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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 2
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Halm, August Otto: Vom Episodischen in Wagners Musikdrama
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Schäfer, Wilhelm: Alfred Lichtwark
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0086
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Vom Cpisodischen in Wagners Musikdrama.

Schiller häufige Herausspringen jener Sprüche, die
sich sozusagen zu Iitaten anbieten. Denn abgesehen
von seiner bewußt gehandhabten Kunst, die Linie wieder
ins Geschehen zurückzuführen: Wagner läßt seine Spruch-
dichtung zu sehr aus einem Lrsscenäo der dramatischen
Spannung herauswachsen, als daß sie dem Bannkreis
des Dramas entspränge, den sie aber gerade deshalb
um so eher erweitern kann.

Jch muß nun wohl zugeben, daß ich Wesen und
Wert solches Episodischen in irgendwelcher Aufführung
entdeckt oder, nachdem ich ihn schon erkannt, auch nur
nachgefühlt zu haben mich nicht erinnere. Nach meiner
freilich nicht großen Ersahrung werden diese Dinge
in das heute übliche schein-dramatische Spiel mit hinein-
gemengt, werden in der üblichen Auflehnung des
„Spiels" gegen die Musik hingeschlachtet; einer
der Gründe, die mich zu behaupten veranlassen, daß
man Wagners Musikdramen zwar durch deren Klavier-
auszüge allein, nicht aber durch Aufführungen allein
(und wären es eine Menge!) kennen lernen kann.

Ob das nur in gegenwärtiger Unkultur oder über-
dies in Schwächen der Werke selbst begründet liegt, ob
es also für heute oder ob es für immer gilt, darf hier
unerörtert bleiben. A. Halm.

lfred Lichtwark

Seine Freunde wußten es schon seit dem Sommer,
daß auf dieses reiche tätige Leben die Hand des Todes
gelegt war; nun ist es geschehen: bevor er den von ihm
bestimmten Erweiterungsbau an der Hamburger Kunst-
halle vollenden und mit der neuen Einrichtung dieser
einzigen Sammlung sein Lebenswerk krönen konnte,
ist Alfred Lichtwark gestorben.

Was er dem deutschen Volk war, das läßt sich am
schönsten vielleicht durch einen Vergleich mit Pestalozzi
ausdrücken; wie der in „Lienhardt und Gertrud" die
Erneuerung eines Volkswesens aus der Familie darstellte,
so ist die Wirkung Lichtwarks auf die deutsche Kultur allein
durch sein Vorbild geschehen, das er in Hamburg gab.
Seine Schriften haben sich mit einem stolzen Eigensinn
auf die heimatliche Kunstpflege beschränkt; aber gerade
das machte sie so wirksam. Sie waren eigentlich nie um
ihrer selbst willen da, sie kamen ins deutsche Bewußtsein
als Arbeitsberichte eines Mannes, der keine Aeit hatte,
Heilslehren zu verkündigen und der mit der Bildung
seiner Hamburger Kunstgemeinde anscheinend viel zu
beschäftigt war, um für die ganze deutsche Kultur ein
Apostel zu sein. Trotzdem war er das im Gebiet der
bildenden Kunst wie kein anderer neben ihm; und wie
der Pädagoge von Burgdorf und Jverdon allmählich
eine Umwalzung der moralischen Erziehung in Europa
bewirkte, so wurde das, was Lichtwark in Hamburg
trieb, zur Grundlage der ästhetischen Bildung im ganzen
Reich.

Es ist fraglich, ob das der Jugend von heute so im
Bewußtsein steht wie uns, die wir seine Tätigkeit als
junge Menschen erlebten; umsomehr ist es unsereDankes-
pflicht, das Gedächtnis daran lebendig zu halten, wie so
ziemlich alles, was heute die Kunstpflege in Deutsch-

land zu einer wirklichen Volkssache gemacht hat, auf
sein Beispiel zurückgeht. Vor Lichtwark war der Museums-
leiter ein Sammler im Staatsauftrag — Bode ist hierfür
das hervorragende Gegenbeispiel — der durch wissen-
schaftliche Studien seine besonderen Neigungen bekundete,
sonst aber in der Abrundung und Steigerung seiner Samm-
lung aufging. Lichtwark war durch seinen Bildungsgang
von vornherein aufs Erzieherische gestellt; auch ge-
statteten ihm die Verhaltnisse in seiner Heimatstadt
Hamburg nicht, sich so zu beschränken: er mußte sich den
Lebensboden für seine Sammlung erst schaffen, indem er
-— der keine großen Staatsgelder und fürstliche Sammler-
tradition hinter sich hatte — den Allgemeinsinn für
künstlerische Dinge, auf den er allein gestellt war, erst
weckte und bildete. Dabei geschah es unversehens, daß
diese Erweckung das Wichtigere wurde; denn dadurch
trat der Aweck eines Museums, nicht nur eine Stätte
der Sammlung, sondern auch der Erziehung zu sein,
von selber in den Vordergrund.

Wie Lichtwark das im einzelnen machte, wie er
sozusagen mit einer Entdeckung der alten und neuen
Hamburger Kunst begann (allein dadurch wichtige Bei-
trägein dieWissenschaft von derdeutschen Kunst bringend),
wie er den Kreis erweiterte und in der Deutschen Jahr-
hundertausstellung eine Revision der neueren deutschen
Kunstgeschichte erlebte, wie er dabei von Anfang in
lebendigster Beziehung zur modernen Kunst stand:
all das geschah ganz im Sinn einer Pestalozzischen
Musteranstalt, sodaß es schließlich keine wichtige Frage der
Kunst- und Museumspflege mehr gab, in der nicht
sein Rat eingeholt und sein Vorbild nachgeahmt wurde.
So ist er der eigentliche Lehrer der jungen Museums-
leiter in Deutschland gewvrden, und wenn heute für seine
Nachfolge unter den Besten von ihnen Ausschau gehalten
und die Wahl hierfür vom ganzen gebildeten Deutschland
als eine besondere Auszeichnung betrachtet wird, so
liegt darin freilich eine Krönung seiner Tätigkeit, die
über die Vollendung seiner lokalen Schöpfung weit
hinaus geht.

Diese war ihm versagt, aber da er den Erweiterungs-
bau noch bestimmen konnte, hat er auch in der wichtigen
Hausfrage einer Kunstsammlung noch sein Wort sprechen
können. Es ist bekannt, wieviel auch hierin noch zu tun
war, wieviel Sammlungsgebäude aus der letzten Aeit
in Deutschland stehen, die als architektonische Leistungen
anerkennenswert sein mögen, die aber museumstechnisch
ahnungslos aufgebaut sind und manchmal etwas Ahn-
liches darstellen, als wenn ein Palazzo zur Fabrik um-
gebaut wäre. Lichtwark hat die fachmännischen Er-
fahrungen eines Vierteljahrhunderts daran gcsetzt, auch
diese Frage im Sinn einer sachlichen Lösung zu er-
ledigen; die Pläne dazu sind ein kostbarer Teil seines
Vermächtnisses. Wenn die Neueinrichtung vollendet
sein wird und die Schätze seiner eigentlichen Sammler-
tatigkeit so vor den Augen seiner Mitbürger stehen, wie
er es sich dachte, wird es eine erhebende Trauerfeier
sein für den Mann, der wie alle Schöpfernaturen den
Schmerz um seinen Verlust ausgleicht durch seine Werke
und seine Wirkung, die als ein Bestandteil des ganzen
Volkskörpers nicht mehr abzulösen und so über Gene-
rationen lebendig sind. W. Schafer,

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