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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Bab, Julius: Von Gerhart und von Carl Hauptmann
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Fontana, Oskar Maurus: Das Landhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0196

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Don Gerhart und von Carl Hauptmann.

hebt sich dieser gebeugte Odysseus wieder zur Höhe
seines Jch, wird er der „Göttliche". Und wie in Haupt-
manns Gedicht dem Verkannten aus seiner höchsten Ver-
zweiflung gerade die Kraft wiederkommt, wie er un-
heimlich drohend emporwächst uud schließlich in mörderi-
scher Großheit über seinen Feinden und Opfern steht —
das ist das Neue, das Erstaunliche, was Gerhart Haupt-
mann nie bisher ähnlich gelungen ist, und was fast an
die Möglichkeit glauben läßt, daß dieser große Dichter
der Schwäche noch eine ganz neue Epoche als ein Dichter
der Kraft vor sich haben könnte.

Wenn alles, was an diesem Stücke stark ist, höchst
überraschend wirkt, so ist das, was es schwach macht,
ziemlich selbstverständlich. Hauptmann hat auf dem
neuen Boden noch nicht Heimatsrecht, und er treibt des-
halb Übermotivation. Nicht nur die Tragödie, auch den
heidnisch idyllischen Boden, auf dem die Tragödie der
Kraft wächst, möchte er darstellen. Aber beides zugleich
geht nicht. Für Aeschylos war Homer so sehr Voraus-
setzung, daß er ihn im Schaffen bereits wieder zerstörte.
Hauptmann glaubt, um unser Gefühl für solche Taten
wecken zu können, erst Land und Luft, Menschen und
Götter dieser heidnischen Welt uns nahebringen zu
müssen. (Er, der freilich von ganz anderen Welten her-
kommt, unterschätzt die Kraft kriegerischen Weltgefühls,
das er denn doch bei vielen Zeitgenossen voraussetzen
dürfte!) Darum hat er die Handlung aus der Königs-
halle hinaus aufs Land, zum Sauhirten verlegt, wohin
er die Königin garnicht, und von der Schar der Freier
nur ziemlich mühsam vier bringen kann. Und in diese
nicht im dramatischen nur im kulturmalerischen Sinne
„heroische" Landschaft stellt er nun vielerlei idyllische
Staffage und gibt schließlich, am Ende des dritten Aktes,
dem Stück mit einem Panfest des Hirten, bei dem
Odysseus sein Selbstgefühl wiederfindet, einen falschen,
verfrühten Höhepunkt. All diese zum Teil schönen, von
einer rührenden Liebe zur Antike genährten Aüge,
schwächen die dramatische Kraft des Ganzen. „Der Bogen
des Odysseus" ist kein Meisterwerk. Aber dies war auch
nicht zu erwarten, denn er ist im tieferen Sinne ein
Erstlingswerk; und wenn dieser Anfang zu bedeuten
hätte, daß Gerhart Hauptmann, der bisher der stärkste
und auch der allerchristlichste unserer Dramatiker war,
seine große Kraft in einer neuen, in einer erdgläubig
kriegerischen Richtung entfalten wird, so könnte dieser
„Bogen des Odysseus" in der Geschichte unserer künst-
lerisch offenbarten Kultur leicht ein Merkstein allerersten
Ranges werden. Julius Bab.

as Landhaus.

Von Oskar Maurus Fontana.

Auerst war ein Stück Wiese dagewesen. Von ganz,
ganz alt her. Aber einmal war es vermessen worden
und noch später waren Schaufeln eingetrieben worden.
Da war es mit dem Stück Wiese aus. Das Gras wurde
mit feuchten Brocken Erde emporgeworfen, verlor den
Glanz, wurde dürr und welk und zertreten. Die Erde,
wund geworden, schien sich vor Schmerzen zu wälzen,
um den Messern zu entgehen, aber immer wieder in

welche zu fallen. Davon immer neu wund, wies sie
schließlich ganz kalte starrende Löcher.

Mauern hoben sich daraus, einten sich, ein Dach wuchs,
Glas fing die Sonne auf. Cin Haus stand da. Möbel
wurden abgeladen, in den Aimmern aufgestellt. Dort
warteten sie geduldig und schüchtern wie alte Leute, an
die Wände und in die Ecken gedrückt. Aber ganz zum
Schluß erst kam der Herr. An einem Abend, und mit
einem Weib und seinem Kind.

Sie gingen durch die Küche — der kleine Sohn
drehte den Hahn der Wasserleitung und griff kreischend
ins Sprudeln — und die zwei Zimmer im Erdgeschosse,
dann stiegen sie die braune Treppe hoch und nun Schritt
um Schritt durch drei Aimnier und standen auf der großen
Veranda. Da blieben sie lange. Das Kind zupfte den
Vater am Knie, es wollte auch etwas sehen. Der Vater
hob es zu sich. Nun sahen sie Wiesen und Wiesen, lang-
sam gesenkt, braune Acker, die von Bäumen empfangen
wurden. Aber auch die fielen, immer, einer hinter
dem anderen, zu sechs und zu zehn, bis hinunter zu dem
weiten sich kräuselnden See, über den eben ein paar
Vögel schwermütig in den gleichen Ringen kreisten.
Ein Lied kam aus der Ferne zu den drei auf der Veranda
Stehenden, gebleicht und gelöchert von dem weiten Weg.

Hernach aber gingen sie noch eine Treppe höher und
kamen in ein kleines, niedriges, weißstrahlendes Dach-
zimmer mit einem schmalen lieben Balkon. So anzu-
sehen, daß man vor Liebe lächeln mußte, wenn man es
betrat. Die Frau aber mit dem ruhigen starken Lächeln
der Mutter sagte, zu dem Kind gebeugt: „Bist du erst
größer, ist das dein Aimmer." Das Kind wollte wieder
was fragen, aber der Vater drängte, so gingen sie dann,
durch den Dachboden, ein paar Stufen empor und
standen auf einem viereckigen Turm mit breiter Brust-
wehr. Das Kind klatschte in die Hände, die zwei standen
geraume Aeit still, doch dann faßte der Mann wie im
Traum die Hand der Frau. So sahen sie denn in stummer
Ergriffenheit —- auch das Kind war scheu und still ge-
worden, da es die Eltern anders sah — zu den Wiesen
und dem See und wandten sich und sahen schwarze
Wälder, aus denen sich Schleier lösten, und dahinter
steigende, hochsteigende Berge und sahen den Himmel
des Abends über sich in einer blassen Abgeschiedenheit
und einer sich senkenden Nähe, daß man ihn greifen zu
können glaubte. Ein leichter Wind glitt durch ihre Haare.
Ein Stern kam, der Mond schaukelte sich. Tausende
Grillen sangen in herzbrechender Not. Ein einsamer
Nachen setzte über den See zur Jnsel. Und plötzlich löste
die Frau ihre Hand aus der ihres Mannes, trat an die
Brustwehr, beugte sich über diese, sodaß sie das fallende
Dach anrühren konnte, streichelte darüber und sagte
leise: „Unser Haus."

Am Morgen tranken sie den Kaffee im Garten.
Das Kind lief umher, rüttelte an Bäumen, goß Kies
in seinen kleinen Wagen, rannte Schmetterlingen nach,
verkroch sich in Büsche. Beeren wuchsen im Verborgenen,
Jmmen summten, Früchte färbten sich. Und das Kind
spielte und die Eltern sahen zu, hatten das Leben warm
bei sich.

Regen prasselte auf das Dach, gegen die Wand,
Schnee fiel, deckte das Dach mit einer Haube, ein süßer
Wind flog, da rann es stürzend herunter, der Baum koste
 
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