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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 10
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Braun, Felix: Zwei Sonette zu Geschenken
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Schmidt, Hans: Architektonische Reise-Eindrücke in England, 1: das alte London
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0382
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§wei Sonette zu Geschenken.

Plötzlich — schwirrendes Drehn! — Die Luft zerstaubt zu
Jrrlichtern und ptirpurnen Funken.

„Liebste!" — Da ist sie schon auf meinen Arm ge-
sunken. —

Jch halte sie wie fremdes Gut — mit Dienerhand.

II.

Mit einem Märchenbuch.

Ein Marchenbuch — weil wir so Kinder sind...

und wenn wir abends einmal lesen wollen.

Lebst du nicht auch so gern im Wundervollen?

Jch sprech mit Tier und Blume, Baum und Wind.

Wer weiß, wo Leben endet, Traum beginnt?

Wenn einer liebt, ist schon die Welt verschollen.

Doch weil wir sie am Ende finden sollen,

nimm dieses Buch des Traums zum Angebind.

Wir wollen in den Träumen heimisch werden.

Dann bauen Gcister lautlos, unsichtbar,

ins große Leben die geheimen Brücken.

Auf einmal sehn wir, wo wir sind: auf Erden.

Der Spiegel weist uns dann wohl weißes Haar.

Wir aber leben weiter — im Entzücken.

rchitektonische

Reise-Eindrücke in England.

I. Das alte London.

Jn dem merkwürdigen und bedeutenden Schauspiel,
das mir England war, spielte die Architektur eine eigene
Rolle. Die Eindrücke, die von ihr ausgingen, waren mir
neu und fremdartig, ihre Betrachtung regte mich an
und half mir mein Urteil zu klaren und meinen Stand-
punkt zu den architektonischen Fragen unseres eigenen
Landes zu befestigen. Obwohl ich besonders neugierig
war auf die modernen englischen Bauverhaltnisse,
von denen seit einigen Jahren bei uns so viel die Rede
ist, wurde doch meine Aufmerksamkeit zuerst lebhaft
von den Denkmalern einer alteren Zeit beansprucht.

Da ist zunachst London selbst als Bauwerk eine große
riesige Sensation. Jch war mit dem Schiff die Themse
herausgefahren bis zum Hafen der Vorstadt Tilbury.
Der Vorortzug brachte mich an Fabriken und Gas-
anstalten vorbei der Stadt näher, der ich gespannt ent-
gegensah: es waren lang ausgedehnte Arbeiterviertel,
die mich begrüßten. An unzähligen kleinen Backstein-
bauten vorbei, die teils in uniformer Ausbildung ganze
Straßenzüge bildeten, noch mehr aber planlos und will-
kürlich errichtet in ihrer primitivstcn Gestalt, ihrer
Armut und Ödheit, ihrem verwahrlosten, von Ruß und
Schmutz geschwärzten Außern einen unangenehmen, be-
klemmenden Eindruck machten. — Die Häuser wurden
allmahlich größer und höher, nicht schöner; stattliche
Bauwerke, öffentlichen Awecken dienend, dazwischen.
Unterdessen war ich am Fenchurch-Street Bahnhof
angekommen, nahe bei der City. Jch setzte mich in

einen Wagen, um nach meiner Wohnung zu fahren;
der Weg führte durch eine Hauptverkehrsader: Zwischen
hohen schwarzen Häusern eine ziemlich enge Straße,
die, krumm und unregelmäßig geführt, von einem außer-
ordentlich starken Verkehr erfüllt war. Es lärmte um
meine Ohren und ich fühlte mich alsbald mitgerissen
von einem großen mächtigen Strom, der ohne Wider-
stand dahinbrauste, dem ich mich unmittelbar selbst
zugehörig fühlte, in dem mitzuschwimmen aber nicht
unangenehm war: ohne daß ich es wollte und wußte,
lautlos und selbstverständlich war ich zu einem Glied
mehr in dem ungeheuren maschinenähnlichen Organis-
mus der Siebenmillionenstadt geworden. Der Wagen
führte mich weiter. Ein kleiner freier Platz, über den aus
verschiedenen Straßen der Verkehr in ungeheuren Wellen
sich ergoß: es ist der Mittelpunkt der City, der Platz
vor der Bank of England; gegenüber die Börse und das
Mansionhouse, das Haus des Bürgermeisters, in dem
auch der Deutsche Kaiser empfangen wurde. Ruß-
geschwärzte Säulenvorhallen mit Giebeln, keine be-
deutende Architektur, aber doch — und besonders die
ganz fensterlose Bank — von einer gewissen Eigenart.
Und weiter in diesem düsteren Grau. Alsbald zur Rechten
die riesenhaften Postgebäude aus schwarzgewordenem
Muschelkalk, bald links ein Blick auf die St. Pauls-
Kathedrale, deren tiefe Schatten durch die dunstige
Luft beinahe intensiv blau erscheinen. Noch eine ziem-
liche Strecke durch diese lebhafte Straße, dann rechts
ab, und nach ein paar Ecken bog ich in die stille Straße
meiner Wohnung ein, aufs neue überrascht durch ihren
seltsamen Eindruck. Zwei kahle glatte Backsteinwände,
vier Etagen hoch, in die die Fensteröffnungen ganz
schmucklos eingelassen, man möchte sagen, eingeschnitten
sind. Die Häuser, durch den Ruß dunkelviolett geworden,
zeigen kein Dach, kein Zierglied, keinen Pilaster, kaum
ein Gesims, höchstens Balkone mit einfachem Stab-
geländer; das Erdgeschoß bei manchen hell geputzt, die
Haustüre grün. Dies alles überaus nüchtern und öde: ein
schlimmes Gegenbeispiel aus Schultze-Naumburg. Und
doch, seltsam! Die ganze Stimmung der Straße ist nicht
eigentlich unangenehm. Mögen dies die grünen Bäume
bewirken, die die Straße schließen? Jst es die dunstige
Luft, die als Bindemittel die Gegensätze versöhnt?
Jst es das saubere Pflaster? Sind es die hübschen weißen
Fensterrahmen mit den reinlichen weißen Gardinen
dahintcr? Sie lassen auf einigermaßen kultivierte
Jnsassen schließen, aber doch gleich jetzt auf den Zwie-
spalt aufmerksam werden, der besteht zwischen der
sozialen Stellung der Bewohner und ihren merkwürdig
geringen Ansprüchen an die Architektur ihrer Häuser.

Der erste Eindruck, den London macht, ist in der
Tat äußerst eigenartig. Das ungewohnte Aussehen der
Stadt nimmt einen ganz gefangen. Dazu kommen die
anderen Menschen, die anderen Lebensgewohnheiten,
die schwere Luft und das andere Essen, der ungeheure.
Verkehr, die Schwierigkeit, sich in dem einförmigen
Straßengewirr zurecht zu finden und die fremde Sprache:
dies alles zusammen bewirkt, daß man die ersten Tage
hindurch ganz fasziniert ist, wie betäubt und nicht fähig,
sich deutlich seiner Eindrücke bewußt zu werden, ge-
schweige sich Rechenschast über sie zu geben.

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