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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Röttger, Karl: Maria: ein Zyklus
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Bab, Julius: Von Gerhart und von Carl Hauptmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0193

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Von Gerhart u»d von Carl Hauptmann.

Es lächelte der Tag und neigte sich ....
und da geschah die zweite Wandlung:

Er schloß das Auge, lächelte und schwand ....
hin wie ein Traum — und war nicht mehr. Wie leise
Stimme nur

hörte ihr Ohr: „Jch grüße dich — leb wohl bis hin
zum letzten Lebewohl .... Des warten wir." Maria
stand

und sah — und sah — und sah ihn nicht. Nur Duft und
Rosenrot

war noch am Himmel und hoch überm Hügel,
da sie ihn sah .... Ein großes Abendrot,
als wäre er verblutet in die Himmel ....

9.

Wenn Maria sitzt und spinnt
(geht das Leben um sie mild und fried —);
wenn Maria nach den Bergen sieht,
die schon violett im Abend sind:

geht ein schmales Lächeln von ihr aus,
von den welken schönen Lippen. — Und
scheint hin (wie ein Licht aus dunkelm Haus):
Wartend Blühen ihr vom stummen Mund.

Und sie wartet, daß das Größte ihr,
was die Stimme weise ihr gesagt,
daß das Größte und das Wehste ihr
nicht vorübergehe in der Nacht.

Und sie fühlt: Dies Lächeln bleibt —

bis die Tage der Vollendung komnien,

bis die dunkle Hand das letzte Schicksal schreibt

in die Seele aller Suchenden und suchend Frommen.

on Gerhart und von

Carl Hauptmann.

Durch Erfolge und Mißerfolge, durch Kunstwerke
und peinliche Reklameaffären, durch Lobgesänge und
Schmähungen — der Name Gerhart Hauptmann
hält sich im Vordergrund von Deutschlands dichterischem
Jnteresse. Jm Hintergrund aber umsteht seit langem
eine kleine Schar geheimnisvoll murmelnder Ver-
schwörer ein verschleiertes Bild, hinter dem der wahre
Dichterkönig unsererTage verborgen sein soll. Hauptmann
hieße er auch, aber Carl Hauptmann, Gerharts
älterer Bruder. Und der ganze geheimnisvolle Reiz
eines Bruderzwistes um Königskronen schimmert uni
diesen düster gemurmelten Anspruch. — Carl Hauptmann
hat seit langen Jahren einen großen Haufen Bücher:
Episches, Dramatisches, Philosophisches herausgegeben,
und wer in diese Publikationen blickte, aus denen ein
leidenschastlicher, pathetischer Wille zur Weltdeutung
in recht wirren Aeichen sprach, der glaubte freilich zu
erkennen, was ihm die Gemeinde gesanimelt hatte.
Seine Verehrer waren offenbar aus jener zahlreichen
Klasse der dilettantischen Gemüter, die es weder im
Bereich des Denkens zu begrifflicher Reinheit, noch im
Bereich der Kunst zur reinen Form bringen, die aber ihr

ungefähres Gefühl für die Werte in beiderlei Reichen
an Werken befriedigen, die von der Kunst das nur Un-
gefähre der Begriffe nehmen, ohne sich dafür durch die
Präzision der sinnlichen Gestalt zu rechtfertigen. Viel-
mehr weichen sie vor dem sinnlichen Anspruch wiederum
in das Philosophenrecht zu blassen Mlgemeinvorstel-
lungen aus. Von dieser Art schienen die Carl Haupt-
mannschen Dinge dem Unbefangenen, der sie zuweilen
ansah; es wurde nur von sehr großen Dingen gesprochen,
aber die Sprache war nicht sehr groß. — Jndessen
wirken solche Produkte ja stets nur auf einen kleinen Kreis
sehr empfindsamer und sehr bildungsbeflissener, aber
nicht sehr lebenskräftiger und nicht sehr intelligenter
Ieitgenossen. Wir kennen solche von irgendeinem
kleinen Kreise angebeteter Priester des philosophisch-
artistischen Awischenreiches ja noch eine ganze Zahl, und
je nachdem ihre eigentliche Bedeutung noch geringer ist
als die Carl Hauptmanns, verengen sich diese Kreise
bis zu einer Wirtshausrunde und schließlich bis zu jenem
rührenden, tragikomischen Einzelverhältnis, das Jbscn
zwischen John Gabriel Borkmann und Wilhelm Voll-
dal, dem dichtenden Schreiber, dargestellt hat. Nach
oben reicht zu einem wirklich volksmäßigen Erfolg aber
die Kraft dieser priesterlichen Dilettanten nie, weil sie
weder die Genialität für einen echten Erfolg, noch die
unlautere Geschicklichkeit für eine Sensation haben.
Deshalb behalten die Verehrer dieser Halbkünstler immer
das beste Argument in der Hand: den bekannten Fehl-
schluß, daß, weil Genies verkannt werden, der Ver-
kannte ein Genie sein muß. Und vor allem ist im Dun-
keln gut munkeln. Da nur ganz Wenige der zum Urteil
Berufenen sich die Mühe nehmen, diese Produkte kennen
zu lernen, so erfahren die Lobredner auch keine ent-
scheidende Opposition.

Den Propheten von Carl Hauptmanns heimlichen
Königstum aber ist unlängst das Schlimmste widerfahren,
was den Trägern einer Geheimlehre widerfahren kann:
sie haben gesiegt. Jhr Meister ist weithin sichtbar in die
Öffentlichkeit getreten, zwei seiner Werke sind diesen
Winter an mehreren großen deutschen Bühnen gespielt
worden, jedermann ist nun aufgerufen, sich selbst ein
Urteil von ihm zu bilden und das gemeine Rampen-
licht hat den heiligen Dämmer zerstört. Was wir da
nun zu sehen bekommen, das ist keineswegs ein un-
liebenswürdiger und auch keineswegs ein unbegabter
Mann. Schon die Tatsache, daß er nach so vielen Jahren
endlich in breiterem Maße die lebendige Bühne erobert
hat, spricht dafür, daß seine neuen Produkte minder
ideologisch, mehr im künstlerischen Sinne konzentriert
und geschliffen sind. Jndessen, vom Wesen eines heim-
lichen Kaisers, oder einem neuen, mit eigenen Kräften
zu eigenen Aielen weisenden Genius, verrät diese dra-
matische Produktion nun auch ganz und gar nichts.

Das eine, „Die lange Jule" (gespielt in Hamburg
und Wien, Buch bei Kurt Wolff in Leipzig), ist ein Bauern-
stück im Stil von Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd" oder
„Fuhrmann Henschel". Aber weder was die Reinheit
des Grundrisses, noch was die Echtheit der verwendeten
einzelnen Bausteine angeht, kann von einer Ebenbürtig-
keit die Rede sein. — Die lange Jule ist nicht eine Ge-
hetzte, sondern die Hetzende, der Jäger nicht das Wild,
wie die Rose oder der Fuhrmann; sie ist von jener be-
 
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