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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 2
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ret Eachrn". Von Robert Walser.

Der Traum.

Ich habe einen traurigen, freudlosen Traum gehabt in der
vergangcnen Nacht. Wohl sechsinal crwachte ich davon, aber
immer wieder, so, als sollte ich stets von neuem geprüft werden,
fiel ich hinunter in die Gewalt der düsteren Einbildungen, in die
Macht des fieberartigen Traumes. Mir träumte, daß ich in eine
Art von Anstalt und Jnstitut hineingekommen sei, in einen Sonder-
bund, in eine festverriegelte, unnatürliche Absonderung, welche
von höchst kalten und höchst eigentümlichen Verordnungen regiert
wurde. Elend war mir zumut und eiskalter Schauder rieselte
mir durch die entsetzte, angsterfüllte Seele, die sich vergeblich sehnte,
ein Verständnis zu finden. Alles war mir unverständlich, doch das
Grausamste war, daß sie nur übcr die Ratlosigkeit und Hilflosigkeit
lächelten, in der sie mich sahen. Nach allen Seiten schaute ich mich
mit flehenden Augen um, damit ich ein freundliches Auge sähe,
doch ich sah nur den offenen mitleidlosen Hohn mich mit seinen
Blicken messen. Alle, die da waren, musterten mich auf so sonder-
bare Weise, auf so rätselhafte Weise. Meine Angst vor der ringsum
herrschenden Ordnung, deren Wesen mich mit Grauen erfüllte,
wurde von Minute zu Minute größer, und mit ihr vergrößerte
sich die Unfähigkeit, die ich offenbarte, mich in die seltsamen, ab-
sonderlichen Verhältnisse zu schicken. Deutlich erinnere ich mich,
wie ich bald zu diesem, bald zu jenem Beamten in kummervoller,
bittender Tonart sagte, daß ich „alles das", so drückte ich mich in
der höchsten Herzbeklemmung aus, ja ganz und gar nicht verstehe,
und daß man mich doch lieber hinaus in die Welt ziehen lassen
wolle, damit ich meinen Mut und mcinen angeborenen Geist
wiederfände. Doch statt mir zu antworten, zuckten sie nur die
Achseln, liefen hin und her, zeigten sich sehr in Anspruch genommen,
gaben mir zu verstehen, daß sie keine Ieit hätten, sich näher mit
mir und mit meinem Unglück zu beschäftigen, und ließen mich in
all der unaussprechlichen, fürchterlichen Bestürzung stehen. Augen-
scheinlich paßte, paßte ich gar nicht zu ihnen. Warum denn nun war
ich zu ihnen hineingekommen in diese enge und kalte Umgrenzung?
Durch viele Zimnier und Nebenziminer tastete ich mich; ich schwankte
hin und her wie ein Derlorener. Mir war, als sei ich im Begriff,
in dem Meer der Befremdung zu ertrinken. Freundschaft, Liebe
und Wärme waren verwandelt in Haß, Verrat und Tücke, und das
Mitempfinden schien gestorben scit tausend Iahren oder schien in
unendliche Entfernungen gestoßen. Eine Klage wagte ich nicht
zu äußern. Ich hatte zu keinem, zu keinem dieser unverständlichen
Menschen ein Vertrauen. Ieder hatte seine strenge, enge, stumpfe,
wohlabgemessene Beschäftigung, und darüber hinaus stierte er
wie in eine grenzenlose Leere. Ohne Erbarmen mit sich selber
kannten sie auch kein Crbarmen mit einem andern. Tot, wie sie
waren, sehten sie nur Tote voraus. Endlich erwachte ich aus all
dem Hoffnungslosen. O wie freute ich mich, daß es nur ein
Traum war.

Der Iagdhund.

Auf meinen kleinen, ich muß und darf sagen, winzigkleinen
Wanderungen sehe ich allerlei Hunde, und ich habe die drolligen
vierfüßigen Burschen schon ordentlich liebgewonnen. Da ist vor-
nehmlich der Karrenhund, den die Mehger und Milchhändler an
ihre Handwagen spannen. Cr ist ein prächtiger, pflichtbewußter
Kerl, und ich achte ihn ganz außerordentlich. Längst schon hatte
ich immer im Sinn, einmal ein Wort über ihn zu sagen. Er ver-
dient Anerkennung in jeder Hinsicht, und wer sich die Mühe nimmt,
ihn aufmerksam zu beobachten, wie er so ganz und gar der Eifer
und die Treue selber ist, wie er seinen Zweck und seine Bestimmung
so schön versteht und aufgeht in der Aufgabe, die er zu erledigen
hat, der wird nicht anders können als ihn loben. Freudig, ja oft
sogar feurig und stürmisch zieht er den Wagen vorwärts, und wenn
er so recht arbeiten, ziehen und seine Kraft anstrengen kann, läßt
er ein kräftiges fröhliches Gebell vernehmen, daß man deutlich
hört und sieht, wie ihm der Dienst Vergnügen macht. Heute früh
auf meinem Rundgang sah ich einen Hund sich mit wahrer Wonne
im frischen Schnee hin- und herwälzen, was eincn Anblick gewährte,
der sich meinem Kopfe einprägte. Reizend spielen oft große starke
Hunde mit ganz kleinen Kindern, und überaus sehenswert ist es,
wie der kraftvolle Kerl sich da dem zarten Kinde so hübsch, so ge-
fällig anpaßt und auf die kleinste und feinste Bewegung sorgfältig
acht gibt, die das Kind beliebt auszuführen. An Aufmerksamkeit ist

der Hund ein König, und sein treues ehrliches Verständnis leuchtet
ihm überraschend schön aus den Augen. In unserer Stadt gibt es
viele Hunde, und daß sie gut gehalten und gut behandelt werden,
sieht man ihnen an. Beinahe schrecklich in ihrem wütenden Eifer
sind Iagdhunde. Ich saß einmal vergangenen Sommer im stillen
tiefgrünen Wald auf einem Stein. Ringsum wundersames, zartes,
dichterisches Schweigen. Mit einmal rast die klägliche, jämmer-
liche Iagd daher. Ein armer Hase springt durch die Waldesstille,
und hinter ihm her, mit zornigem Geheul, welches die Stille jäh
unterbricht, rennt der Hund mit ungestümen Sätzen, der glühende,
eingefleischte Verfolger, entsetzlich hingegeben seiner grausamen
Aufgabe. Er kriegte aber den Hasen nicht, denn später sprang er
wieder an mir vorbei, jetzt, so, wie wenn er verwundet worden
wäre, Iammerlaute ausstoßcnd. Er hatte sein Ziel nicht erreicht,
das leidenschaftlich ins Auge gefaßte Ziel, und gab sich jetzt dem
Schmerze hin. Cr war ganz Trauer, ganz tödliche Cnttäuschung.

Der Vater.

Wenn ich durch das feine, elegante, französische Neuquartier
spaziere, dessen Häuser einen zierlichen Geschmack verraten, gelange
ich, dicht neben der Hauptpost vorbei, und manch ein altes, edles,
gartenumsäumtes Herrenhaus streifend, welches in seinem Parke
liegt, wie das stille, köstliche Kleinod in seiner Umfassung, langsam
in die trauliche, träumerische Altstadt, die mich jedesmal, wenn
ich sie sehe, wie ein reizendes und höchst nachdenkliches Denkmal
aus der Vergangenheit anmutet. Still und spitz und tiefsinnig,
freundlich lächelnden Greiseserscheinungen ähnlich, ragen dort
die alten Türme in die Luft empor, und wenn ich, den ehemaligen
Festungsgraben entlang, noch ein paar Schritte weitergehe, so
stehe ich vor einem seltsamen, niedrigen, großdachigen Haus, zu
welchem, wie ich sehe, ein kleiner, hübscher, tiefgelegener Garten
gehört. In dem Hause wohnen eine alte Frau und zwei alte Männer,
und einer der beiden behaglichen Alten ist mein Vater, den ich
von Zeit zu Zeit, etwa nach dem Abendessen, besuche, um mit
ihm zu plaudern, der gerne ein Gespräch über die Stadt und ihre
Bewohner führt. Hier also, inmitten alter, phantastisch hoher
Dächer und wunderbarer Türme, im Bereiche dessen, was die
Zeiten hartnäckig und standhaft überdauert hat, wohnt er, der
alte Mann mit seinen schneeweißen Haaren, der noch jeden Morgen
beizeiten aufsteht und seine kleinen idyllischen Geschäfte immer
noch besorgt mit fast jugendlichem Eifer. Alte Leute und alter-
tümliche Wohnungen passen vortrefflich zusammen, und es stimmt
mich fröhlich, zu wissen, daß er so gut haust und wohnt, der alte
Mann, der mir so nahe steht, dem ich so nahe stehe. Alles ist dort
alt, die Gärten und ihre hohen prächtigen Tannen, das steinerne
Gewölbe und der liebe stolze Berg mit seinem harten treuen
Felsen. Gegenwärtig liegt Schnee auf den Dächern, Türmen und
Tannen, und auch in meines alten Vaters Garten liegt er, wo im
süßen, warmen, goldenen Sommer die heiße Sonne ihre Gewalt
entfaltete und die sanften Flammen, die Rosen, blühten. Gerade
sehr viel gehe ich nicht zum alten Manne. Cs soll meinem Gefühl
nach eine zarte Scheu sein zwischen Sohn und Vater, und dann
habe ich am ersten Tage schon gemerkt, daß er der erklärte treue
Freund gewisser strikter wunderlicher Gewohnheiten ist, und in
seinen lieben, guten, eingesessenen Gewohnheiten mag, soll und will
ich ihn nicht stören. Süße, zarte Rosen im kleinen grünen Garten
und schneeiges Weiß auf dem alten Kopfe. Welt, wie bist du
wunderbar, wie bist du so leicht und doch so schwer verständlich.
Ewiges reizendes Geheimnis! Fast noch lieber als zu ihm hinein-
zutreten und ihn zu sehen ist mir das bloße Draußenstehenbleiben
vor seinem schönen bescheidenen Haus und dann so das Denken-
dürfen, daß er nun ruhig und behaglich drinnen sei, in der kleinen
Küche beim stillen friedlichen Abendbrot oder im lieblichen, läng-
lichen Wohn- und Schreibzimmer, seine Zeitung lesend. Das tut
mir wohl bis hinein in die Seele. Einmal stand ich auch so da und
schaute zu des Vaters rötlichem Fenster hinauf, sehend und wissend,
daß er wohlaufgehoben sei. Da war gerade der Mond am Himmel,
und wundervoll war's, wie er so mild, zart und freundlich, sanft und
groß und gut auf die schlafende dunkle Welt hinabblickte.

(^»ortinbras

„oder der Kampf des 19. Jahrhunderts mit dem Geiste der
Romantik" betitelt Iulius Bab eine Schrift, die soeben im Verlag
von Georg Bondi in Berlin erschienen ist. Angeblich sind es sechs
Reden und ich möchte glauben, daß sie wirklich gesprochen wurden;
 
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