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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 7
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Dünwald, Willi: Frank Wedekind: (zu seinem fünfzigsten Geburtstage)
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Schickele, René: Hinter der Heimat
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0270

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Frank Wedekind.

auch die blonde und blauäugige Tilla von den fein
und sicher ratenden Jnstinkten ihrer Weibnatur gedrängt
gewesen, in den steinernsten Aügen dieses Lichtgestürzten
zu lesen, daß da einer zu Unrecht sei verstoßen und ver-
kannt; daß der, den sie sich zu ihrem Herrn und zum
Gebieter wünschte, nicht „das Gute als schlecht oder das
Schlechte als gut hingestellt" und „die Folgen, die den
Menschen aus seinen Handlungen erwachsen, nirgends ge-
fälscht," sondern: „diese Folgen allüberall nur in ihrer
unerbittlichen Notwendigkeit zur Anschauung gebracht"
habe. Wenn ihm auch als Lichtgestürzter, der er war,
„die Schilderung des Unglückes Genugtuung" bereitete,
wünschte er dennoch „die Freude unseres irdischen
Daseins in all ihrer ursprünglichen Pracht und Herrlich-
keit" wieder aufleben zu sehen. Hatte darum in srühester
Jugend, in „Mine Haha", der Moral der Schönheit
das Wort geredet und, obschon man dies pädagogische
Werk, wie fast jedes spätere von ihm, pornographisch
gefunden, in seinem Schauspiel „Hidalla" diese Moral
noch einmal zur Kulturdebatte gestellt.

Awar mußte diese blonde und blauäugige Tilla
mit fein witternden Frauennerven eingefühlt haben in
die schwer deutbare und eigentlich recht unklare Jdee
von der Moral der Schönheit, auf daß sie erkennen
konnte: hier sei Kampf angesagt uralter Frauensklaverei.
Denn selbst die künftigen Geschlechter werden nicht er-
raten können, warum der letzte, nicht nur von Wede-
kind, auch schon von Friedrich Schlegel und George Sand
gewollte Freiheitskampf der Menschen hier als die Mo-
ral äußerer Schönheit angekündigt ward. Werden das
auch nicht des langen und des breiten sehr begrübeln,
sondern als Bürger des Jahrhunderts reiner Menschlich-
keit stolz sein auf den errungenen Besitz: mittelalterliche,
bis ins zwanzigste Jahrhundert hineinragende Moral-
begriffe und deren Ungerechtigkeiten überwunden zu
haben und nicht mehr mitzutun: eines jungen Weibes
Unberührtheit zu überschätzen, das nicht zur Ehe gelangte
Mädchen zum Hungern der Sinne zu verdammen und
das, wer weiß wodurch, ins Freudenhaus gelangte Wesen
von der menschlichen Gesellschaft auszuschließen. Wie
sie denn auch, wenn ihre Kinder erwachen zum Frühling
ihres Geschlechts, denen nahe sein werden in diesen
Stunden glückunseliger Ahnung. Berechtigten Stolz
um den errungenen, nicht mehr verlierbaren Besitz
tragend, wird ihnen der Abend nichts gelten, da Frank
Wedekind, vielleicht einer grotesken Laune zufolge,
seine Lehre für bankrott erklärte..., obgleich sie dieses
Abends gern gedenken werden, weil er der Tilla Hoch-
zeitstag beschloß und sie zum erstenmal als eine, die
gewillt, anhängig zu sein der neuen Moral, dagestanden
hatte neben ihm auf den Brettern, die nicht nur im
Nürnberger intimen Theater die Welt bedeuten.

Man wird zurückdenken an diesen und manchen Abend
und die Aeitgenossen beneiden darum, daß sie Zeuge
sein durften des Schauspiels im Schauspiel: wie ein für
die Bühne unbegabtes Geschöpf sich in liebender Hin-
gebung Gestaltung abgerungen und mählich auch er-
reichte, weil noch immer Liebe und Güte Schweres und
gar Schwerstes haben vermocht. Aber stärker noch wird
nachwirken das Erschütternde: wie dieser Dichter selber
dagestanden auf der Szene und mit der Rücksichtslosig-

keit und der Schamlosigkeit großer Bekenner sein Blut
verströmte vor allem Volke. Seine grünen «Augen
hingerichtet hatte sein lassen in starrer Jnbrunst in den
wie ein gähnend Maul vor ihm daliegenden Auschauer-
raum, und er die Worte scharf und laut, gleichmäßig
laut, aus sich hinaus und in dies Maul hineingeworfen,
damit es die Rede und der Rede Sinn auch ja kapiere...
und dabei verzweifelt mit der Ungefügigkeit und der
Plumpheit seines Körpers, der Schwachheit und der
Widerspenstigkeit seines Gedächtnisses gekampft wie ein
Berserker. Doch wie bei seinen Versen, Komödien und
Tragödien er voll Schmerzunruh nicht Sammlung und
nicht Zeit gefunden, in gute Kunstform das zu bringen,
was dichterisches Jngenium in ihm herausgefühlt aus
diesem Weltgetriebe, so gab er auch als Spieler auf der
Szene, weil er allüberall das Leben höher achten mußte
denn die Kunst, nicht kunstvollendete Gestaltung. Und
hatte doch, weil eben über aller Kunst das Leben steht und
er im Leben ein Verwünschter war, ergriffen und ge-
bannt.

Bis dem Verwünschten war Entbannung worden.
Denn: entgiftet, ausgeteufelt mit den Jahren, ließ er
es sein, die Welt, in der er mit der Zeit zu Wert ge-
kommen, zu höhnen; war auch mit dem, der diese Welt
am Finger laufen läßt, in gütigen Vergleich gekommen.
Bis eines Tages der gestürzte Engel heim hatte dürfen
in das Reich des Lichtes und der Herrlichkeit..bis eines
Tages der Romantiker die ersehnte, bessere und zu-
längliche Welt gefunden im Lande der Mystik. Welches
Lebensfinale die kommenden Geschlechter nicht sonderlich
verwundern wird, weil so noch immer die letzte Daseins-
kurve solch Gearteter verlief. Willi Dünwald.

inter der Heimat.

Von Renö Schickele.

Ja, da unten liegt Florenz.

Wie ein glimmender Aschenhaufen unter dem
stürmischen Aug der Wolken, in dem, eine rußige Ol-
lampe, die Mondsichel schaukelt.

Der Sturm bläst von Fiesole herunter, durch meinen
Garten, den Hügel hinab, der sich mit allen seinen
Sträuchern und Bäumen wehrt und um sich schlägt
und schreit — und tief aufseufzt, wenn die Angriffswut
des unsichtbaren Riesen einmal nachläßt. Und in diesen
Pausen schlagen, o Wunder, schnell versöhnt die Nachti-
gallen, ganz nah und fern, in einem Mondschimmer,
der sich kräuselt und über die Gärten ausbreitet. Die
Bewegung eines dunkeln Armes streicht ihn weg, und
ein Aittern um mich her kündigt den neuen Stoß an,
zu dem der Sturm ausholt.

Das ist heimatliche Musik! Jch durchwache die Nächte,
in denen sie spielt, allein, hin und her zwischen Aimmer
und Veranda, die Hände in den Hosentaschen, bar-
häuptig, und meine Gedanken fliegen nordwärts, wo
der ewige Sturm der Arbeit wohnt — der große heilige
Sturm, der mich ausgeworfen hat an dieses Aypressen-
gestade.

-t- *

*
 
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