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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Benn, Joachim: Robert Walser
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0149

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obert Walser.

Je langer man sich mit Kunst in irgendwelcher
Form, als Dichtung wie als Malerei, als
Architektur wie als Musik beschäftigt, um so deutlicher
muß einem werden, wie wenig für die Dauerwirkung
eines Künstlers doch die Richtung besagen will, durch die
er mit seiner Zeit und ihrer Stellung in der Geschichte
der Stile zusammenhangt, wie alles dagegen von der
Echtheit und Rundheit seiner Persönlichkeit und dem
Ernst und der Ehrlichkeit abhängt, mit denen er sich
innerhalb seiner Stilrichtung betätigt: Das eine ist das
Relative, das, was etwas über sein Verhältnis zu anderen
aussagt und noch bei den Größten eine Beschranktheit
und eine Abhängigkeit umschließt, dies da, wo sie selbst
eine neue Richtung eingeleitet haben, dann nämlich
im Negativen. Das andere ist das Absolute, das dem
Werk des Künstlers den eigentlichen Wert, die eigent-
liche Lebenskraft gibt und damit darüber entscheidet,
ob es bleiben wird.

Natürlich gibt es Unterschiede unter den verschie-
denen Stilrichtungen, es gibt reine und weniger reine,
damit große und kleinere Kunst. Ob eine Aeit mit dieser
oder jener beschenkt wird, scheint von gewissen Aeit-
verhältnissen abzuhängen, indem der Mensch in gewissen
Ieiten stärker als in anderen in sich selber harmonisch,
auf das Aentrale menschlicher Natur gewiesen ist und
sich aus einer klaren Welteinheit darum auch selbstver-
ständlicher den geheimen Bedingungen unterwirft, die
in den Materialien jeder Kunst liegen: Theoretisch be-
stimmen und auf Grund eines Willensentschlusses an-
streben läßt sich solche ideale Kunst danach nicht; der
Künstler ist an seine Natur gebunden, die ihrerseits zum
guten Teil von den Zeitverhältnissen abhängt, was ihm
bestenfalls möglich ist, ist, sich unter gute Beispiele zu
stellen. Aber die Naturhaftigkeit und der ehrliche Ernst
der Menschen scheinen auch tatsächlich stark genug zu
sein, innerhalb jeder Stilrichtung Bemerkenswertes und
Bleibendes entstehen zu lassen.

Gerade aus der Abhängigkeit eines Menschen von
seiner Zeit ergibt sich dann freilich wieder, daß bei der
Darstellung einer künstlerischen Wesenheit die historische
Betrachtung doch nicht ohne Berechtigung ist: Gewisse
Züge eines Künstlers sind in der zeitgenössischen Kunst
so ins Breite variiert, daß man sie dort am leichtesten
abliest. Jnsofern es das Wesen der echten und natur-
starken Persönlichkeit ist, den Entwicklungsgang der Aeit
um einen Schritt vorwärts zu bringen — denn das
Wesen der Natur, die sich besonders stark in ihn ge-
worfen hat, ist Entwicklung —, wird man die Bedeu-
tung eines Künstlers zum Teil sogar nur aus dem
Vergleich mit den vorhergehenden Künstlern feststellen
können. Allein die Entwicklungsbedeutung eines Künst-
lers ist noch keineswegs mit jener absoluten Bedeutung
identisch, auf der seine Dauer beruht; sie ist mehr eine
selbstverständliche Begleiterscheinung, während die ab-
solute Bedeutung von einer gewissen Organisation seines
Wesens abhängt, die in sich zeitlos ist, von einer ganz
bestimmten Mischung ewiger seelischer Elemente: Darum
gibt es auch Künstler, die für die Entwicklung interessant,
persönlich doch zu schwach waren, um Bleibendes zu

leisten; wie wir heute die fortschrittlichen Werke des
Sturms und Drangs, die alle und sehr interessant
auch bei Klinger und Lenz vorhanden sind, nicht bei
ihnen, sondern bei Goethe erleben, bei dem jene ab-
soluten Werte höher waren.

Jn diesem Sinne hat es auch nicht allzuviel Aweck,
bei einem Versuch über den Dichter Robert Walser vom
Historischen auszugehen, obwohl solche historische Be-
trachtung weit ertragreicher wäre, als man im ersten
Augenblick annehmen würde. Wollte man Robert
Walser historisch einstellen, so müßte man ihn in Verbin-
dung mit einer bestimmten Richtung der modernsten
Malerei bringen, die sich im Kampse gegen eine Kunst-
übung, die in der Nachahmung ganz erstarrt und unwahr
und unerlebt geworden war, sich nicht nur unter den
Einfluß primitiver, also Urzeit- oder doch archaischer
Kunst, sondern geradezu unter den Einfluß der Kinder-
zeichnung gestellt hat; dies, weil das Kind gleich dem
Urzeitmenschen in seiner unverbildeten Naivität und
Sinnenfrische das Charakteristische einer Erscheinung
oft merkwürdig sicher trifft und bei einer stilisierenden
Vereinfachung, die an die Karikatur grenzt, manchmal
die Seele der Dinge findet.

Robert Walser gehörte also in besonderer Weise
zu der Kampffront, die sich ursprünglich gegen das deutsche
Epigonentum der siebziger und achtziger Jahre formiert
hat, nun aber nicht zu dem ersten Aufgebot, das sein
Heil in der angeblich reinen Nachahmung der Natur
suchte, sondern zu dem zweiten, das nach dem Durch-
gang durch den Realismus schon wieder eine Stil- und
Formkunst und sogar eine neue Art von Romantik
schuf. Es macht dabei seine persönliche Bedeutung
aus, wie kein anderer den Naturalismus, der sich als
Form und Gesinnung zum Jmpressionismus verfei-
nert hatte, mit der Sprachmelodie und der poetischen
Lebenserfassung der alten Romantik so verbunden zu
haben, daß, der immer deutlicher als Bindeglied zweier
Zeiten hervortritt, Georg Büchner, in seiner Prosa neu
auflebt. Doch wäre Robert Walser wieder nicht jenen
zuzurechnen, die, wie ein Klee oder Seewald und Campen-
donck, dies neue Kunststreben schon als einen neuen
Schulbegriff übernehmen, sondern zu jenen, die spon-
tan aus eigenen Entwicklungsnotwendigkeiten zu der
neuen Ausdrucksform kamen: Iu seinem Bruder Karl
Walser etwa, soweit der nicht zugleich mit vielen alten
Formen sein Spiel treibt, gehörte er, der so ungefähr
das Naive vorweggenommen hat, wie ein Mensch das,
was man heute mitErpressionismus nennt;und also wäre
Robert Walser einer der wenigen Neuschöpfer der Aeit.

Das alles ist richtig und gibt die historische Stellung
Walsers fast erschöpfend, und dennoch ist damit nichts
Wesentliches gesagt; es ist noch weniger Wesentliches
gesagt, als wenn man den jungen Goethe durch seine
Verbindung mit den Stürmern und Drängern erklärt,
denn Goethe stand wenigstens mit denen in engster Ver-
bindung, während Robert Walser als Dichter von seinem
Malerbruder kaum etwas lernen konnte. Die historische
Betrachtung nimmt den Dingen ihr Wunder; das ist
nicht schlimm, wo das Wunder in Wahrheit nur klein
ist und ein Mensch in seiner Schwäche durch eine Iahl
äußerer Einflüsse tatsächlich einigermaßen bestimmt

IZI

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