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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Röttger, Karl: Wunder: eine Legende
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Isemann, Bernd: Schirmeck einst und jetzt: Jugend-Erinnerung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0437

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Schirmeck einst und jetzt.

Da sahen sie ihn erstaunt an, die mit ihm waren,
und sprachen: Meister, uns hast du viel gescholten seither,
da wir mit dir gehn: Wenn ihr nicht Ieichen und Wunder
seht, so glaubet ihr nicht! Und diesen Kindern erfüllst
du törichte Wünsche...

Da sah Jesus sie tief und groß an und sprach: Sind
eure Herzen noch so klein? Und wandte seine Blicke von
ihnen ab ins Weite und sprach leise vor sich hin: Um
der Freude willen darf man am ersten Wunder tun
und einem Kind zuliebe. Euch soll ich Wunder tun, um
mich zu beweisen und eure irdischen Süchte zu stillen.
Das Kind aber bittet mich um Gnade und Glück.

Dann ging er weiter ins Dorf, um zu suchen, wo er
bleibe mit den Seinen die Nacht, und sie folgten ihm
schweigend nach...

chirmeck einst und jetzt.

Jugend-Erinnerung von Bernd Jsemann.

Schirmeck ist ein Doppelstädtchen. Auf der Ostseite
der Breusch liegt das eigentliche Schirmeck eng zwischen
das Wasser und den steilen Schloßberg gezwängt. Jen-
seits, durch eine steinerne und eine eiserne Brücke mit
Schirmeck verbunden, erstreckt sich in fast doppelter
Längenausdehnung der Ort Labroques, deutsch Vor-
bruck. Jn alter Ieit bestand nur die eine große Holz-
brücke, von der das Dorf seinen Namen hat. Jch habe
sie in der Aeichnung eines Großonkels gesehen: breit war
sie und stand auf mächtigen Eichenpfählen. Unter dem
niedrigen, schindelgedeckten Dach hielten bei regnerischer
Witterung die Kinder ihre Spiele ab, und es gab kaum
eine Stunde des Tags, wo nicht der eine oder andere
Müßiggänger, in die fensterartigen Abschnitte gelehnt,
hinuntergeschaut hätte nach den Anglern, von denen
jedes Haus seinen besonderen leidenschaftlich ergebenen
Genossen noch heute hat.

Schon in meiner Kindheit bestand diese Holzbrücke
nicht mehr, aber meine Tante, der es an einem gewissen
lokalpatriotischen Schwung nicht fehlte, versäumte nie,
wenn sie mich an der Hand über die Brücke führte, die
zwanzig Schritte abzuzählen und mir klarzumachen,
daß unser nächster Schritt nun wieder Labroquer Boden
betreten würde. Sie stellte mir dabei die Bedeutung
vor Augen, die diese Broque einst gehabt haben muß,
als von Wisch herauf das ganze Tal noch ein Sumpf
war, so daß die alte Straße sich eng an den Bergen
hin in ewigem Auf und Ab bequemen mußte. Damals
trug diese Brücke die einzige Abzweigung der Heeres-
straße, die über Vacquenour (Wackenbach) und Grand-
fontaine das Donontal emporklomm, sie war also die
Verbindung nach dem uralten, schon römischen Saarburg
und der fruchtbaren Lothringer Ebene. Es ist diese
Straße gewesen, auf der vor wenig Wochen deutsche
Truppen den furchtbaren Überfall französischer Geschütze
vom Donon her haben aushalten müssen.

Meine Tante hatte sich langsam mit meinem Dasein,
dem petit aUemanä, abgefunden. Iwei Monate war ich
in glücklich schulloser Ieit, wo andere meines Alters
schon lange in die Schule gingen, ihr Gast. Mir zuliebe
hat sie wieder Hühner und Kaninchen gehalten. Haus-

halt und Küche drehten sich um meine Wünsche, ich durfte
Kirschen, Johannisbeeren, Stachelbeeren und die aus-
gezeichneten Früh-Mirabellen nach Lust essen, und die
alte Magd nahm mich sogar einmal auf einem Streifzug
nach Pilzen und Himbeeren weit in den Wald hinein.
Von dem Wald bekam ich sonst damals wenig mehr
als den Schloßberg zu sehen, auf dem noch ansehnliche
Reste des Schlosses aufrechtstanden, darunter ein halb-
verschütteter Torgang. Jndessen war dieser Spaziergang
auf den Schloßberg eine ununterbrochene Schikane.
Beständig hieß es: „Gib acht, daß kein Stein ins Rollen
kommt, er fällt auf die Dächer oder schlägt Kinder
tot"; „geh nicht so nah am Rand"; „lehn dich nicht an
das Gitter, es ist morsch"; „steig nicht auf dies Mauer-
stück, es wird umkippen", und zuguterletzt kam dann noch
das Gebet vor der bronzenen Muttergottes, die ganz
vorn von einem Granitpfeiler herunter ins Tal sah.
Die vieleckigen Granitblöcke machten sich gut, aber seltsam
genug hatte man darauf allerhand Versteinerungen
und Muscheln aufgemörtelt, die meine Gedanken weit
von den gefalteten Händen abzogen.

Jmmerhin war es schön und überraschend, von oben
her das Tal in völliger Verwandlung zu überblicken,
so klein, so eng sah alles aus, Stunden lang hätte ich die
spitzen und breiten Dächer, die durchfunkelnde Breusch
und die grünen Matten betrachten können, das Treiben
von der Sägemühle, den Rauch der Schornsteine, die
Wäscherinnen, wenn nicht für meine Tante das rote
Dach ihres Hauses der einzige interessante Punkt gewesen
wäre. Jch konnte es nicht erkennen, bis ich endlich die
Groß-Kathrine über den Hof gehen sah, und nun schrie
und winkte ich wie verrückt. Die Groß-Kathrine, die
nicht etwa lang, sondern unförmlich dick war, konnte
mich natürlich nicht hören.

Alles in allem lebte ich in Schirmeck wie in einem
Märchen, ich sprach Französisch wie ein Alter, nicht nur das,
ich sprach auch patoi8. Über diese Sprache kann nur
der mitreden, der sie kennt. Das katois von Schirmeck
ist eine Teufelssprache, ein Gemisch von Französisch,
Deutsch, Keltisch und Schirmeckisch. Noch jetzt höre ich
bisweilen zwei alte Weiblein ein paar Worte reden,
und dann geht mir das Herz auf. Ach, damals sprach
alles patois, die Groß-Kathrine hat nie etwas andereS
gekannt. Ach, wie klein, winklig und eintönig war damals
alles! Da war der Müller-Bürgermeister, der alte
Pfarrer, mein Großvater in seinem neuen Hauü und der
Herr Apotheker. Dann befand sich an der Brücke links
das Hotel cks l?rMoe, rechts das 6akä cku pont, wo mein
Onkel mit seinen Kumpanen, von denen der eine Gottes-
leugner war, sein Domino und seine Schachpartie
spielte. Meine Tante hatte eine Freundin, das war
Madame Thoma. Jeden Abend um sechs Uhr gingen
wir durch das Hinterpförtchen zu einem tzuarroi hinüber.
Das Wort kommt vom lateinischen quasrero — fragen,
und bedeutet einfach einen Schwatz. Manchmal mußten
wir vor der Türe warten und hatten dann zur Gesell-
schaft das ungeduldige Meckern der Iiege, die ebenso
wie wir wartete.

Es dauerte nicht lange, so kam Madame Thoma mit
einer gewaltigen Ladung Gras auf dem Kopf daher.
Unter dem Kopf dagegen trug sie einen mächtigen
Kropf, der ihre Stimme rauh machte. Sie setzte ihr

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