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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 7
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Dünwald, Willi: Frank Wedekind: (zu seinem fünfzigsten Geburtstage)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0269

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rank Wedekind.

(Zu seinem fünfzigsten Geburtstage.)

Jn einem neuen Plutarch werden künftige Ge-
schlechter von einem Manne lesen, der, Frank Wedekind
geheißen, 1864 in Hannover einem Vater geboren
rvorden, dessen Blut, obgleich ostfriesischen Beamten
abgestammt, unruhig geströmt und demzufolge er ein
Unsteter gewesen und als solcher viel umhergekommen
in der Welt: Aehn Jahre beim türkischen Sultan ge-
arztet, 1848 im Frankfurter Parlament Sitz und Stimme
gehabt, und sodann nicht übel befunden, nach St. Fran-
zisko auszuwandern, wo er, 46 jährig, eine halb so junge
Schauspielerin sich zur Ehe genommen, deren Vater
als ungarischer Mausefallenhändler sein tätiges Leben
begonnen, als politischer Gefangener auf der Festung
Asberg die Phosphorstreichhölzer erfunden und im
Jrrenhaus als Besitzer einer chemischen Fabrik gestorben
war. Und weil künftige Geschlechter das Vorleben eines
Menschen nicht nur bis ins dritte und vierte Geschlecht,
sondern bis zum Mythus zurück begreifen, achten, ehren
und demzufolge keinen für sein Tun und Lassen ver-
antwortlich erachten werden, wird ihnen nichts so selbst-
verständlich sein wie die Tatsache: daß ein Kind, solcher
Ehe entsprossen, ein höchst merkwürdiger Bürger dieser
Erde sein mußte; und es mag sie höchlichst vergnügen,
in ihrem Plutarch lesen und darüber nachdenken zu
können, wie diese Blutmischung den Zeitgenossen eines
zwielichtigen, teils aufgeklärten und teils noch mittel-
alterlich-abergläubigen Jahrhunderts zu schasfen gemacht
hatte.

Sie, die Bürger des Jahrhunderts reiner Mensch-
lichkeit, werden es verstehen, daß dieser Frank Wedekind,
nachdem er unter der Verbildung damaliger Schulen
groß geworden, die Welt mit allem, was darauf fleucht
und kreucht, auch den, der diese Welt und ein paar
Dutzend andere noch im Spiel am Finger laufen läßt,
hatte verhöhnen müssen, weil er, von Vater, Mutter und
Mutters Vater her romantisch durchblutet, mehr von
dieser Welt hatte verlangen und erhoffen müssen, als diese
Welt damals zu geben imstande gewesen. Gegebenes
nicht willig hinnehmen könnend, war er, sich sehnend
über das Bestehende hinaus, im grünen Zirkuswagen
seinen Hoffnungen ein halb Jahr lang entgegengefahren,
hatte die Erfüllungen sodann in den Mistbeeten des
Jdealismus, den Pariser Bohömienquartieren vergeblich
gesucht und mit leeren Händen im Münchener Bohömien-
caft „Simplizissimus" gelandet, allwo er als nächtlicher
Bänkelsänger Lieder zur Laute gesungen, die nur darum
so zynisch und unverblümt zotig geklungen, weil ihm
Schmerz in der Brust gesessen ob der erfahrenen Ent-
täuschung. Wie Luzifer oder sonst ein aus Glanz und
aus Licht gestürzter Engel war er fortab danieder ge-
legen und hatte die Welt verhöhnt, wie nur ein ge-
stürzter Engel voll der Sehnsucht nach Licht, oder ein
enttäuschter Romantiker, voll des Verlangens nach einer
besseren Welt höhnen kann.

Und wenn er auch dabei das Bild der Welt ein wenig
tat verzerren, besseren Verständnisses halber ein wenig
übertrieb, war doch die Wahrheit auch um keinen Deut

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zu kurz gekommen. Es blieb doch ewig und drei Tage
wahr, daß diese Welt und dieser Welt Aktionen nicht
minder tragisch als auch komisch sind, und daß, wer
Ohren hat, scharf hinzuhören, sogar im menschlichen
Geschluchz die Narrenkappe klingeln hört: wenn etwa
Seine Majestät der Durchschnitt den Hochgearteten als
Dummen August wertet, des Volkes dumpfe Menge dem
heimlichen König nur die Komödie seiner Fürstung,
nicht die geistige Fürstung selber glaubt. Doch ewig und
drei Tage war nicht wahr geblieben — des sind die künf-
tigen Geschlechter ein Beweis —, daß Mittelmäßigkeit
und Durchschnitt noch immer Majestät und immer noch
als überspannt und gar verrückt der abgetan, der hoch-
geartet, als heimlicher König geboren, den Weg des
Alltags mit dem sicheren Iiel am Ende nicht gehen
kann, nicht zu gehen vermag. Drum ihnen dieser Frank
erscheinen muß als Vorkünder ihrer besseren Zeit, weil
er mit Leidenschaft für jene heiß gesprochen, die übers
Mittelmaß geraten..., wobei ihm allerdings ein wenig
schwach vor Mitleid mit sich selber war geworden, weil
er ja selbst ein hochgearteter Karl Hetmann, ein heim-
licher König Nicolo von Umbrien gewesen, wie denn auch
seine Zeit ihn als jenen für den Airkus beizeiten reif
gefunden und diesen ihm das Chor der Bürger nicht
geglaubt.

Doch war die kalte Teufelsfaust ihm nicht erbebt,
wo er mit Shakespearescher Bildnerkrast der Menschheit
ewiges Weh und Ach gestaltet, das immer noch aus dem
gewissen einen Punkte zu kurieren ist. Auch sie, Ge-
schlechter eines lichteren Jahrhunderts, werden, obgleich
sie Klarheit in den dunklen, mit mehr Geist durchseelten
Drang bekommen, bei den Komödien und Tragödien
dieses Dichters Krafft-Ebingschen Wissens teils Schüttel-
frost verspüren, teils auch sich vor Gelächter krümmen
müssen ob des hier aufgezeichneten Geschlechtshungers
und seines vielfältigen Geschmacks. Hereinspazieren
werden sie in die Frank Wedekindsche Menagerie, um da
das wahre wilde schöne Tier zu schauen, das, Lulu ge-
heißen, sein soll der lockende, wirrsalstiftende und unfaß-
bare Erdgeist, aber nicht Erdgeist ist, weil der ja keines-
wegs im Weibe lockt, um „Unheil anzustiften", „zu
vergiften" und „zu morden", sondern: damit das Leben
sich so weiter gebe. Auch, werden sie eremplifizieren,
sei der Frank Wedekind ja selber nicht vergiftet und ge-
mordet worden, und die Pandorenbüchse, die allen
und schließlich der Verderberin selbst Verderben bringe,
habe ihn verschont. Statt dessen ihm ein Weib, wenn
auch in späteren Lebensjahren erst, angehangen, gläubig
und hingegeben, wie einst das Kätchen von Heilbronn
ihrem maßlos geliebten Wetter vom Strahl.

Gleich einer Legende wird ihnen zu lesen sein die
Ehegeschichte von Frank und Tilla Wedekind. Hatte
sich doch, da es maite im Jahre 1906, diese Tilla zu dem
gefunden, den die übrigen Zeitgenossen — ein paar
Vorahner kommender Bürger ausgenommen — für
einen ganz hinterlistigen, ganz tückischen Clown erklärt,
dessen frivole Späße die als gut approbierte und somit
unantastbare Moral attentiere. Hatten nicht unterlassen,
ihn durch ihre Mtte Ruten laufen zu lassen und ihn,
blutüberströmt, dem Kadi als Unflat überantwortet,
der allerdings keine Schuld an ihm finden konnte. Wie

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