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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Wichert, Fritz: Die städtische Kunstschule
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Wichert, Fritz: Erziehung zur Zeichenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0100
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nicht mehr an fie zu denken. Kunft ift die letjte, höchfte Wahrhaftigkeit des Le-
bens, nicht karnevaliftifche Einkleidung. Deshalb mifjtrauen wir auch aller foge-
nannten „dekorativen" Darftellung, da fie dem Unwahrhaftigen Vorfchub leiftet.
Man klagt, dafj das Volk die Schöpfungen der Künftler nicht mehr verftände.
Wie foll es auch? Wie wenige, von den taufenden modernen Arbeiten, die
entftehen, können uns wirklich neuen Wefensreichtum offenbaren, frotj mäch-
tiger formaler Anftrengungen? Wir find der Meinung,das alles anders würde,
wenn wieder ein höherer reiner Realismus (im Sinne der Verwirklichungs-
kraft) die Künftler erfaßte, und Künfflertum nur als die Mitteilung eines höheren
Menfchentums Geltung hätte.

Dies find im kurzen die Leitgedanken, die in der Abteilung für freie Kunft
entfcheiden. In den Vorklaffen, die als gemeinfame Wurzel für freie und an-
gewandte Geftaltung zu betrachten find, wird das Zeichnen nach denfelben

Grundfätjen gelehrt. BildiO: ZEICHNUNG (Vorklaffe)

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ERZIEHUNG ZUR ZEICHENKUNST von Fritz wichen

Seit etwa 150 Jahren ift die Menfchheit mit Eifer bemüht, Mafchinen zu er-
finden, die der mechanifchen Wiedergabe der Wirklichkeit dienen. MitSchaften-
riffen fing es an. Man fetjfe fie in eine von allen Seiten gefchlirjfe Trommel,
das Mutoskop, und hatte fo den erften Anfang der Kinematographie. Dann
kam die Daguerreotypie, die Photographie, die Farbenphotographie, die Pho-
tographie inBewegung, dieAuseinanderlegung der Bewegung in derZeitlupe,
die Zufammenziehung im Zeitraffer ufw. Es ift ganz leicht, die Entwickelung

bis zu Ende zu denken. Es wird, was logifche Naturen fchon vor Jahren vor- ** *%* •* ''».s* ".ja

aus gefagt haben, bald dahin gekommen fein, daf} wir uns ein beliebiges
Stück Leben, einen optifchen, akuftifchen, fühlbaren und vielleicht auch riech-
baren Wirklichkeitsteil von irgendwoher drahtlos ins Zimmer zaubern können,
zu jeder Zeit, aus jeder Entfernung, in jeder Vollkommenheit.
Die Erkenntnis diefer Tatfache hat vielen - auch ernffhaft nach Wahrheit ftre-
benden Geiftern — fo imponiert, dafj fie uns das Ende der künftlerifchen Wirk-
lichkeitswiedergabe, der Wiedergabe „von Hand" verkündeten. „Was machen
Sie da? Ich zeichne diefen Baum! Sie tun mir leid. Die Photographie macht das
viel beffer. Ihre Hingabe ift reine Verfchwendung!" Es mag ganz richtig fein:
auf dem Gebiet der Wirklichkeitsnachahmung und Wirklichkeitsfixierung find
der Kunft in Geftalt jener Reproduktionsmafchinen mächtige Nebenbuhler
erwachfen, aber Kunft ift eben doch noch etwas anderes als Nachahmung,
nämlich Darfteilung idealifches Erzeugen neuer Wefen und neuer Welten.
Auch die vollkommenfte Photographiermafchine kann keine Wundergeftalt

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