller seinem Freskogrund beigemischt
haben soll. Wie uns mitgeteilt wird, wäre neuestens
beabsichtigt, den Schaden durch „chemische Rück-
bildung" wieder gut zu machen. Ob damit der Schaden
beseitigt werden kann, ist fraglich. Es handelt
sich doch zuerst um die Entfernung der Pilze!
Wenn es aber auch dazu schon zu spät ist, dann
trifft die Schuld jene, welche den einzig richtigen,
längst gemachten Vorschlag übergehen zu sollen glaubten,
vielleicht weil er der — einfachste ist.
Dem Knollerschen Fresko dürfte es leider so er-
gehen, wie jenem Schwerkranken, über dessen Be-
handlung sich die Aerzte nicht einigen konnten. Während
sie noch über die Diagnose debattierten, war er an
Entkräftung gestorben. E. B.
 
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