in deutsches Bildnerwerk.
Als der Freiherr vom Stein nach den Befreiungs-
kriegen die deutsche Frage auf dem Wiener Kongreß
kleinlich gelöst sah und er — der größte Staatsmann
seiner Aeit — wieder ein Privatmann wurde, grün-
dete er die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts-
kunde, um die ,Monumenta Okrmuniae kislorieL"
herauszugeben. Es war mehr als die bekannte Neigung
tätiger Männer für eine friedliche Liebhaberei und durch-
aus etwas anderes als die romantische Sehnsucht seiner
Aeit, was ihn dazu trieb. Der Mann, der die Befreiungs-
kriege erst möglich machte, indem er das preußische Volk
aus den Resten mittelalterlicher Hörigkeit befreite, zielte
mit keinem Gefühl in die Vergangenheit, er war der eiserne
Kehrbesen für die Zukunft auch noch in dieser „wissen-
schaftlichen Liebhaberei". Er sah wie kein anderer die
Krankheit, an der des alten Reiches Herrlichkeit im Jahre
1806 kläglich verschieden war: nicht für die Forschung
sollten die O.uellen in den Uoimmentu Oermamao
fließen, sondern für die Erstarkung des deutschcn Volks-
tums, das zwischen Weltbürgertum und romantischer
Schwärmerei — „das klosterbruderisierende Unwesen",
wie Goethe es nannte — sein Selbstbewußtsein nicht
fand. Es galt sür Deutschland, was in Preußen be-
gonnen war, die sittliche Erneuerung aus dem Geist
vaterländischer Jdeen.
Seitdem hat uns das durch ihn geschaffene preußische
Staatsbürgertum und das Heer Scharnhorsts die Eini-
gung Deutschlands und die Wiederaufrichtung des
Reiches gewaltsamer gebracht, als es die schwarz-rot-
goldenen Schwärmer von 1848 träumten; aber das Reich
hat die Spuren der gewaltsamen Einigung auch bis zu
diesen Tagen nicht verloren gehabt, und während es
wirtschaftlich zur Weltmacht erstarkte, lag es innerlich
auf der Folterbank eines leidenschaftlichen Klassen-
kampfes, der unser Volk in zwei Kampflager teilte.
Nur ein Weltfremder kann träumen, daß der blutige
Schwamm dieses Krieges alles das auslöschen wird; aber
schon dies allein, daß der Gottesfriede einmütig erklärt
und gehalten wurde, hat uns allen zur freudigen Über-
raschung gezeigt, wie sehr das deutsche Volksgefühl in
den Reichsjahren erstarkt ist. Wie es auch gehen mag,
wir werden aus diesem Krieg anders herauskommen,
als wir hineingingen; wir werden als Volk ineinander-
geschweißt sein, wir werden statt dem gewaltsamen
Patriotismus der Vergangenheit eine gemeinsame
wirkliche Vaterlandsliebe haben.
Denn so sonderbar dies ungeübten Ohren scheinen
mag, Patriotismus und Vaterlandsliebe sind nicht das
selbe; eher ist eins das Surrogat vom andern, und der
rauhbeinige Kampf der ersten Kriegstage gegen das
Fremdwort als den sichtbaren Ausdruck selbstvergessener
Ausländerei kann ebensowohl auf den Jnstinkt gedeutet
werden, jene Kruste los zu werden, die sich aus der Ver-
wahrlosung unserer Eigenheit angesetzt hat. Wer Sprach-
gefühl hat, wird überall die Mißachtung spüren, wo ein
Fremdwort neben einem deutschen Münze geworden
ist; um ein Beispiel aus der Sache zu geben: volks-
tümlich ist die ehrende Bezeichnung für etwas, das dem
Gefühl des Volkes entspricht, populär bedeutet mehr
oder weniger die Kehrseite, also etwas, das dem Volk
gefällt; das Volkslied ist volkstümlich, der Gassenhauer
populär. Wo die Sprache zuviel von dem zweifelhaften
Flaggenschmuck des Fremdwortes annimmt, ist auch
die Gesinnung des Volkes angesteckt; sie begibt sich aus
der unerbittlichen Aufsicht der Sprache und ist leicht-
fertig mit ihrem eigenen Wesen. Wenn wir also Vater-
landsliebe nach Patriotismus erwarten, will dies mehr
sein, als ein Spiel mit Worten; es will besagen, daß wir
ein reineres Gefühl des Einzelnen zu unserem Volk und
Land haben möchten.
Das wird natürlich nicht damit erreicht, daß wir
Fensterscheiben um ihrer sremdsprachlichen Aufschriften
willen einwerfen; es ist eine gründliche Reinigung nötig —
und eine Bedingung wird sein, daß wir den Chauvinis-
mus eben als eine ausländische Sache vermeiden — wir
müssen, das ist ebensosehr die unerbittliche Lehre dieser
Ieit wie es der Jnstinkt jener Straßenempörung gegen
„Affichen" ist, das Verhältnis zu unserm Land und Volk,
zu unserer Rasse tiefer als mit der gelegentlichen Begeiste-
rung patriotischer Feste zu gründen versuchen. Wer aber
vermag zu zweifeln, daß der Reichssreiherr vom Stein mit
seiner Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde
den rechten Weg wies, indem er, nicht nur als Romantiker
vor der Gegenwart zu flüchten, sondern um dem zer-
splitterten deutschen Volk die Einheitlichkeit seiner Her-
kunft zu zeigen, die verschütteten Denkmäler der gemein-
samen Vergangenheit wieder aufrichten half! Natürlich
sollten in einer ungestörten Entwicklung derartige Be-
mühungen gegenstandslos sein; aber das deutsche Volk,
das nach der Selbstzerstörung des Dreißigjährigen Krieges
aus der gesellschaftlichen und geistigen Abhängigkeit
seiner Fürstenhöfe von Versailles — selbst der große
Friedrich schrieb seine Werke französisch und sprach
nur ein verballhorntes Deutsch — in die Winckelmannsche
Altertumsbegeisterung geraten war, stand trotz seiner
„Klassiker" nicht gerade sicher auf den eigenen Füßen:
selbst Goethe sah das neu ans Licht gebrachte Nibelungen-
lied nicht an und die Brüder Boisseree hatten es schwer,
ihn zu der Schönheit der alten deutschen Bilder zu
überreden.
Wer da meint, daß für unsscharin nichts mehr zu tun
sei, braucht nur einmal über den einzelnen Abbildungen
des Frankfurter Altarwerkes sein Gefühl zu prüfen, ob
er die herrliche Schönheit ungehindert empfinden kann?
Oder ob er — da wir durch eine Entdeckung Swarzenskis
einigen Köpfen die Gegenstücke aus Ghibertis Bronzetür
gegenüberstellen können — ob er die Köpfe Ghibertis
nicht unvergleichlich schöner findet? (Während doch kein
Iweifel sein kann, daß sie in ihrer herben Strenge der
malerischen Schönheit der andern ebenbürtig sind.)
Ob ihm der edle Christuskopf nicht fremd und der Kopf
des Schächers abstoßend vorkommen? (Obwohl es sich
um Kunstwerke von unerhörter Schönheit handelt.)
Es geht diesmal nicht an, zu sagen, daß die Hinderung
in der Aeitepoche läge; denn die Köpfe Ghibertis und
des — natürlich unbekannten — deutschen Meisters
stammen aus der selben Ieit. Es ist die Entwöhnung
von der eigenen und die Gewöhnung an die fremde Art,
die in der Sirtinischen Madonna Raffaels lange Ieit
das höchste Malwerk verehrte, während der Altar Grüne-
walds in Kolmar vergessen stand und die alten Kölner
fast nur dem Fachstudium gehörten.
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Als der Freiherr vom Stein nach den Befreiungs-
kriegen die deutsche Frage auf dem Wiener Kongreß
kleinlich gelöst sah und er — der größte Staatsmann
seiner Aeit — wieder ein Privatmann wurde, grün-
dete er die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts-
kunde, um die ,Monumenta Okrmuniae kislorieL"
herauszugeben. Es war mehr als die bekannte Neigung
tätiger Männer für eine friedliche Liebhaberei und durch-
aus etwas anderes als die romantische Sehnsucht seiner
Aeit, was ihn dazu trieb. Der Mann, der die Befreiungs-
kriege erst möglich machte, indem er das preußische Volk
aus den Resten mittelalterlicher Hörigkeit befreite, zielte
mit keinem Gefühl in die Vergangenheit, er war der eiserne
Kehrbesen für die Zukunft auch noch in dieser „wissen-
schaftlichen Liebhaberei". Er sah wie kein anderer die
Krankheit, an der des alten Reiches Herrlichkeit im Jahre
1806 kläglich verschieden war: nicht für die Forschung
sollten die O.uellen in den Uoimmentu Oermamao
fließen, sondern für die Erstarkung des deutschcn Volks-
tums, das zwischen Weltbürgertum und romantischer
Schwärmerei — „das klosterbruderisierende Unwesen",
wie Goethe es nannte — sein Selbstbewußtsein nicht
fand. Es galt sür Deutschland, was in Preußen be-
gonnen war, die sittliche Erneuerung aus dem Geist
vaterländischer Jdeen.
Seitdem hat uns das durch ihn geschaffene preußische
Staatsbürgertum und das Heer Scharnhorsts die Eini-
gung Deutschlands und die Wiederaufrichtung des
Reiches gewaltsamer gebracht, als es die schwarz-rot-
goldenen Schwärmer von 1848 träumten; aber das Reich
hat die Spuren der gewaltsamen Einigung auch bis zu
diesen Tagen nicht verloren gehabt, und während es
wirtschaftlich zur Weltmacht erstarkte, lag es innerlich
auf der Folterbank eines leidenschaftlichen Klassen-
kampfes, der unser Volk in zwei Kampflager teilte.
Nur ein Weltfremder kann träumen, daß der blutige
Schwamm dieses Krieges alles das auslöschen wird; aber
schon dies allein, daß der Gottesfriede einmütig erklärt
und gehalten wurde, hat uns allen zur freudigen Über-
raschung gezeigt, wie sehr das deutsche Volksgefühl in
den Reichsjahren erstarkt ist. Wie es auch gehen mag,
wir werden aus diesem Krieg anders herauskommen,
als wir hineingingen; wir werden als Volk ineinander-
geschweißt sein, wir werden statt dem gewaltsamen
Patriotismus der Vergangenheit eine gemeinsame
wirkliche Vaterlandsliebe haben.
Denn so sonderbar dies ungeübten Ohren scheinen
mag, Patriotismus und Vaterlandsliebe sind nicht das
selbe; eher ist eins das Surrogat vom andern, und der
rauhbeinige Kampf der ersten Kriegstage gegen das
Fremdwort als den sichtbaren Ausdruck selbstvergessener
Ausländerei kann ebensowohl auf den Jnstinkt gedeutet
werden, jene Kruste los zu werden, die sich aus der Ver-
wahrlosung unserer Eigenheit angesetzt hat. Wer Sprach-
gefühl hat, wird überall die Mißachtung spüren, wo ein
Fremdwort neben einem deutschen Münze geworden
ist; um ein Beispiel aus der Sache zu geben: volks-
tümlich ist die ehrende Bezeichnung für etwas, das dem
Gefühl des Volkes entspricht, populär bedeutet mehr
oder weniger die Kehrseite, also etwas, das dem Volk
gefällt; das Volkslied ist volkstümlich, der Gassenhauer
populär. Wo die Sprache zuviel von dem zweifelhaften
Flaggenschmuck des Fremdwortes annimmt, ist auch
die Gesinnung des Volkes angesteckt; sie begibt sich aus
der unerbittlichen Aufsicht der Sprache und ist leicht-
fertig mit ihrem eigenen Wesen. Wenn wir also Vater-
landsliebe nach Patriotismus erwarten, will dies mehr
sein, als ein Spiel mit Worten; es will besagen, daß wir
ein reineres Gefühl des Einzelnen zu unserem Volk und
Land haben möchten.
Das wird natürlich nicht damit erreicht, daß wir
Fensterscheiben um ihrer sremdsprachlichen Aufschriften
willen einwerfen; es ist eine gründliche Reinigung nötig —
und eine Bedingung wird sein, daß wir den Chauvinis-
mus eben als eine ausländische Sache vermeiden — wir
müssen, das ist ebensosehr die unerbittliche Lehre dieser
Ieit wie es der Jnstinkt jener Straßenempörung gegen
„Affichen" ist, das Verhältnis zu unserm Land und Volk,
zu unserer Rasse tiefer als mit der gelegentlichen Begeiste-
rung patriotischer Feste zu gründen versuchen. Wer aber
vermag zu zweifeln, daß der Reichssreiherr vom Stein mit
seiner Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde
den rechten Weg wies, indem er, nicht nur als Romantiker
vor der Gegenwart zu flüchten, sondern um dem zer-
splitterten deutschen Volk die Einheitlichkeit seiner Her-
kunft zu zeigen, die verschütteten Denkmäler der gemein-
samen Vergangenheit wieder aufrichten half! Natürlich
sollten in einer ungestörten Entwicklung derartige Be-
mühungen gegenstandslos sein; aber das deutsche Volk,
das nach der Selbstzerstörung des Dreißigjährigen Krieges
aus der gesellschaftlichen und geistigen Abhängigkeit
seiner Fürstenhöfe von Versailles — selbst der große
Friedrich schrieb seine Werke französisch und sprach
nur ein verballhorntes Deutsch — in die Winckelmannsche
Altertumsbegeisterung geraten war, stand trotz seiner
„Klassiker" nicht gerade sicher auf den eigenen Füßen:
selbst Goethe sah das neu ans Licht gebrachte Nibelungen-
lied nicht an und die Brüder Boisseree hatten es schwer,
ihn zu der Schönheit der alten deutschen Bilder zu
überreden.
Wer da meint, daß für unsscharin nichts mehr zu tun
sei, braucht nur einmal über den einzelnen Abbildungen
des Frankfurter Altarwerkes sein Gefühl zu prüfen, ob
er die herrliche Schönheit ungehindert empfinden kann?
Oder ob er — da wir durch eine Entdeckung Swarzenskis
einigen Köpfen die Gegenstücke aus Ghibertis Bronzetür
gegenüberstellen können — ob er die Köpfe Ghibertis
nicht unvergleichlich schöner findet? (Während doch kein
Iweifel sein kann, daß sie in ihrer herben Strenge der
malerischen Schönheit der andern ebenbürtig sind.)
Ob ihm der edle Christuskopf nicht fremd und der Kopf
des Schächers abstoßend vorkommen? (Obwohl es sich
um Kunstwerke von unerhörter Schönheit handelt.)
Es geht diesmal nicht an, zu sagen, daß die Hinderung
in der Aeitepoche läge; denn die Köpfe Ghibertis und
des — natürlich unbekannten — deutschen Meisters
stammen aus der selben Ieit. Es ist die Entwöhnung
von der eigenen und die Gewöhnung an die fremde Art,
die in der Sirtinischen Madonna Raffaels lange Ieit
das höchste Malwerk verehrte, während der Altar Grüne-
walds in Kolmar vergessen stand und die alten Kölner
fast nur dem Fachstudium gehörten.
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