Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Baum, Julius: Der Neubau der Stuttgarter Altstadt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0220
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Alter Geisplatz gegen Osten.

Geisplah gegen Osten.

Der Neubau der Dtuttqarter Altjtadt.

tuttgart war >m 18. Jahrhundert eine der
schönften Städte Dcutschlands. 1787 schreibt
C. L. Junker, dle herzaglich württeniberglsche
Residenz näherc sich iinmcr mehr dem letzten
Punkte lhrer Vollendung, und Goethe sagt, Stuttgart
llege zwlschen sansten Gebirgen in elnem ernsthaften,
wohlgebauten Tal sehr anmutig da; „untcn sieht cS einer
Landstadt, i'n der Mittc ciner Handclöstadt und obcn eincr
Hos- und wohlhabenden Partikuli'erstadt ähnlich". Damals
hatte Stuttgart 2ZOOO Einwohner; seine Anlage ent-
sprach den natürlichcn Bodenverhältnisfen; man hätte nur
so weitcrbauen müssen, um auö diescm Orte, dcr auS
cüicm liefen Talkessel ringö an den Berglehnen cmpor-
zusteigen begann, eine entzückendc Gartenstadt von ei'nzi'g-
artigem Reiz zu machc». Leider sehlte in Stuttgart
im Bcginn dcö 19. Jahrhunderts ein Mann, dcr, wie
König Ludwig in München, die künftige Entwicklung
voraus sah. Ohne Plan sügte man hier ein O.uarticr,
dort einen Straßenzug an, bedeckte ganze Berge mit
schachbrettartigen Häuserblöcken, die auf ebenem Ge-
lände, wie in Mannheim, scinerzeit ganz am Platze
waren, errichtete oben aus dem Kamme dcr Berge,
wo der Blick meilenwcit inS Land hinauS geht, in ge-
schlossener Bauweise sünfstöckige Häuser, dic sich gegen-
seitig die AuSsicht sperrten; und beute ist Stuttgart
mit scinen ZOO OOO Einwohnern eine wildgewachsene
Großstadt. Erst in den allcrletzten Jahren trat, haupt-
sächlich unter dcr Einwirkung Theodor Fischerö, des
größten Städtebaumeisterö unserer Tage, eine Wand-

lung zum Besseren ein. Leider viel zu spät; denn
die Hänge, die den Stuttgarter Talkessel aus seiner
Jnnenseite einsassen, sind schon zinn größten Teile
bebaut. Das wundervolle Bild von den Höhen hinab
aus die Stadt ließ sich nicht zerstören. Eine Auösicht
aber auö der drückenden Enge der endloscn Stein-
wüsten des 19. Jahrhundertö hinaus in die Weinberge
und Wälder gehört zu den Seltenheiten.

Nur etwas hat das 19. Jahrhundert fast unbcrührt
gelasscn, die eigentliche Jnnenstadt unten aus der Tal-
sohle mit ihrcm durchauö in den Rahmen der schwä-
biscben Rcichöstädte passenden Cbarakter, ihren winkligen
Gäßlein und Plätzen und der breiten, ftolzen Haupt-
stättcrstraße, einer dcr köstlichften Schöpsungcn der
älteren Baukimst. Und noch etwas: die unmittelbar
anstoßenden Quartiere mit ihren vornehmcn Patrizier-
häusern aus dem späten 18. Jahrhundert, Bauten von
einer so ftolzen Einfachheit und Behäbigkeit und so
klaren Verhältnisscn, daß man m Deutschland nicht
lcichtlich etwas Bessereö findet. Erft das beginnende
2O. Jahrhundert hat hier mancherlei zerstört. Vor
allem dem neuen Rathauöbau ift ein beträchtlicher Teil
der malerischen Altftadt zum Opfer gesallen. Dieseö
Gebände hätte sich, zumal durch stärkere Gliederung
der Außenfronten, seiner Umgebung besser anpassen
dürsen. Der Fehler dcr ungcnügenden Rücksichtnahme
aus die Umgebung nun wurde bei dem soeben voll-
endetcn Neubau der rückwärtö an das Rathaus gren-
zcndcn Altstadtbezirke aus das glücklichste vermieden.

IS8
 
Annotationen