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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Eine deutsch-italische Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0407

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Cine deutsch-italische Künstlergeschichte.

iemand wird glauben, die Ratsel, die ein außer-
ordentliches Kunstwerk, das jahrhundertelang
verborgen und vergessen war, bei seinem Er-
scheinen stellt, in wenigen Wochen und Monaten deuten
zu können.

Seit die Frankfurter Kreuzigungsgruppe bekannt
wurde, ist innnerhin manche Frage, die sie stellt, richtig
beantwortet, rnanche Vernrutung bestätigt worden. Jhr
Ausammenhang mit der deutschen Kunst ist von allen
Einsichtigen bald erkannt und anerkannt worden. Der
Meister muß in Deutschland gewirkt haben, seine Kunst
gehört dem rheinischen Westen an und lebte in deutschen
Werkstätten, handwerklich geübt, weiter. Und ferner:
Der Meister muß in Verbindung mit Jtalien gestanden
haben, aller Wahrscheinlichkeit nach sogar selbst dort ge-
wesen sein. Es finden sich dort Werke seiner Hand
und seiner Schule.

Deutsche Werke der Gotik können zu ihrer -Zeit
nur auf folgende Weise nach Jtalien gelangt sein: Sie
können aus einer Werkstatt stammen, deren Arbeiten
von vornherein für den Erport bestimmt waren. Dies
ist in unserem Falle durch den Charakter der Arbeiten
ausgeschlossen. Sie können ferner von italienischen
Liebhabern bei dem deutschen Künstler in seiner Hei-
mat in Auftrag gegeben fein, und wurden dann nach
ihrem Bestimmungsort gebracht. Dies ist (natürlich)
auch in unserem Falle möglich; gerade um jene Aeit
hatten z. B. die vier Konzilsjahre in Konstanz vielen
italienischen Herren sogar eine besondere Gelegenheit
geboten, nordischen Künstlcrn, die dort in großer Aahl
sich eingefunden hatten, Aufträge zu geben. Viel
wahrscheinlicher ist es aber, daß unser Meister selbst in
Jtalien war; nian darf sogar mit Bestimmtheit an-
nehmen, daß er dort längere oder kürzere Zeit geweilt
und gearbeitet hat.

Als dies geschah, war die Aeit noch fern, wo nordische
Künstler scharenweis nach Jtalien zogen. Wir stehen
nahezu 100 Jahre vor Dürer, der mit seiner venezianischen
Reise selbst noch einer der Erstlinge des nun erst ein-
setzenden mächtigen Schwarmes ist, der bis uni die Mitte
des 19. Jahrhunderts mit dem fast gleichen Iiele sich
fortsetzte. Das Aiel jener früheren Jtalienfahrer war
ein anderes. Sie gingen dorthin nicht, um eine Kunst
zu studieren, deren ilberlegenheit ihnen llberzeugung
oder abgestempelte Schulmeinung war, deren Kenntnis
zu ihrer Ausbildung oder Vollendung gehörte, deren
Bkanier man jedenfalls kennen mußtc, wenn man auf
der Höhe des herrschenden Geschmacks sich halten wollte.
Dem gotischen Jtalienfahrer mußte all dies fremd sein;
er ging nicht der dortigen Kunst zuliebe nach dem Süden,
denn die konnte ihm nichts oder nur wenig sagen. Er
ging vielmehr wie der Wanderer, der auf die Wander-
schaft geht, aus einer Liebe zum Wandern und Sehen,
die einst dem deutschen Handwerker im Blute saß.
Es ist Sehnsucht und Neugier, die bunte fremde Welt
kennen zu lernen, ganz entsprechend der seit dem 14. Jahr-
hundert sich mächtig steigernden Teilnahme an der
sichtbaren Erscheinung, die die nordische Kunst aus-

zeichnet. Und es ist zugleich die Lust, geschickte Arbeit
in der Fremde an den Mann zu bringen, entsprechend
der besonderen Schätzung, die viele nordische Hand-
werker wegen ihrer fleißigen, gewissenhaften Arbeit
im Süden fanden. Rein künstlerisch betrachtet, hatten
die nordischen Meister dieser Frühzeit dem Süden mehr
zu geben, als von ihm zu nehmen.

Es handelt sich bei jenen Jtaliensahrten vorerst auch
noch um Einzelfälle. Jmmerhin sind sie häufiger, als
man annehmen würde, wenn man von der bewußten
Ablehnung ausgeht, mit der der Jtaliencr der Renais-
sance die ganze Kunst der nordischen Gotik von sich
weist. Er bezeichnet sie als „Barbaren-Art", die als
Kunst sür ihn überhaupt nicht in Frage steht. Dies
entspricht der künstlerischen Gesinnung der Renaissance-
Meister, deren literarische Außerungen noch hcute die
allgemeine Vorstellung eines von vornherein gegebenen
Gegensatzes des italienischen Wesens zu allem Nordisch-
Gotischen bestimmen. Jn der tatsächlich gegebenen
künstlerischen Lage Jtaliens vor und am Beginn der
Renaissance spielen die nordischen Gotiker aber eine
ganz andere, nicht unwesentliche Rolle.

Wohl bestehen auch da schon Gegensätze. Die italie-
nische Kunst jener Frühzeit, wie sie sich auf Giotto und
den Pisani aufbaute, erscheint schließlich immer ivieder
als ein sehr einheitliches, selbständiges Gefüge, dem
gegenüber die gesamte gleichzeitige Kunst des Nordens
als eine fremde Einheit empfunden wurde. (So wird
bei den Künstlern, die über die Alpen kamen, zwar ihre
nordische Herkunft erwähnt, aber in der Regel nicht ge-
schieden, ob sie aus Deutschland, Flandern, Burgund
oder Frankreich stammen.) Man empfand also den
Gegensatz, war abcr von diesem nicht abgestoßen. Jm
Gegenteil: man empfand ihn oft als Reiz, und, ivas
wichtiger ist, nian vergönnte der treibenden starken Kraft,
die jener Kunst innewohnte, eine oftmals entscheidende
Wirkung. Überblickt man die Nachrichten und Denk-
mäler, die von diesen Dingen heute noch Kunde geben,
ohne klassizistische Vorurteile, so beobachtet man, daß
es sich nicht um Ausnahmen handelt, die abseits von
deni geschichtlichen Werden stehen und durch die Laune
eines Aufalls uns überliefert sind, sondern um Fälle,
deren typische Bedeutung trotz ihrer Seltcnheit zu er-
kennen ist.

Noch im hohen Quattrocento, zu einer Aeit, da die
italienische Kunst schon ganz ihre eigenen Wege ging,
gab es in Jtalien eine Vorliebe für die Bildeüder^flandri-
schen Aeitgenossen; einer ihrer Größten, Rogier van der
Weyden, ivar neben manchem kleineren ^Gestirn in
Jtalien. Das getreue Naturstudium war jetzt in Jtalien
wie ini Norden zuni zentralen künstlerischen Problem
geworden, und man begreift, daß seine Werke nun auch
bei italienischen Künstlern und Kunstfreunden begehrt
wurden. Augleich mag da schon die Freude eines ent-
wickelten Kennertums an dem Reiz der so andersartigen
künstlerischen Handschrift und dem fremdartigen Lebens-
gesühl, das jene Werke ausströmen, eine Rolle spielen.
Augleich gab es für das Verständnis nordischer Kunst
 
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