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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Bab, Julius: Erziehung zur Schauspielkunst
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[Notizen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0163

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Erziehung zur Schauspielkunst.

thcater in Wien und Berlin, an denen noch Kainz und
Mattkowsky aufgewachsen sind, auf dcncn der Schüler
fast vom ersten Tage an ganz richtige Rollen spielte,
sie warenmm Prinzip durchaus das Richtige, und sie
hatten nur deshalb einen schmierenhaften Charakter, weil
kein wirklicher Regisseur an ihrer Spitze stand. Sie
müssen aber wiederkommen und sollten in ihrer ver-
besserten Form genau so gut durchzusetzen sein, wie
Lehrbrauerei und Kochschulen, an denen ja auch nicht
mit Attrappen, sondern mit dem richtigen Material
sogleich für den öffentlichen Bedarf gearbeitet wird.
Aber das wird wohl erst gelingen, wenn jene Methode
ausgerottet ist, die im Grunde immer noch im Schau-
spieler den gewandten Versteller sieht, wenn der ruch-
lose Wahn, man könnte durch das Erekutieren unper-
sönlicher, wirklichkeitsloser Affekte, Momente, Szenen
ein Menschendarsteller werden, endgültig zerschmettert ist!

Der Anlaß zur Aufzeichnung dieser lange in mir
gefestigten Gedanken über eine notwendige Resorm
der Erziehung zur Schauspielkunst hatte sich mir schon
vor ziemlich langer Aeit gestellt, und diese Betrachtungen
waren geschrieben, noch ehe bekannt wurde, daß eben
jetzt im Rheinland eine Bewegung im Gange ist, die
vielleicht wirklich zu einer solchen Reform führen kann.
Die Theaterschule des Düsseldorfer Schauspielhauses
soll ausgebaut werden zu einer Akademie für Bühnen-
kunst, und zum ersten Male in Deutschland wird sich

diese Bildungsstätte für Theaterkünstler einer offiziellen
Förderung zu erfreuen haben, denn die Stadt Düssel-
dorf subventioniert das Unternehmen. Daß das Jnstitut
zugleich eine Akademie für Volksbildung werden soll,
fügt sich dem oben gezeichneten Grundriß ganz glücklich
ein, denn was vor dem eigentlichen Regieunterricht
einem jungen Menschen, der Schauspieler werden will,
zu geben ist, das ist neben der turnerischen Geschmeidig-
keit des Körpers eine allgemeine geistige Umsicht unv
Einsicht, die der Eleve, der aus der Schule oder von der
Lehre dem Theater zuläuft, in der Regel noch nicht besitzt.
Denn sintemalen derSchauspieler letzten Endes garnichts
ist als ein sehr stark und leicht funktionierender Fall vom
Menschen, so ist sein Ausbildungsziel eigentlich nur das
ziemlich allgemeine Menschenideal: ein geistiger Turner,
ein athletischer Philosoph, ein weisheitsvoller Tänzer
wird gesucht. Und dieses, in einem zur öffentlichen
Schaustellung prädestinierten Temperament voraus-
gesetzt, wird jedem Regisseur für einen außerordentlich
guten Darsteller genügen. Da man nach dem echten
und ernsten Streben, von dem die Leitung des Düssel-
dorfer Schauspielhauses Proben genug gegeben hat,
hoffen darf, daß hier mit einer solchen Erziehung zur
echten Menschendarstellung der Anfang gemacht wird,
so kann die Düsseldorfer Akademie eine Bedeutung er-
langen, die über das Theaterkünstlerische weit ins all-
gemein Menschliche der Nation hineinreicht. Denn was für
Menschen sich auf den Brettern darbieten, das bleibt
für die Menschlichkeit derer, die zuschauen, auf die Dauer
niemals gleichgültig. Julius Bab.

leine Betrachtungen.

oomxisoUrs.. . Nein! keineswegs heißt „alles ver:
siehen alles vergeben"! SonLern alles verstehen hieße vielmehr
einigcs lieben, einiges hassen, wenigem Chrfurcht zollen und sehr
vielcs verachten.

Was wäre das für eine Erkenntnis, die unser Urteilen und
Wollen entmannte!

Haß als Lehrer. Cs geht die Sage, daß man ohne Liebe
nicht verstehen könne, und insbesondere Kunstwerken gegenüber
pflegt man Las aufrecht zu erhalten; sonst ist man ja ebenso bereit,
den gegenteiligen Spruch anzuwenden, nümlich daß Liebe blind
macht. Aber auch, wo es sich um Angelegenheiten der Kunst handelt,
kann der Haß hellsichtig machen oder wohl aus der Hellsichtigkeit
kommen. Wer überhaupt Gefahren für die Kunst fühlt (also jeder
starke Künsiler), muß gerade das, was ihn selbst gefährdet und bei
«ndern zum Unheil ausschlug, besonders kräftig empfinden. Scin
Urteil hat weit mehr Wert (und kann zudem richtiger sein), als das
der zahmen Gerechten, denen „jeder in seiner Art" recht ist, weil
sie zur Kritik der Art nicht den Mut finden. Jhr Urteil um-
gekehrt entbehrt des Wertes, auch wenn sie das Richtige treffen;
sie können nur unkräftige, unfruchtbare Wahrheiten reden.

-I-

Gerechtes Gefühl, ungerechter Spruch. Jn Zeiten,
denen ein allen gebietender einheitlicher Kulturwille ab-
geht, hat jeder wirkliche Künstler seinen Haß, und die
meisten haben einen Spezialfeind, der ihnen das Gehaßte ver:
körpert. Von Natur nämlich dem Sinnenfälligen und Einzelnen
zugewandt, brauchen sie zumeist eine Person, um richtig hassen
zu können. Nur der Philosoph mit seiner größeren geistigen Kraft
und Phantasie ist des auszeichnendcn Hasses gegen die treibenden
geistigen Mächte fähig; er ist dem Künstler also überlegen, vollends
sofern er noch menschlich genug bleibt, um außerdem die Menschen
zu hassen, welche von solchen Mächten getrieben werden, sich
ihnen zu Dienst stellen.

Aus dieser Beschaffenheit des Künstlers nun stammen jene
oft bis zum Unsinn übertreibenden Urteile, die man als Zeichen
der Ungerechtigkeit und Einseitigkeit anzuführen liebt, wclche dem
Genie als solchem anhaften sollen. Hugo Wolfs Angriffe auf Brahms
deutet man so, desgleichen Wagners vermcintlich unverstehende
Feindschaft gegen das, was ihm nicht paßte, wie man ein treues
und unerbittliches Festhalten an einem Jdeal, das Abwehren
des Trübenden, Schwächenden zu nennen liebt.

Jn Wirklichkeit liegt solchem Verhalten eine, zwar sehr sum-
marische, Gerechtigkeit zugrunde, deren Wert für die Kunst zu
Zeiten größer sein kann, als die detaillierende Gerechtigkeit! denn
es ist Führerschaft in ihr! Brahms, zurückhaltend, verschlossen als
Charakter, kompliziert von Wesen und als Künstler, ein Mann der
Zwischenzeit, vielleicht Altes und Werdendes sammelnd, wahr-
fcheinlicher beengt durch diese Gegensätze und möglicherweise beides
abwechselnd oder gar zugleich, wie sollte er durch ein scharfes Ja
oder Nein beurteilt werden! Wie sollte ihm das Temperamt eines
Wolf Gerechtigkeit widerfahren lassen! Aber so wenig dieser der
Verwickeltheit des Falls Rechnung trug, so recht hatte er, den
Einfluß Brahmsens zu verwünschen. Hier ist Ja oder Nein von-
nöten, und wo der Verftand nie fertig würde, muß das Gefühl
einmal Schluß machen, das aus vielen Eindrücken Gewichte sammelt,
und entschlossen wägt. Cs läßt sich sehr wohl denken, daß ein Hugo
Wolf einen Iohannes Brahms mit teils freundlichem, teils auf-
merksamem, teils achtungsvoll mitleidigem Blick und vielleicht einer
kleinen Portion von Haß betrachtete, weun dieser Brahms zu
früherer Zeit gelebt und jetzt nicht mehr geherrscht, also der Eifer
um die Kunst jenem nicht die Waffe gegen ihn in die Hand gedrückt
hätte. An Künstlerneid in solchen Regionen zu denkcn, fällt ja
heute kaum mehr jemand bei, aber wenige noch verstehen die tiefe
Gerechtigkeit solcher Eifersucht.

* *

Lessing sagt: „Jch bin überzeugt, daß das Auge des Künstlers
größtenteils viel scharfsichtiger ist als das scharfsichtigste seiner Be-
trachter. Unter zwanzig Einwürfen, die ihm diese rnachen, wird

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