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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 8
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Schäfer, Wilhelm: In Hagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0063
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W

In Haqeli.

>>eiin ich de» sogenannten Preßstiinmen manchcr-
lei prwate Zuschriften bcifügc, muß ich ei'ne
Art Legcndenbildung bemerkcn, dic sich um
Karl Ernst Osthauö und sein Folkwang-Museum mit
vieler Pbantasic bemüht. Von seinen Ikeichtümcrn wie
von seinen Plänen werdcn glcich ungcheure Dinge ge-
sabelt und es fehlt nicht an Gläubigen, die in dcr west-
fälischen Stadt Hagen ein zwcites Darmstadt und in
deni Folkwang-Besitzer als Nachfolger deS Hessenfürsten
den zukünftigen Organisator der modernen künstlerischen
Bestrebungcn in Dcutschland vermuten.

Um so erstaunter ist der Fremde, der an dem der-
zeitigen Nolbahnhof zu Hagen ankommcnch vergeblich
eine Droschke sucht und nur
mit Umständen einen Mcn-
schen findet, der ihn zum
. Folkwang-Muscum beschcidcn
kann. Das ist mm zwar
in größeren Städten auch
m'cht anderö — ich entsinnc
mich einer sonderbaren Jrr-
sahrt aus der elektrischcn Bahn
zu Karlsruhe gelegentlich
sciner JubiläiimSausstetlung
l9O2 — aber der erste Ein-
druck von Hagen ist so aus-
gesprochen der einer mittleren
Fabrikstadt, daß man auch
beim „gemeincn Mann"
immcrhin ein Kuriositäts-

Jnteresse annehmcn möchte.

Die zweite Vcrwunderung
stellt sich vor dcm Gebäudc
selber ein; durch eine Nebcn-
straße sieht man eincn rot-
gedeckten Zemcntbau in den
beliebten Formen neudeut-
scher Renaissance. Nur, wer
zusällig weiß, daß scinerzeit
ein naturwissenschaftlicheö
Museum beabsichtigt und

schon im Bau war, alö der

jugendliche Osthauö dcr Lei- '' Miuelhalle

dcnschast sür die moderne

Kunst verficl, findet eincn Schlüssel zu dem sondcr-
baren Kontrast zwische» der äußeren und innercn Er-
scheinung dieses Gebäudeö. Schon die Haustüren

kündigen van de Velde an, dcr üinen seinen crsten
baukünstlerischen Enthusiasmuö bctätigt hat. Der crste
Einblick ist von einer verwirrenden Originalität. Man
tritt direkt in eine Art Kuppclraum, in dic cin schars
farbigeö Oberlicht in eincr kalcidoskopartigcn Aufteilung
herunter aus den bekannte» Brunnen von Minne
leuchtet, an dcm süns Jünglinge mit verschränkten
Armcn in dcm Anblick des dünnen Wasscrstrahls ver-
sunkcn sind. Es ist scltsamerweise fünsmal diesclbe
Gestalt in eincr hcrben fast goti'schcn Empfindung;
aber die Wirkung ist m'cht monoton trotzdem, weil die
Silhouette von jeder Seite gesehen bedeutend ist. Leider

wird der große und scierlichc Eindruck deö Wcrkes
dadurch becinträchtigt, daß es zu dicht gegen die Tür
und inmittcn einer Architektnr fteht, deren Ausdring-
lichkeit wir heute nicht mehr ertragen (Abb. I). Van
dc Velde hatte cö gewiß schwer mit der Auöstattung
eincs Gebäudes, dessen Räume nicht glücklich gebildet
waren; aber er hat die künstlerische Lösung — im Drang
jener Ieit — doch zuviel in die ornamentale Verkleidung
gelegt; und nichtö ist auf die Dauer gefährlicher, als
cine schars geprägte ornamcntale Form. Was unö heute
cntzückt, kann übers Jahr schon pcinigen. Und da wir
unlcrdessen zu einem ruhigeren Raumgcfühl gekommcn
sind, wirkt die van de Veldesche Auöstattung sclber

wie ein Museumsstück.

Das ist, weil sie sich in
cuicm Museum bcfindct, keüi
solcher Mangcl, wie wenn
sie sonft in ei'ncm öffentlichen
Bau zur Schau stünde; und
man geht die Treppc, die
sein stärkstes Stück ist, mit
dem verschlungenen Eisen-
geländer und dem totenkopf-
ähnliche» Band am Saum
der Treppcnftufen, wirklich
schon mit eincr Art von histo-
rischem Jnteresse hinaus, das
sich in dcm eigcntlichen Bil-
dersaal trotzdem wieder zu
einer Art Bcwunderung stei-
gert. Denn man mag daö
schmiedeci'serne Geflccht des
Oberlichtes als unruhig und
drückend imd die Stellung
des MarmorsockclS auf dem
Parkcttboden als unkonstruk-
tiv bei dem Künftler finden,
der das Iweckmäßige und
Konstruktive theoretisch so
glänzend zu verteidigen weiß,
wie van de Velde: in der
ganzen Wirkung ist der Raum
un Folkwang-Museum. doch einer seltenen Ein-

hcit und Ruhe, farbig wie
in der Form; er wird wohl noch lange alö eins der
schönstcn Stücke aus dcr Sturm- und Drangzeü der
modcrncn Raumkunst mit Vergnügcn gesehen werdcn;
er ist wirklich und im guten Sinn ein Museumsstück.

Dem sich Behrens auS einer rcifercn Zeit mit eincm
reifcren Stück an die Seite stellt. Er hat einen
Kuppclsaal zu einem Vortragsraum ausgebildet mit
cincr Wirkung, die bei der Einsachheit der Mittel ver-
blüffend ist: die Sitze vor eine halbkrcissörmige Bank,
das Redncrpult vor die flache Wand deö Krcisdurch-
messerö angcordnet. Jn diesem Saal vcrwcilt man
gcrn eine Vlertclstunde, auch wenn niemand spricht; er
ist der richtigc Platz, um sich den Enthusiasmus des
Mannes zu überlegen, dem Hagcn diese werkwürdigen
Räume mit dem merkwürdigeren Jnhalt verdankt.
 
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