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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 7
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Halm, August Otto: Ein Vergleich
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0281

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ästhetische Gesinnung verlangt. Jch kenne Stücke ge-
priesener Komponisten der Neuzeit (und unsere Größen
preist man ja gerade insonderheit als Jnstrumentatoren),
die, waren sie Gemälde, als schreiende Kitsche oder als
Reklameplakate einer Farbenfabrik gewertet würden.

Freilich gibt es auch dort noch aufrichtige Liebhaber
des Kitschigen; aber diese haben wenig zu sagen. Auf
dem Gebiet der Musik jedoch wird dergleichen noch un-
geniert öffentlich bejubelt, und, was gravierender, durch
die öffentlichen Lobredner der Errungenschaften der
Neuzeit dem öffentlichen Beifall empfohlen, den Un-
beratenen mundgerecht gemacht.

Näher zusehend aber erkennen wir nicht nur den
verhältnismäßigen Tiefstand des Geschmacks, sondern
auch als Ursache dessen eine zurückgebliebene oder degene-
rierte künstlerische Gesinnung.

Goyas gerupfte Pute, Rembrandts geschlachteter
Ochse sind gute Malereien; die häßlichen Gegenstände
boten malerische Werte, um derentwillen das Bild ge-
malt wurde und uns anzuziehen vermag. Ganz anderes
wagt man der Musik zu bieten. Jhr sollen häßliche Er-
scheinungsformen zugemutet werden, wenn der Gegen-
stand es verlangt, als ob das Schildern die Hauptsache
wäre und man befehlen dürfte: pm§srs nsoesse sst,
vivsrs ncm nssssss sst.

Gesetze der Malerei siegen in jenem Fall über per-
sönliche Abneigung; der malerische Eindruck macht das
Gegenständliche unwesentlich. Hier aber siegt das frei
gewählte, also willkürliche Gegenständliche über musika-
lische Bedürfnisse, wird Höheres durch das Geringe ver-
gewaltigt! Hier Häßlichkeit, Brutalität der Kunst auf-
gezwungen, durch den Stoff gerechtfertigt, dort Häßlich-
keit und Brutalität des Stoffs um künstlerischer Dinge
willen angenommen, durch sie überwunden. Dort also
Kühnheit für, hier Auflehnung und Unart gegen die
Kunst.

Daß man auch letzteres Kühnheit nennt, zeigt uns die
Musikvergessenheit derjenigen Musikkritiker, welche den
mit Unrecht Führenden Gefolgschaft leisten. Auch sie
scheint es in ihrer Unsachlichkeit keineswegs zu beirren,
wenn ihre Kollegen von der Mal-Ästhetik dem Ruf: „los
vom Gegenstand, von der Anekdote!" mehr oder weniger
freiwillig, mit mehr oder weniger Geschick, mit Freude
und Mut oder mit Seufzer und Mühsal, aber doch so
ziemlich einhellig gefolgt sind: wozu immerhin einiges
von Entschluß zur Abstraktion gehört! Denn der Maler
malt nun einmal Gegenstände, und bisher wenigstens
konnte man sich ungegenständliche Malerei überhaupt
nicht denken — während unprogrammatische Musik zum
mindesten längst schon eristiert, ja hohe Qualitäten aus-
weist! Wie viel mehr Glauben also fand oder gewann
sich die Malerei, denn die Musik, da doch das für sie

Ein Vergleich.

Erreichte einen in einer positiven Tatsache begründeten
natürlichen Widerstand zu brechen hatte!

Aber erklärt sich damit nicht überhaupt alles haupt-
sächlich Unterscheidende in der Haltung den beiden
Künsten gegenüber? Wer an lebendigen Geist glaubt:
wird er es mit Begriffen wie „Fortschritt", „Entwicklung"
sich so bequem machen, wird er sich vollends so die
Erkenntnis verbauen, wie es in der Musikästhetik
geschieht, wo der Fortschritt so wenig als problema-
tisch, so als beinahe selbstverständlich behandelt wird,
daß das Bild der fortschreitenden Kunst oder Kunst-
übung ungefähr dem Vorwärtsgehen einer Lavamasse
ähnelt?

Ferner: in Kreisen der Maler und sogar der Ästhe-
tiker der Malerei ist man den Namen gegenüber freier,
ja es ist unter den ersteren häufig sogar eine veritable
Gleichgültigkeit gegen Namen anzutreffen. Die Un-
gewißheit der Herkunft zweifellos bedeutender Bilder
hilft da mit; überhaupt aber wird die Ausmerksamkeit
mehr auf das Technische gerichtet; man liest weniger
vom Persönlichen als in Schriften über Musik. Dafür
hält man mehr aufSchulen, versteht besser das Werden
und Sichausbauen einer Tradition, das Entstehen ge-
schlossener Richtungen. Ja, man hat mehr Sinn für
Kultur, indem man Möglichkeiten des Lernens, Fort-
setzens, Erfüllens gelten läßt.

Augleich taugt die ruhige Nüchternheit, die Folge
sowohl dieser geistigeren Verfassung als auch scheinbar
konventioneller Habitus in der Malerwelt, ziemlich gut
dazu, eine gewisse Freiheit vom Awang einer Mode zu
bewahren, oder das nötige Maß davon bald wieder-
zufinden. Ein Maler, der heute deutlich an Giotto an-
knüpft, wird zunächst deshalb noch nicht als rückschrittlich
gesinnt angesehen, noch wird, was er von Eigenem dazu
gibt, deshalb übersehen. Ein Musiker aber, der heute
als Bachs mehr als irgendeines anderen MeisterS
Schüler erscheint, muß gewärtigen, daß man ihm reak-
tionäres Wollen, Antikisieren zuschreibt, und vor lauter
Erstaunen über den vermeintlich großen historischen
Sprung nach rückwärts, ihn als Zurückgehenden, als
Verleugner des seitherigen Fortschritts auch dann be-
trachtet, wenn er der Gegenwart ins Auge sieht und
sich der Iukunft zuwendet.

Der Malerei gegenüber gebraucht man mehr die
Augen, weniger den Kalender und die Geschichtstabellen.
Hier kann das Geschichtliche den unheilvollen Awang
nicht so ausüben wie bei uns Musikern, die wir von der
Historie zwar vieles noch nicht, aber doch schon mehr
wissen, als wir ertragen und verwerten können, so lang
wir von der Musik selbst noch so wenig verstehen.

Was uns als Nächstes not täte, ist der antihistorische
Sinn. A. Halm.

lte und neue lyrische PorträtS.

Über Weinsberg stchen die Ruinen der Burg Weibertreu,
um deren Crhaltung Iustinus Kerner und später sein Sohn Theobald
sich verdient gernacht haben. Die Kerners pflegtcn die zahlreichen
Gäste ihres Hauses dorthin zu führen, und an den Mauern eines
altcn Turmes sind die Namen aller Besucher eingemeißelt. Lauter
Tote: die Ehrenhalle einer hingegangenen Generation, Namen, die
zueinander gehörcn, und deren Lebenshaltung solch ein steinernes
Stammbuch gcmäß war. Uns heute erscheint der Gedanke ein

wenig poetisch mit Gänsefüßchen: romantisch im populären
Sinn. Der einzige Lebende unter den Eingemeißelten ist Heinrich
Werordt. Und ergehört rechtwohlin diesen ttmkreis;eristsicherlich
ein Verspäteter in dieser Zeit. Sein neustes Buch: „Deutsche
gluhmesschilder und Ehrentafeln" (Heidelberg, Karl Winters
Universitätsbuchhandlung 1914) führt den Titel „Widmungcn
und Weihungen"; schon dies ist ein Nachklang der schlechten alten
Zeit, und getrost feiert er neben Luther, Dürer, Bach, Goethe,
Schiller, Schwind, Beethoven, GLrres, Fontane, Hugo Wolf auch:
Kinkel, Bandel, Bodenstedt, „von Schenkendorf Herr Max" (so

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